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Teutsche Feste

Der Historiker Kurt Pätzold hat ein Buch über den Krieg von 1813 und dessen Fortleben geschrieben

Von Arnold Schölzel *

Von Zeit zu Zeit gelingt es: Die reaktionärsten Gruppen einer Gesellschaft stellen sich an die Spitze einer mehr oder weniger spontanen Massenbewegung und führen sie zum Erfolg zu eigenem Nutzen. Vor allem in Deutschland klappte das in den vergangenen 200 Jahren mit einiger Regelmäßigkeit – von 1813 bis vorläufig 1989/90. Karl Marx nannte das 1844: »Wir haben nämlich die Restaurationen der modernen Völker geteilt, ohne ihre Revolutionen zu teilen.« Der offiziöse, in Schulbüchern und historischen Abhandlungen gepflegte deutsche Mythos um 1813 lautet, es habe sich um einen Befreiungskrieg gegen Napoleon gehandelt. Von seiten der Ausgeplünderten und den vornehmlich von ihren deutschen Fürsten in den Feldzug nach Rußland 1812 Gepreßten war es einer. Von seiten Preußens, Österreichs und Rußlands sowie aller deutschen mittleren Fürsten, die sich anschlossen, als das Blatt sich gegen Napoleon gewendet hatte, war es ein Krieg gegen die Revolution. Letzteres, Haß auf jede Revolution, bestimmt die »deutsche Ideologie«, deren aktuelle staatliche Gestalt die Bundesrepublik ist, die DDR war die Ausnahme.

Sie erinnerte 1953 »von Staats wegen organisiert und mit Aufwand an die Befreiungskriege«, schreibt Kurt Pätzold in seinem neuen Buch »1813. Der Krieg und sein Nachleben«. Drei Aspekte seien in der Kampagne hervorgekehrt worden: »die deutsch-russische, in Wahrheit doch preußisch-russische ›Waffenbrüderschaft‹«. Das Feiern einer Allianz zwischen Friedrich Wilhelm III. und Zar Alexander habe erfordert, »an Geschichte viel wegzulassen«. Zweitens sei mit Hilfe der gleichzeitig verbreiteten Broschüre »Deutsche Zustände« von Friedrich Engels »die Janusköpfigkeit dieses Befreiungskrieges« auseinandergesetzt worden: Die Massen wurden laut Engels um die versprochenen Früchte ihres Kampfes betrogen. Statt einer Verfassung kam die Reaktion der »Heiligen Allianz«. Zum dritten standen die Feierlichkeiten in Leipzig 1953 unter der ostdeutschen Parole nationaler Einheit. Die galt damals im Westen als kommunistisch, also kriminell. Transportiert wurde in einem Artikel Walter Ulbrichts auch die Legende »vom Volk, das geschlossen aufbrach, seine Freiheit zu erkämpfen«. Das traf schon auf die mit Napoleon verbündeten Staaten nicht zu.

Pätzold skizziert mit gewohnt leichter Hand und höchster Präzision im Detail ein verwickeltes historisches Geschehen. Das Buch hat zwei große Teile: Seine ersten fünf Abschnitte verfolgen in knapper Form das politisch-militärische Geschehen ab der Konvention von Tauroggen am 30. Dezember 1812 bis zum Übersetzen der preußischen Soldaten unter Blüchers Oberkommando über den Rhein in der Neujahrsnacht 1814, mit der Völkerschlacht von Leipzig als Drehpunkt. Der zweite Teil faßt das »Nachleben« der Befreiungskriege in Literatur (der Anhang enthält eine Blütenlese einschlägiger Verse von Theodor Körner bis Peter Hacks), Malerei und Staatsfeiern zusammen. Letztere waren oft mit Denkmalseinweihungen verbunden – von dem Hügel, der mit der Nachbildung des 1813 gestifteten »Eisernen Kreuzes« als Nationaldenkmal im 19. Jahrhundert der Berliner »Kreuzberg« wurde, bis zum »Monstrum« von Leipzig 1913, dem Völkerschlachtdenkmal, das – wie Pätzold schreibt – das Geschichtsbild vermittelt: »Wir waren schon immer wer«. 1814 hatte Ernst Moritz Arndt vorgegeben, wie der Sieg über »wälsche Nichtigkeit und Erbärmlichkeit« in Zukunft zu feiern sei: Als »teutsche Festtage« am 18. und 19. Oktober, d. h. als Mischung von Volksvergnügen, Gottesdienst und Staatsakt.

Das wird insbesondere im Sachsen des Jahres 2013 wieder so sein. Dort hat man schon 2008 in tiefer Verehrung der ehemals in Dresden regierenden Dynastie das Denkmal von Friedrich August I., »den aktuellen Wandel zu neuen Geschichtsbildern in Sachsen bezeugend«, in der Landeshautptstadt auf dem Schloßplatz eingeweiht – einschließlich Weihehymne von Richard Wagner aus dem Jahr 1843. Der war bis zur Schlacht bei Leipzig Verbündeter Napoleons, danach nicht mehr. Sachsen wurde anschließend mehr als halbiert. Kann man feiern.

Kurt Pätzold: 1813. Der Krieg und sein Nachleben. Verlag am Park, Berlin 2013, 152 Seiten, 12,99 Euro

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 18. September 2013


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