Militärisch oder zivil?
Über Hemmnisse und Perspektiven bei der Konfliktbearbeitung
Wolfgang Heinrich ist beim Evangelischen Entwicklungsdienst als Referent für Frieden und Konfliktbearbeitung im Ressort Inland und
Entwicklungspolitik tätig. Über den Zivilen Friedensdienst,
"zivil-militärische Zusammenarbeit" und "vernetzte Sicherheit", sprach
mit ihm für Neues Deutschland (ND) Gisela Dürselen.
ND: Im Sommer soll der dritte Umsetzungsbericht der Bundesregierung zum
Aktionsplan zur zivilen Krisenprävention erscheinen, der erstmals 2004
verabschiedet wurde. Welche Rolle spielt der Plan für die deutsche
Außenpolitik heute?
Heinrich: Bei der Verabschiedung des Aktionsplanes verfolgte die
Bundesregierung die Absicht, mehr Kohärenz zwischen den verschiedenen
Ressorts im Umgang mit Krisen- und Konfliktsituationen herzustellen.
Damit hat sie eine Forderung aufgegriffen, die schon lange von der
friedens- und entwicklungspolitisch engagierten Zivilgesellschaft in
Deutschland erhoben worden war. In der Gestaltung der praktischen
Politik, insbesondere der Außenpolitik, können wir als Außenstehende
aber noch keinen Einfluss des Aktionsplanes feststellen.
Dennoch ist er weiterhin ein wichtiges Instrument der Politik. Wir
setzen große Hoffnungen darauf, dass mit der Gründung des
Unterausschusses »Zivile Krisenprävention und vernetzte Sicherheit« des
Auswärtigen Ausschusses des Bundestages beiden Anliegen verstärkt
Aufmerksamkeit geschenkt werden wird. Aus unserer Sicht geht es nämlich
nicht nur um mehr Abstimmung zwischen den Ministerien und eine
kohärentere Politik gegenüber Staaten, die sich in Krisen und
Kriegssituationen befinden. Es geht auch darum, dem Primat der
politischen, der zivilen Konfliktbearbeitung wieder Geltung zu verschaffen.
Was kann Ihrer Meinung nach der neue Unterausschuss »Zivile
Krisenprävention und vernetzte Sicherheit« leisten?
Der Unterausschuss ist gerade dabei, sich zu konstituieren und seine
Aufgabe zu finden. Wir registrieren mit großer Freude, dass er aktiv auf
Akteure aus der Zivilgesellschaft zugeht. Er kann dem Aktionsplan und
seinen beiden leitenden Anliegen wieder größere Bedeutung verschaffen.
Ich hoffe sehr, dass der Unterausschuss darauf achten wird, dass sich
das im Aktionsplan formulierte Bekenntnis zu Krisenprävention und
ziviler Konfliktbearbeitung in der politischen Praxis tatsächlich
nachvollziehen lässt. Der Unterausschuss könnte auch das Forum bieten,
wo Politik, Militär und Zivilgesellschaft gleichberechtigt miteinander
ins Gespräch kommen. Das wäre etwas wirklich Neues.
Sieben Jahre nach einer ersten Evaluierung des Zivilen Friedensdienstes
(ZFD) will das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit in
diesem Sommer eine zweite Evaluierung veröffentlichen. Es wird erwartet,
dass die Ergebnisse eine neue Weichenstellung einläuten. Wie
ergebnisoffen kann die Weiterentwicklung der Zivile Friedensdienst unter
einem dezidiert ZFD-kritischen Minister Dirk Niebel sein?
Zunächst einmal ist es meines Erachtens nicht unbedingt falsch, kritisch
auf bestehende Strukturen und Verfahren zu blicken. Wir können nur
hoffen, dass dies eine vorurteilsfreie, ehrliche und ergebnisoffene
Evaluierung nicht ausschließt. Für unseren Teil können wir feststellen,
dass die zivilen Friedensfachkräfte, die über das ZFD-Programm
vermittelt werden, für die Menschen in Krisensituationen einen enorm
wichtigen Dienst leisten. Bürgerkriege sind die heute am häufigsten
stattfindenden Gewaltkonflikte.
Nach dem Ende eines Bürgerkriegs kann jemand, der meine
Familienangehörigen umgebracht hat, plötzlich mein Nachbar sein. Gerade
bei der Aufarbeitung von Kriegserfahrungen und Traumatisierung, beim
Wiederherstellen von Beziehungen leisten die über das ZFD-Programm
vermittelten Fachkräfte inzwischen unverzichtbare Dienste.
Seit seinen Anfängen 1999 hat sich der ZFD in Deutschland zwar sehr
professionalisiert, fristet aber im Vergleich zum Militär nach wie vor
ein Nischendasein. Wie kann der ZFD zu mehr Geltung und Sichtbarkeit -
in Politik und Gesellschaft - gelangen?
Wenn man den offiziellen Zahlen folgt, kostet der Afghanistaneinsatz
allein den US-Steuerzahler pro Minute über 58 000 Dollar. Von solchen
Zahlen kann die Entwicklungspolitik nur träumen. Aber es ist nicht nur,
und in meinen Augen auch nicht in erster Linie, eine Frage der
Mittelausstattung. Viel bedeutender ist die Frage: Welchen Stellenwert
räumt die Politik, räumen die Medien Methoden und Instrumenten der
zivilen Konfliktbearbeitung ein? Welche Aufmerksamkeit schenken sie den
Organisationen und Menschen, die auf diesem Feld mit großem Engagement
und oft unter sehr hohem Risiko arbeiten? Hier hat sich zwar vieles
verbessert, aber es ist lange noch nicht gut.
Wenn auf Regierungsebene über den Einsatz ziviler Akteure in
Konfliktgebieten diskutiert wird, tauchen immer wieder die Begriffe
»vernetzte Sicherheit« und »zivil-militärische Zusammenarbeit« auf. Wie
können zivile Akteure verhindern, dass sie von der Logik der Militärs
einverleibt werden?
Das Reden von der »vernetzten Sicherheit« und »zivil-militärischer
Zusammenarbeit« birgt in der Tat ein sehr hohes Risiko der Vereinnahmung
zivilgesellschaftlicher Initiativen und Organisationen durch die
Politik. Es besteht auch das Risiko, dass zivilgesellschaftliche Akteure
politisch instrumentalisiert werden wie es unter George W. Bush in den
USA geschah. Der Verband Entwicklungspolitik deutscher
Nichtregierungsorganisationen hat sich deshalb wiederholt sehr deutlich
zu Wort gemeldet und darauf hingewiesen, dass die nichtstaatlichen
Organisationen ihren eigenständigen Gestaltungsraum haben müssen. Dies
gilt für nichtstaatliche Organisationen vor Ort ebenso wie für die
nichtstaatlichen Organisationen in Deutschland.
Ein weiterer Aspekt, der in der Debatte über »vernetzte Sicherheit« aus
meiner Sicht nicht hinreichend berücksichtigt wird, ist die Tatsache,
dass für viele Menschen, die seit vielen Jahren in
Bürgerkriegssituationen - wie Afghanistan oder Somalia - leben, Menschen in Uniform und mit Waffen eben nicht Vertrauen erwecken. Nur weil in den Uniformen nun Europäer oder Amerikaner stecken, hat das nicht automatisch zur Folge, dass man ihnen Vertrauen schenkt.
Wenn nun humanitäre Organisationen oder Entwicklungsdienste in enger
Zusammenarbeit mit militärischen Akteuren auftreten, kann dieses
Misstrauen gegenüber Uniformen und Waffen auf die zivilen Helfer
abstrahlen und damit eine der Grundvoraussetzungen für Aufbauarbeit nach
einem Krieg - das Vertrauen den »Fremden« gegenüber - zerstören. Das
heißt nicht, dass Militär und zivile Akteure sich hermetisch voneinander
abschotten sollten. Aber wir müssten viel mehr voneinander wissen, auf
gleicher Augenhöhe miteinander reden.
* Aus: Neues Deutschland, 6. Juli 2010
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