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Der Klimawandel destabilisiert die Welt

IPCC-Bericht: Nahrungsmittelknappheit, Krankheiten und Massenmigration werden die Folgen sein

Von Susanne Steffen, Tokio *

Die Erderwärmung wird sich nach Ansicht der UNO-Klimaexperten auf alle Kontinente auswirken und Konflikte verschärfen. Eine Eindämmung ist möglich, aber wohl sehr teuer.

Der Weltklimarat IPCC hat am Montag im japanischen Yokohama das zweite Kapitel des neuen Sachstandberichts zum Klimawandel veröffentlicht. Bei einer Pressekonferenz fand der IPCC-Vorsitzende Rajendra Pachauri deutliche Worte: »Es gibt niemanden auf dieser Welt, der vom Klimawandel unbeeinflusst bleibt. Wenn wir nicht gegensteuern, werden die Auswirkungen der Erderwärmung immer schlimmer.«

Zum Bericht des IPCC:

Der Fünfte IPCC-Sachstandsbericht
[externer Link]
Und hier geht es zu den Kernbotschaften des Berichts (herausgegeben vom Bundesumweltministerium (BMUB), vom Bundesforschungsministerium (BMBF), dem Umweltbundesamt (UBA) und der Deutschen IPCC-Koordinierungsstelle (De-IPCC): pdf-Datei



Die IPCC-Wissenschaftler bezeichnen das vorgestellte Dokument als die bislang umfassendste Einschätzung der weltweiten Folgen des Klimawandels. In dem neuen Bericht der UNO werden Dutzende wissenschaftliche Studien ausgewertet. Im ersten Teil, der im vergangenen Herbst veröffentlicht wurde, hatte der IPCC festgestellt, dass mit einer Wahrscheinlichkeit von über 95 Prozent der Mensch für den Klimawandel verantwortlich ist.

Bereits eine Erwärmung um zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit – in einigen Szenarien gehen Experten von plus vier Grad bis zum Jahr 2100 aus – werde große Auswirkungen auf die weltweiten Ernten und Wasservorräte haben, so die Forscher. Der Anstieg des Meeresspiegels und Überschwemmungen werden zu Massenmigrationen führen. Wetterextreme bedrohen die Infrastruktur in Städten, und vielerorts werden Hitzewellen zu Todesfällen und Krankheiten führen, so die Prognose. Spätestens ab 2050 würden geringere Ernten die Lebensmittelsicherheit in vielen Regionen bedrohen – auch, weil die globale Nahrungsmittelnachfrage angesichts wachsender Weltbevölkerung weiter zunehmen werde. Die globale Wirtschaftsleistung werde um 0,2 bis 2 Prozent schrumpfen, schätzen die UNO-Experten.

Zum ersten Mal konstatiert der Klimarat einen Zusammenhang zwischen Erderwärmung und internationalen Konflikten. Die knapper werdenden Ressourcen trügen dazu bei, Konflikte zu verschärfen. Es gebe »deutliche Beweise« dafür, dass die menschliche Sicherheit im Zuge des Klimawandels zunehmend in Gefahr gerät. Der Klimawandel werde die Welt auf vielfältige Weise destabilisieren.

Der IPCC-Forscher Chris Field verwies auf den »neuen Ansatz, darüber nachzudenken, wie man den Klimawandel managen kann«. Es gebe »viele Möglichkeiten, um uns wirksam mit dem Klimawandel zu arrangieren«.

Allerdings kostet die Anpassung an den Klimawandel viel Geld. In den ersten Versionen ihrer Zusammenfassung für die Regierungen schätzten die Autoren, dass allein in Entwicklungsländern bis 2050 jährlich zwischen 70 und 100 Milliarden Dollar nötig sein werden, um Schäden einzudämmen. In der veröffentlichten Endfassung wurde dieser Absatz jedoch gestrichen. Die Kostenfrage ist bei den UN-Klimagipfeln zwischen Entwicklungs- und Industrieländern heftig umstritten, denn daraus können Schadenersatzansprüche entstehen.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 1. April 2014


Auszüge aus dem neuen Weltklimabericht

Der am Montag vorgestellte Teil zwei des fünften Sachstandsberichts des Weltklimarats (IPCC) befasst sich mit den Folgen des Klimawandels. Hier einige Auszüge:

»Die Folgen des Klimawandels sind heute schon besonders in den Ökosystemen aller Kontinente und der Ozeane, aber auch in Gesellschaft und Wirtschaft zu beobachten. So wurde nachgewiesen, dass der Wandel von marinen und terrestrischen Ökosystemen z. B. hinsichtlich des Vorkommens, der Zusammensetzung und des Verhaltens vieler Arten, durch den Klimawandel beschleunigt wird. Der Klimawandel zeigt bereits negative Folgen für Gesellschaften: Z. B. wird die Nahrungsmittelerzeugung bisher insgesamt eher beeinträchtigt. Kürzlich beobachtete starke Preissteigerungen für Nahrungsmittel und Getreide zeigen, dass die Märkte in Produktionszentren schon gegenüber den derzeitigen Witterungsextremen empfindlich sind.«

Bei zunehmender Erwärmung sei mit schwerwiegenden Folgen zu rechnen. »Die allergrößten Risiken tragen arme und sozial benachteiligte Gruppen. In ärmeren Gesellschaften kann dies den Verlust des Lebens bedeuten oder starke Beeinträchtigungen der Gesundheit, in reicheren Gesellschaften eher den Verlust von ökonomischen Werten. In vielen Regionen sind erhebliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit zu erwarten. Auch in Europa können Hitzewellen künftig zu größeren gesundheitlichen Problemen und erhöhter Sterblichkeit führen. Das Risiko von zusätzlichen Migrationsbewegungen und gewaltsamen Konflikten würde zunehmen. Ohne Anpassung können landwirtschaftliche Erträge von Weizen, Reis und Mais in tropischen und mittleren Breiten zurückgehen. Die Risiken für die Nahrungsmittelproduktion und -sicherheit sind beispielsweise in Afrika sowie Mittel- und Südamerika sehr hoch. In vielen Regionen ist mit Änderungen des Wasserkreislaufs durch veränderte Niederschläge sowie Eis- und Schneeschmelze zu rechnen. Dies hat Einfluss auf Wasserverfügbarkeit und -qualität, Hochwasserrisiko und Energiegewinnungspotenzial. Risiken durch Extremereignisse wie Starkniederschläge, Hitze- oder Trockenperioden werden künftig voraussichtlich zunehmen.« nd

Zum Bericht des IPCC:

Der Fünfte IPCC-Sachstandsbericht
[externer Link]
Und hier geht es zu den Kernbotschaften des Berichts (herausgegeben vom Bundesumweltministerium (BMUB), vom Bundesforschungsministerium (BMBF), dem Umweltbundesamt (UBA) und der Deutschen IPCC-Koordinierungsstelle (De-IPCC): pdf-Datei




Wenn der Ozean sauer wird

IPCC-Autor Hans-Otto Pörtner: Klimawandel verändert das Leben in, an und von den Ozeanen **

Mehr als 300 Wissenschaftler aus aller Welt haben als Hauptautoren zum zweiten Kapitel im neuen Weltklimabericht beigetragen, dessen Kurzfassung jetzt verabschiedet wurde. Einer der beiden Leitautoren des Kapitels »Ozeanische Systeme« im aktuellen Sachstandsbericht ist Hans-Otto Pörtner, Biologe am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Mit ihm sprach Ingrid Wenzl.

In diesem Weltklimabericht werden die Ozeane erstmals gesondert behandelt. Welche neuen Erkenntnisse haben dazu geführt, ihnen mehr Bedeutung zuzumessen?

Die Ozeane bedecken etwa 70 Prozent der Erdoberfläche, sie liefern die Hälfte des vom Menschen verbrauchten Sauerstoffs und 20 Prozent des Proteins für über 1,5 Milliarden Menschen. Sie nehmen ein Viertel allen Kohlendioxids und über 90 Prozent der zusätzlichen Strahlungswärme auf. Beobachtungen zeigen, dass mittlerweile nahezu alle Ökosysteme vom Klimawandel betroffen sind – auch die der Ozeane.

Besonders spürbar ist die Erwärmung der obersten Schicht des Meereswassers: Einige Tiere passen sich an, indem sie polwärts ziehen.

Für die großräumige Verschiebung von Arten gibt es mittlerweile Beispiele aus vielen Regionen, vor allem natürlich dort, wo die Erwärmung deutlich ausfällt – wie in der südlichen Nordsee. Angestammte Arten wie der Kabeljau wandern ab, andere, wie Streifenbarben, kommen hinzu.

Alle Arten sind mehr oder weniger auf die Temperaturfenster ihrer Klimazonen spezialisiert. Dies begründet ihre Empfindlichkeit gegen abweichende Temperaturen, aber auch warum sie in unterschiedlichem Maße verdriften. So werden die Artengemeinschaften auf dem Weg in hohe Breiten durchmischt und es entstehen neue Ökosysteme.

Gleichzeitig nehmen Zonen mit Sauerstoffmangel zu.

Wenn sich die oberste Wasserschicht erwärmt, dehnt sie sich aus und erhält eine andere Dichte. Dies führt zu einer zunehmenden Schichtung der Meere und einem geringeren Austausch an Gasen und Nährstoffen zwischen den Schichten. An der Grenzschicht zwischen Oberflächen- und Tiefenwasser reichert sich abgesunkenes organisches Material an und wird von Mikroben zersetzt. Dadurch entsteht Sauerstoffmangel; dieser Prozess wird mit steigender Erwärmung verstärkt. Unterhalb dieser Schicht tragen großräumige Tiefenströmungen Sauerstoff ein, so dass sein Gehalt wieder steigt.

Als dritte einschneidende Entwicklung nennen Sie die Versauerung der Ozeane durch eine verstärkte Belastung durch CO2 aus der Atmosphäre. Wie wirkt sich diese bereits auf Korallen und andere Tiere aus?

Es gibt einige wenige Beispiele erster sichtbarer Effekte, wie Foraminiferen (Einzeller mit Kalkgehäuse) und Flügelschnecken mit schwächeren Schalen. Für andere Arten können wir sie bei ungebremster CO2-Emission in den nächsten Jahrzehnten erwarten. Wieder ist die Empfindlichkeit artspezifisch: Bei Warmwasser-Korallen und einigen Muscheln setzen die Effekte früher ein als bei Krebsen.

Und wie ist das Zusammenspiel der drei Faktoren? Sie sprechen da von einem »tödlichen Trio«.

Einige Arten reagieren durch die Versauerung empfindlicher auf hohe Extremtemperaturen. Dies wurde für Krebse gezeigt, aber auch für Korallen, die dadurch schon bei niedrigeren Temperaturen bleichen. Daran sieht man, wie fatal es für Arten werden kann, wenn die drei Faktoren zusammenkommen. Und mit zunehmender Erwärmung dehnen sich die Bereiche, in denen das so ist, aus.

Was bedeuten die Veränderungen für die Menschen, die am oder vom Meer leben?

Einige Länder werden durch die Verschiebung der Arten und Fischbestände besonders profitieren, vor allem in nördlichen Breiten. Andere Länder in niederen Breiten, die zudem oft nur regionale Fischerei betreiben können, werden geringere Erträge haben. Hier könnten Aquakulturen die entstehenden Defizite teilweise ausgleichen. Aber das erwartete Zusammenwirken der Faktoren und die skizzierten Auswirkungen legen es nahe, alles zu tun, um das Ausmaß des Klimawandels in Grenzen zu halten.

Wie könnte das gelingen?

Durch einen weitreichenden Schutz würden wir Ökosysteme und vielleicht auch einzelne Arten gegenüber dem Klimawandel widerstandsfähiger machen. Dazu müssten die Meeresschutzgebiete ideal so angelegt sein, dass sie mit den zu schützenden, aber abwandernden Arten verlagert werden können. Aber ganz wichtig und vorrangig ist es, die Emissionen möglichst effizient und rasch zu drosseln.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 1. April 2014


Düstere Prognosen des Klimarates

Wissenschaftlerstreit um UN-Bericht: Realistische Szenarien oder Alarmismus? ***

Der Klimawandel werde in den kommenden Jahrzehnten die Gefahr von Bürgerkriegen, Armut und Hungersnöten vergrößern. Steigende Temperaturen erhöhten die Wahrscheinlichkeit »schwerer, tiefgreifender und irreparabler Folgen«, heißt es in einem neuen Bericht zu möglichen Auswirkungen der Erderwärmung, den der Weltklimarat (IPCC) am Montag im japanischen Yokohama veröffentlichte. Ein ungebremster CO2-Ausstoß könnte Schäden in Billionenhöhe verursachen.

Ein Temperaturanstieg von zwei Grad über die vorindustriellen Werte werde 0,2 bis zwei Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung vernichten, heißt es in dem Bericht. Ein Anstieg um mehr als vier Grad könne desaströse Folgen haben. Vor allem in Europa und Asien werde sich das Überschwemmungsrisiko beträchtlich erhöhen. Dürren würden gerade in trockenen, bevölkerungsreichen Regionen die Wasserknappheit verstärken. Wetterextreme würden Fluchtbewegungen verstärken. Dies könne zusammen mit Wasser- und Nahrungsmittelknappheit »indirekt das Risiko für Konflikte mit Gewaltanwendung« erhöhen. Durch Reduzierung des CO2-Ausstoßes könnten die Gefahren wesentlich verringert werden. Viele Maßnahmen seien sogar einfach und billig.

Seit Dienstag vergangener Woche hatten Wissenschaftler und Regierungsvertreter in Yokohama den Text abgestimmt. Dabei handelt es sich um den zweiten von drei Teilen des nunmehr fünften Sachstandberichts des Weltklimarates. Im ersten Teil, der im September veröffentlicht wurde, ging es um die Ursachen des Klimawandels. Im dritten Teil, der Mitte April in Berlin präsentiert werden soll, werden mögliche Lösungen aufgezeigt.

Vor der Veröffentlichung kam es unter beteiligten Wissenschaftlern zu Streitigkeiten, in deren Verlauf der renommierte Umweltökonom Richard Tol aus Protest das Gremium verließ. Berichten zufolge verlangte der Professor sogar, seinen Namen vom Titelblatt des Reports zu streichen. Tol meinte, die Aussagen zur Klimazukunft würden dramatisiert. Das Resümee »driftet Richtung Alarmismus«, sagte er gegenüber Spiegel online. Entscheidende Formulierungen aus dem Entwurf des Reports seien für die Schlußfassung gestrichen worden. Diese Kritik sei zu spät, erst nach dem Begutachtungsprozeß, gekommen, hielt Bob Ward, ein Gutachter des IPCC-Reports, Tol entgegen.

*** Aus: junge Welt, Dienstag, 1. April 2014


Warner und Bremser

Kurt Stenger über die Fortsetzung des Weltklimaberichts ****

Mit zunehmender Erderwärmung wird die Welt eine andere sein. Orkane und Sturmfluten, aber auch Wasserknappheit und Dürren werden in vielen Regionen zunehmen. Angesichts dessen hat der Weltklimarat IPCC zwei Kernbotschaften für die politischen Entscheidungsträger: Sie müssen alles dafür tun, den CO2-Ausstoß zu reduzieren, damit die Klimawandelfolgen nicht ganz furchtbar werden. Und sie müssen schon jetzt Anpassungsmaßnahmen ergreifen, denn der Klimawandel ist längst Realität.

Beides ist ein alter Hut. Angesichts der bisher geringen Anstrengungen sind die Warnungen nötiger denn je. Das gilt auch für Deutschland: Das Gerangel um das weitere Abbremsen der ohnehin mangelhaften Energiewende wirkt angesichts der Herausforderungen wie eine Provinzposse. Und statt weitere fossile Ressourcen etwa durch die umstrittene Fracking-Technologie aus dem Boden zu holen, sollte überlegt werden, wie Energieeinsparung dies überflüssig macht.

Womöglich aber – auch das gibt der IPCC-Bericht her – hofft die Politik vielerorts darauf, dass sich die Klimawandelfolgen schon irgendwie »managen« lassen. Aber nur, wenn man das Geld für Anpassungsmaßnahmen hat. Auch aus diesem Grund wird die Erwärmung die armen Regionen und dort die ärmsten Schichten am härtesten treffen. Der IPCC-Bericht ist eigentlich ein Plädoyer für Nord-Süd-Solidarität – doch er könnte das Gegenteil bewirken. Was die Wissenschaft weiß, macht die Politik noch lange nicht heiß.

**** Aus: neues deutschland, Dienstag, 1. April 2014 (Kommentar)


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