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Ignorierte Geschichte

Den nächsten Krieg macht ihr bitte ohne uns: Die Ausstellung "Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg"

Von Nikolaus Korber *

Es wehte ein Hauch von Skandal durch Berlin, nachdem die Leiterin der Neuköllner »Werkstatt der Kulturen«, Philippa Ebéné, vor einigen Tagen erklärte, sie wolle die Ausstellung »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg« nicht wie geplant zeigen, weil sie mit der Konzeption nicht einverstanden sei. Auf diese Entscheidung folgte ein Schlagabtausch via Hauptstadtpresse, bei dem böse Worte fielen. Die Rede war von Zensurversuchen und von Antisemitismus, die nicht PC-gemäße Benutzung der Worte »Dritte Welt« wurde kritisiert. Gebracht hat der Streit im Vorfeld jedenfalls eine Menge Aufmerksamkeit. Voilá, die Schau ist umgezogen in die Weddinger Uferhallen, eröffnet, noch bis Ende des Monats zu sehen und anschließend auf Tour durchs Land.

Zur Sache und der Reihe nach: Es gibt Teile der neueren Geschichte, von denen viele glauben, es sei längst alles dazu gesagt. Der Zweite Weltkrieg ist wohl so eins und – wie in den letzten Tagen auf allen Kanälen zu hören –, er begann bekanntlich am 1. September 1939. Die Sowjetunion bezahlte im Kampf gegen Nazideutschland mit 20 Millionen Toten den höchsten Preis aller beteiligten Länder. Zum Ende im Frühling 1945 war Warschau die am schwersten zerstörte Großstadt. Aussagen aus einer langen Liste von Sätzen, die der durchschnittliche Mitteleuropäer aus dem Effeff buchstabiert. Sie sind nicht falsch, aber sie beschreiben nur so etwas wie die halbe Wahrheit. Die Ausstellung »Die Dritte Welt und der Zweite Weltkrieg« ist angetreten, solche Gewißheiten zu hinterfragen.

Diskurs verändern

Karl Rössel, Journalist und Mitinitiator des Projekts, umreißt deren Ziele so: Man wolle den historischen Diskurs zum Zweiten Weltkrieg verändern, eine andere Perspektive aufzeigen und erreichen, daß die bisher Ungehörten zu Wort und ins Blickfeld kommen. Und tatsächlich gibt es eine vergessene, ignorierte und unentdeckte Geschichte. Diese Geschichte handelt vor allem von den Erfahrungen derjenigen, deren Pech es war, zur scheinbaren Peripherie zu gehören, in Asien, Afrika, Südamerika. Die Ausstellungsmacher haben dazu reichhaltig Material gesammelt, Interviews mit Zeitzeugen geführt, Akten gesichtet und Fotos gefunden. In den Weddinger Uferhallen wird nun ein Destillat jahrelanger Recherchen rund um den Globus präsentiert. Schon die grundlegenden Fakten sind überzeugende Argumente: Das faschistische Italien unter Diktator Mussolini beginnt im Oktober 1935 einen Kolonialkrieg in Abessinien. Das imperialistische Japan startet 1937 einen blutigen Feldzug gegen das Nachbarland China. Wann also hat er nun begonnen, der Zweite Weltkrieg? Als die deutsche Wehrmacht Polen überrannte, waren auf anderen Kontinenten bereits Zehntausende gestorben.

Die Ausstellung »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg« lenkt viel Aufmerksamkeit auf den asiatischen Kriegsschauplatz. In China, so wird vorgerechnet, summiert sich die Zahl der Opfer des Zweiten Weltkriegs nach neueren Schätzungen auf 21 Millionen Tote. Dort spielten sich unfaßbare Verbrechen ab, und die Täter waren meist Soldaten des kaiserlichen Japans. Einige dieser Greueltaten erwähnt die Schau; das bekannte Massaker von Nangking mit 300 000 Toten ist nur die Spitze eines Eisbergs. Ein grausames Bild zeigt, wie die Krieger des Tennos an wehrlosen chinesischen Gefangenen den Bajonett-Einsatz trainierten. Auf einer großen Tafel bekommen jene 200000 zynisch als »Trostfrauen« bezeichneten Menschen ein Gesicht, die aus den von Japan besetzten Gebieten zum Gaudi der Soldaten zur Prostitution verschleppt wurden. Und immer sind es auch die Dimensionen, die aufschrecken lassen. Etwa eineinhalb Millionen Koreaner mußten Zwangsarbeit leisten. Bei der Befreiung Manilas gab es 100000 Tote; die philippinische Hauptstadt wurde durch Bomben und Artilleriebeschuß völlig verwüstet. Jeder 16. Einwohner dieses Landes kam im Zweiten Weltkrieg ums Leben.

Natürlich geht es hier um Rassismus und Kolonialismus, um die Revision einer eurozentristischen Geschichtsschreibung der weißen Metropolen. Welche Perspektiven Europäer und Nordamerikaner im Blick auf den Zweiten Weltkrieg nicht einnehmen, läßt sich gut an der von Hollywood dominierten Filmproduktion nach 1945 ablesen, in der die Geschichten von Coloured People gar nicht vorkommen. Der Marineinfanterist, der an der Küste der Normandie landet, der Soldat, der in der libyschen Wüste gegen Rommels Panzerarmee kämpft, der Schnellbootkapitän auf der Jagd nach japanischen Schiffen, sie alle sind in der Regel weiß. Erst 2002 hat John Woo in »Windtalkers« erzählt, wie Navajos der US-Marine im Pazifik halfen, ein von den Japanern nicht zu entschlüsselndes Nachrichtensystem aufzubauen. Zum Begleitprogramm der Ausstellung gehören folgerichtig Filme, darunter viel Dokumentarisches, aber auch »Indigènes« von Regisseur Rachid Bouchareb. Hier wird – endlich möchte man angesichts des Erscheinungsdatums 2006 sagen – Kriegsgeschichte von Algeriern in französischer Uniform erzählt.

In der Realität aber bleibt der Beitrag, den Menschen aus den damals offen kolonisierten Ländern zur Befreiung der Welt vom Faschismus leisteten, bis heute weitgehend ungewürdigt. Um zu ermessen, worum es geht, helfen ebenfalls ein paar Zahlen. Von den elf Millionen Soldaten, die ihr Leben für das britische Empire riskierten, waren fünf Millionen aus den Kolonien, davon etwa die Hälfte Inder. Unter den US-Streitkräften waren Hunderttausende African Americans, und auch Frankreich rekrutierte starke Kräfte aus seinem Kolonialreich. Diese Truppen wurden keineswegs nur außerhalb Europas eingesetzt. Maori aus Neuseeland verteidigten die Insel Kreta gegen deutsche Fallschirmjäger, Inder flogen Jagdflugzeuge beim Kampf um die Lufthoheit über England, Algerier waren beim Sturm auf den Monte Cassino dabei, und Senegalesen kämpften bei Toulon gegen die Besatzer Frankreichs.

Rassistische Politik

Es geht also nicht um Randerscheinungen, wenn auch der beschämende Umgang der West-Alliierten mit ihren Kolonialsoldaten in der Ausstellung thematisiert wird. Wenn General de Gaulle vor dem Einmarsch seiner Truppen in Paris ein »Blanchissement« der Streitkräfte durchzieht und die dunkelhäutigen Soldaten aus Afrika nicht dabei sein dürfen, betreibt er rassistische Politik. Daß Scouts der US-Army von den Salomonen oder afrikanische »Tiralleurs« keine oder nur lächerliche Kriegsrenten bekommen, daß sie bei Auszeichnungen übergangen und bei Gedenkfeiern nicht eingeladen wurden, ist eine dreiste Verdrängung ihrer Leistungen. »Unsere Opfer zählen nicht« heißt deshalb konsequenterweise das Buch, das der Ausstellung schon 2005 voranging.

Man kann dem Team um Karl Rössel vorwerfen, zuviel auf einmal gewollt zu haben. Vielleicht ist es nicht notwendig, im Kontext eines Projekts, das zeigen will, in welchem Maß buchstäblich die ganze Welt Anteil hatte am Zweiten Weltkrieg, das Kapitel der Kollaboration aufzuschlagen. Allerdings, es gab eben auch indische SS-Soldaten und nicht wenige arabische Hitler-Fans. Vielleicht ist der Bogen auch zu weit gespannt, wenn die rücksichtslose Ausbeutung von Pazifikinseln nach dem Zweiten Weltkrieg als Testgelände für Atombomben und als Aufmarschgelände fürs Militär angesprochen wird. Aber, auf einer kleinen Tafel wird eine anonym bleibende alte Frau von den Palau-Inseln zitiert. »Wenn ihr das nächste mal Krieg führt, dann bitte nicht bei uns«, hat sie gesagt. Allein um solche Stimmen zu hören, lohnt sich ein Besuch.

Ausstellung »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg«. Bis zum 30.9. täglich in den Uferhallen, Uferstr. 8-11, Berlin-Wedding. Weitere Informationen zu Öffnungszeiten und zum Begleitprogramm unter www.3www2.de und www.africaavenir.org

* Aus: junge Welt, 4. September 2009


Schwieriges Gedenken an schwierigem Ort

Berliner Ausstellung »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg« provoziert Rassismusdebatte

Von Anne Britt Arps **


Vor wenigen Tagen wurde in Berlin eine Ausstellung eröffnet, über die bereits heftig gestritten wurde, bevor die Öffentlichkeit sich überhaupt ein Bild machen konnte. Der Streit berührt ein sensibles Thema: der Umgang des Westens mit dem kolonialen Erbe und die Kollaboration mit dem Naziregime in afrikanischen, asiatischen und arabischen Ländern.

Zumindest um eines müssen sich die Macher der Ausstellung »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg« keine Sorgen machen: um Desinteresse. Schon vor der Eröffnung am Dienstag in den Berliner Uferhallen war um die Exposition zum 70. Jahrestag des Kriegsbeginns in Europa ein heftiger Streit entbrannt. Der Grund: Philippa Ebéné, Geschäftsführerin der Neuköllner Werkstatt der Kulturen, wo die Schau ursprünglich gezeigt werden sollte, hatte ihre Raumzusage kurzfristig zurückgezogen. Inhaltliche Absprachen seien nicht eingehalten worden, kritisierte sie. Ausstellungskurator Karl Rössel hingegen bewertet die Entscheidung Ebénés als einen Akt der Zensur. Nach dem Einschreiten des Berliner Migrationsbeauftragten Günter Piening wird seit gestern nun doch eine zweite, kleinformatige Version der Ausstellung in der Neuköllner Werkstatt gezeigt. Zu ihrer Eröffnung bemühten sich die Vereinsvorstände Giesel und Ebéné darum, Missverständnisse aus dem Weg zu räumen.

»Ein vergessenes Kapitel der Geschichte« wollen die Macher der Schau aufschlagen. Gemeinsam mit dem Berliner Kooperationspartner AfricAvenir e.V. erinnern sie erstmalig mit einer Ausstellung an diejenigen, die sonst in den Geschichtsbüchern nicht vorkommen: an die Millionen Kolonialsoldaten und nichtweißen Widerstandskämpfer, die im Zweiten Weltkrieg auf Seiten der Alliierten kämpften, an zivile Opfer, Zwangsarbeiter und Zwangsrekrutierte außerhalb Europas. Zu diesem Kapitel gehört für die Ausstellungsmacher des rheinischen Journalistenbüros, auf deren jahrelangen Recherchen die Ausstellung basiert, auch das Thema Kollaboration. In einem Extra-Abschnitt präsentieren sie daher Kollaborateure mit dem Naziregime in afrikanischen, asiatischen und arabischen Ländern.

Dass hier gleichzeitig an Opfer und Kollaborateure erinnert wird, hält Werkstattleiterin Ebéné für unangebracht: »Die Franzosen ehren ihre Soldaten auch, ohne im gleichen Atemzug auf das Vichy-Regime zu verweisen.« Genau ein solches Gedenken hatte Ebéné im Sinn, als sie mit AfricAvenir eine Veranstaltungsreihe in ihren Räumen plante: Es sei von vorneherein klar gewesen, dass die Bilder der Ausstellung nur Beiwerk zur eigenen Veranstaltungsreihe sein sollten. Bereits im Mai habe sie Rössel gegenüber ihre unterschiedlichen Vorstellungen deutlich gemacht. Dieser sei jedoch nicht zu einem Gespräch bereit gewesen.

Rössel streitet das ab und bezeichnet die kurzfristige Absage als einen »Skandal«. »Das Thema Kollaboration war von Anfang an Teil des Konzepts«, sagte er. Dieses habe Philippa Ebéné seit Mai vorgelegen. Für ihn ist ein Gedenken an die Opfer nicht ohne die Erwähnung der Kollaborateure möglich, »ohne die es Millionen von Toten nicht gegeben hätte«.

Dass Ebéné nur an dem die arabischen Kollaborateure betreffenden Teil der Ausstellungstafeln Anstoß genommen hätte, wie Ausstellungsmacher Rössel mehrfach behauptet hatte, wiesen Giesel und Ebéné deutlich zurück. Offenbar auf Grundlage dieser falschen Behauptung war in den vergangenen Tagen gegen Ebéné der Vorwurf des Antisemitismus erhoben worden.

Verschiedene Migrantenorganisationen wie auch die Rassismusforscherin Susan Arndt, die Ebénés Entscheidung unterstützen, sehen in der Nebeneinanderstellung von Befreiern und Kollaborateuren zudem die Gefahr einer Delegation von Schuld: »Die europäische Maschinerie, die das alles in Gang gesetzt hat, wird so leicht ausgeblendet«, sagte Arndt.

Die in der Debatte herumgeisternden teils massiven Angriffe gegen die Leiterin der Werkstatt verhindern indes eine tatsächliche Auseinandersetzung mit der vorgebrachten Kritik. Auch verstellen sie den Blick auf die Inhalte der trotz Schwächen sehenswerten Ausstellung. Dass diese überhaupt an die Öffentlichkeit trägt, was außerhalb Europas passiert ist und dass von dort Widerstand ausging, bewertet auch Susan Arndt positiv.

Neben 96 Schautafeln erzählen in Video- und Hörstationen Zeitzeugen sowie junge Migranten ihre Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, Kolonialsoldaten, Widerstandskämpfer und Nachfahren. Die Ausstellung ist noch bis Ende des Monats in den Uferhallen in Berlin-Wedding sowie in Kopie in der Neuköllner Werkstatt der Kulturen zu sehen.

** Aus: Neues Deutschland, 4. September 2009


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