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"Krieg – Väter & Söhne": Ausstellung von Markus Georg Reintgen im Anti-Kriegs-Museum Berlin

Einführung zur Ausstellung von Annegret Jürgens-Kirchhoff *

  1. Kunst, die sich mit Kriegen auseinandersetzt, ist von Anfang an mit dem Problem der Darstellbarkeit konfrontiert. Aber erst die modernen Vernichtungskriege im 20. Jahrhundert, die beiden Weltkriege, und die verheerenden Erfahrungen von Hiroshima und Nagasaki stellten die Künstler vor die Frage gestellt, ob Kriege überhaupt noch darstellbar sind. Wo sie dies versuchten, taten sie dies in aller Regel nicht mehr wie die früheren Schlachtenmaler als professionelle Augenzeugen, sondern als offiziell eingezogene Soldaten, die fassungslos mitansehen mußten, wie sich das moderne Schlachtfeld in etwas verwandelte, das jeder Beschreibung, erst recht jeder künstlerischen Darstellung spottete. Zunehmend konzentrierte sich der Blick der Künstler auf die medialen Bilder vom Krieg, auf Pressefotos und Filmmaterial, das Kriegsfotografen und Journalisten von den Kriegsschauplätzen der Welt mitbrachten. Die heute sogenannten „embedded artists“, Künstler, die als Augenzeugen die Truppen begleiten und auf diese Weise ein besonders authentisches Bild vom Kriegsgeschehen zu gewinnen hoffen, sind eher die Ausnahme.

    Säße Markus Georg Reintgen nicht im Rollstuhl, wäre er vielleicht Kriegsfotograf oder ein auf Kriegsschauplätze spezialisierter Journalist geworden. Die Nähe seiner künstlerischen Arbeiten zur Pressefotografie und zum Fotojournalismus, seine Vorliebe für die Recherche, vielleicht auch das Vorbild eines Vaters, der Berufssoldat war, legen dies zumindest nahe. Ein Unfall, der – wie er selbst einmal formulierte – seine „Einweisung in den Rollstuhl“ zur Folge hatte, nahm ihm die für einen Kriegsfotografen notwendige Mobilität, ermöglichte ihm allerdings auch die Einsicht, das der erhellende künstlerische Blick auf den Krieg weniger eine Sache der körperlichen Beweglichkeit als vielmehr des Wissens, der ästhetischen Einbildungskraft und der künstlerischen Kompetenz ist.
  2. Die Bilder hier im Raum gehören zu einer Serie von Arbeiten zum Thema Krieg, für die Reintgen die Bezeichnung „MaxRoPaint“ gefunden hat. Das Wort ist zusammengesetzt aus dem Namen „MaxRo“, einem Künstlerkürzel, mit dem Reintgen seine Bilder signiert, und dem Wort „Paint“, in dem das englische Wort für Farbe – „paint“ und das englische Wort „pain“ für Schmerz enthalten sind. Auf diese Weise verweist die Bezeichnung „MaxRoPaint“ auf ein Künstler-Individuum, dem Farbe bzw. Malerei und Schmerz zu konstitutiven Elementen der künstlerischen Arbeit geworden sind. Es handelt sich um Fotografien, die Reintgen digital übermalt hat, schwarz, häufiger noch rot, mit Farben also, denen ein hoher, allgemein bekannter Symbolwert zukommt, der das Dargestellte in den Kontext von Gewalt, Feuer, Blut, Liebe und Tod stellt. Die digitale Übermalung erlaubt bestimmte Hervorhebungen, Akzentuierungen, auch Auslassungen, figürliche Darstellungen neben abstrakten Flächen. Einem digitalen Programm verdankt sich auch die Möglichkeit der Deformation und der Verfremdung des fotografischen Abbildes, z. B. auf der Arbeit „Kriegfuß“, die sich ebenfalls hier im Raum befindet.

    Kinder sitzen auf einer Kanone wie auf einem Spielplatzgerät. Zum Hinweis auf das Monströse des militärischen Apparats wird die Szene durch ein riesiges, diagonal hochgefahrenes Standbein, einen „Kriegfuß“. Reintgens Darstellung geht zurück auf eine Zeichnung von Alfred Kubin aus dem Jahr 1903, die er während seiner Schulzeit in einem Geschichtsbuch gesehen hatte. „Der Krieg“ ist bei Kubin eine riesige, mit einem Schlachtbeil bewaffnete allegorische Figur, die mit hufeisenbeschlagenen Elefantenfüßen auf ein winziges Menschenheer zugeht, um es in den Boden zu stampfen. Vergleichbar klein und unbekümmert haben auf Reintgens Bild die Kinder, die fotografierende Mutter und der bei den Kindern stehende Mann in Uniform offenbar keine Ahnung von der Bedrohlichkeit der Kanone auf dem überdimensionalen Standbein und von ihrer eigenen bodenlosen Situation in einem leeren roten Raum.

    Rote Bildräume und schwarze Hintergründe sind charakteristisch für Reintgens Kriegsdarstellungen in den Jahren 2008 und 2009. Auf der Arbeit „Deutscher Panzer“, die Sie auf unserer Einladung schon gesehen haben, heben sich zwei rot übermalte Figuren vom schwarzen Hintergrund ab, Figuren, die sich größer und zahlreicher auch auf anderen Bildern finden, z. B auf „Back in Black“ und auf „Fathers and Sons“. Die roten und schwarzen Markierungen wurden als „Leerstellen“ gedeutet oder auch als Anonymisierung der dargestellten Personen und Situationen, als Verschwinden der Soldaten im Krieg, als vorstellbare Auslöschung menschlichen Lebens. Sie werden vielleicht anderes assoziieren, die Bilder anders lesen. Bei genauerem Hinsehen werden Sie entdecken, dass dem Knalligen und Glänzenden der Bilder, das an die Effekte der Werbung erinnert, einzelne Bildelemente widersprechen, die die Schrecken des Krieges zum Vorschein bringen: Manche Handys zum Beispiel zeigen nicht die munter im Hubschrauber oder auf einem Panzer herumturnenden Kinder, sondern Bilder von aktuellen Kriegen. Unheimlich wirken auf „Back in Black“ die langen roten Schatten, die neben der Menschenschlange wie Blutlachen auf dem Rollfeld liegen, und – auf dem selben Bild – das merkwürdige, zum oberen Bildrand hin sich verfinsternde Grün des Himmels, das wie eine Drohung über den wartenden Menschen liegt.
  3. Grundlage von MaxRoPaint sind analoge und digitale Fotografien. Sie liegen nicht nur unter der digitalen Übermalung; mit ihrer besonderen Formgestalt nehmen sie auch Einfluß auf die Entscheidung, was und wie übermalt wird. Diese Fotografien sind also nicht nur Anlaß für die Übermalung, sie bringen diese gleichsam auch mit hervor. Derart behauptet das fotografische Bild seine Eigenständigkeit und Authentizität auch dann noch, wenn es übermalt und damit scheinbar gelöscht wird. Reintgen sagt von seinen nicht bearbeiteten Fotos manchmal etwas flapsig und ionisch, sie seien nur ‚geknipst’. Als leidenschaftlicher Fotograf weiß er aber natürlich, dass der Apparat nicht einfach 1:1-Bilder liefert (auf den Knopf gedrückt und fertig), sondern dass es hinter dem Objektiv immer auch einen subjektiven Blick gibt, der – bewußt oder unbewußt – über einen Ausschnitt, einen Blickwinkel, gewollte Unschärfen etc. entscheidet. Um das nachvollziehbar zu machen, zeigen wir im zweiten, hinteren Ausstellungsraum eine Reihe von Fotografien , die zum Teil für MaxRoPaint Verwendung fanden, darunter das Foto des größten Transportflugzeuges der US-Luftwaffe, die C 17 Globmaster, die Ihnen hier auf dem Bild „Back in Black“ wiederbegegnet.

    Reintgen hat wiederholt und nicht nur in Deutschland die Orte der militärischen Selbstdarstellung besucht, Armee-Stützpunkte und -Flugplätze, Ausstellungen und Messen, die die Errungenschaften der Luftfahrt, insbesondere die der Rüstungsindustrie, einer interessierten Öffentlichkeit vorstellen – spektakuläre Shows wie im vergangenen Monat September hier in Berlin die Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung ILA in Schönefeld. Ein Rezensent der Berliner Zeitung merkte dazu an, dass die jungen Militärfans bei den Publikumstagen ebenfalls auf ihre Kosten kämen. An einem Verkaufsstand seien Bomberjacken in Kindergrößen zu erwerben. Und wem es gefalle, der könne Bausätze für deutsche Panzermodelle aus dem Zweiten Weltkrieg mitnehmen. (13.09.12, S 21) Für Familien, in denen der Vater Berufssoldat bei der Bundeswehr ist, sind die Besuche militärischer Werbeveranstaltungen und die Feier von Jahrestagen im Rahmen der von der US-Army und der Bundeswehr veranstalteten „Tage der offenen Tür“ eine attraktive Selbstverständlichkeit. Als Reintgens Vater sich Pfingsten 1974 im Rahmen eines deutsch-französischen Truppenbesuchs bei einer französischen Einheit in Verdun aufhielt, besuchten ihn seine Frau und der damals 11-jährige Sohn. Reintgen fotografierte erstmals Paraden und Aufmärsche, den Soldatenalltag in der Kaserne, die Gedenkstätten des Ersten Weltkriegs.

    1987 fuhr der 24-jährige erneut nach Verdun mit der Kamera der Familie, einer ADOX Baujahr 1959. Danach fotografierte er mit dieser Kamera erst wieder 2007. Es entstand „Utah Beach“ , eine Fotografie, die Sie ebenfalls im hinteren Raum finden. Was Ihnen auf den ersten Blick wie eine vertraute Dünenlandschaft mit Blick auf’s Meer vorkommen mag, Sie vielleicht an Landschaften von Caspar David Friedrich denken läßt, ist einer der Übergänge zum Strandabschnitt der Amerikaner während des sogenannten D-Days am 6. Juni 1944 in der Normandie. Reintgen hatte sich 2007 vorgenommen, von jedem der fünf Landungsstrände in der Normandie, die heute noch an die alliierten Truppen erinnern, die dort unter hohen Verlusten an Land gegangen sind, ein Foto von der Landseite zu machen. Die Landschaftsaufnahme im Raum nebenan gehört für Reintgen also zu seinen Bildern vom Krieg. Wie keine andere Kriegsdarstellung enthält das Bild auch ein biografisches Moment: In der auf eine Art Palisadenzaun zulaufenden doppelten Reifenspur vorne im Sand findet sich die Erfahrung von Rollstuhl und Barriere eingeschrieben.

    Es gibt eine 3. Gruppe von Bildern in dieser Ausstellung, ebenfalls im hinteren Raum, Fotomontagen aus der Serie „The Killing Fields“ (von Reintgen auch „Plakatwar“ genannt). Dazu nur eine Anmerkung: Es handelt sich hier um Fotomontagen, die nicht aus einzelnen Fotos zusammengesetzt wurden, sondern durch Mehrfachbelichtungen auf ein und dem selben Film zustande kamen. Reintgen koppelte hier vom Fernseher abfotografierte Bilder kriegerischer Gewalt mit Fotos von Plakatwänden, mit denen Hilfsorganisationen dazu aufrufen, die Not und das Elend in der Welt zu lindern.
  4. „Krieg – Väter & Söhne“ haben wir diese Ausstellung genannt. „Fathers and Sons“ ist der Titel eines Bildes hier im Raum; und auch auf anderen Bildern begegnen sie uns – Väter in Uniform oder auch in Zivil, Söhne – zuweilen auch Töchter - , die ihrem Vorbild folgen. In einem Interview hat Reintgen davon gesprochen, dass die Tatsache, dass sein Vater Berufssoldat bei der Bundeswehr war, nicht ohne Einfluß auf ihn und seinen Bruder geblieben sei, auf ihr männliches Selbstverständnis, auf ihre Vorstellungen von Mut, Tapferkeit, Gehorsam, Heldentum. Kriegshelden, die lebenden und die toten, waren Vorbilder der Heranwachsenden - der Großvater, der Verdun überlebt hatte und den Enkelkindern jahrelang davon erzählte, der als 21-jähriger 1942 in Rußland gefallene Onkel Wilhelm, von dem am Fenster des Küchenschranks ein vergilbtes, beschädigtes Foto steckte. Erst der Unfall 1981 veränderte den Blick auf den Krieg und das Ideal des soldatischen Mannes.

    In Reintgens Kriegsbildern dominiert das Thema der Faszination und der Verführung durch den modernen militärischen Apparat, durch die Kampfflugzeuge, Panzer, Waffen, die soldatische Kleidung und Ausrüstung. Beeindruckt zeigt sich nicht nur das militärische Personal; fasziniert sind auch und vor allem die Besucher der großen Militärausstellungen, Männer, Frauen, Eltern und Kinder. Mädchen, darunter ein „Huey Girl“ von 2008, und Jungen sitzen im Cockpit des neuesten Kampfhubschraubers, kleine strahlende Gesichter unter viel zu großen Helmen; sie klettern in die gewaltigen Panzer, stehen hinter blitzenden Maschinengewehren und an mächtigen Geschützbatterien, die sich drehen und rauf- und runterfahren lassen und auf Knopfdruck ihre Position verändern. Vater und Mütter fotografieren voller Stolz ihre Sprösslinge. Wenn irgendwo die Vorstellung vom Krieg als Abenteuer und als sportliche Herausforderung überlebt hat, dann wohl in diesen Militärausstellungen, den sogenannten „Panzer-Partys“ und den entsprechenden Werbebroschüren auf Hochglanzpapier.

    Wir sehen Reintgens Absicht, die auf Faszination und Verführung zielende Selbstdarstellung des Militärs künstlerisch zu unterlaufen, ahnen aber auch, wie groß die Gefahr ist, ihr verhaftet zu bleiben. Es ist dies ein Problem, mit dem auch andere Künstler zu kämpfen haben. Deshalb sind Bilder vom Krieg heute in besonderer Weise darauf angewiesen, dass sie nicht nur genau betrachtet, sondern auch diskutiert werden. Reintgens Ausstellung hier im Anti-Kriegs-Museum, das nicht nur von Einzelbesuchern, sondern auch von Gruppen, von Schulklassen, von Soldaten und Offizieren der Bundeswehr besucht wird, kann damit rechnen, dass es ein an Auseinandersetzung interessiertes, engagiertes Publikum geben wird.
  5. In diesem Sinne wünsche ich der Ausstellung viel Erfolg. Ich danke allen, die bei ihrem Zustandekommen geholfen haben, danke Tommy Spree, dass er die Räume der Peace Gallery zur Verfügung gestellt und die Ausstellung ermöglicht hat, danke Bea Gellhorn von der Online Galerie für Insider Art für ihre umsichtige Unterstützung, danke den Museumsmitarbeitern Mandana Katebian und Jürgen Döring für ihre Hilfe beim Hängen der Ausstellung, und ich danke vor allem Markus Georg Reintgen, dass er sich so umstands- und bedingungslos bereit gefunden hat, uns seine Bilder bis zum 6. Januar 2013 zur Verfügung zu stellen.
"Krieg – Väter & Söhne": Ausstellung von Markus Georg Reintgen. Fotografie – digitale Malerei – Montage.
In der Peace-Gallery des Anti-Kriegs-Museums Berlin, 20.10.2012 – 06.01.2013


* Annegret Jürgens-Kirchhoff, Prof. Dr., emerit. Hochschullehrerin für Kunstgeschichte, Schwerpunkt Moderne, am Kunsthistorischen Institut der Universität Tübingen; Leitung des Projektes "Bilder vom Krieg in der Kunst des 20. Jahrhunderts".


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