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Ordinäre Marktmechanismen

Pläne der Bundesregierung vor UN-Klimagipfel in Paris drohen zu scheitern. Weniger erneuerbare Energieträger, mehr Kohlendioxid und steigende Strompreise

Von Simon Zeise *

Nach dem Willen der Bundeskanzlerin zieht sich der Kapitalismus an den eigenen Haaren aus dem Sumpf. Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag hehre Ziele zum Klimaschutz gesetzt. Inwieweit sie ihre Versprechen einzulösen gedenkt, hat die Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) überprüft und ihre Ergebnisse am gestrigen Mittwoch in Berlin vorgestellt.

Nach mehreren internationalen Klimagipfeln ohne merkliche Fortschritte soll im Dezember 2015 in Paris ein neuer Weltklimavertrag ausgehandelt werden. Die deutsche Bundesregierung hat sich bisher verpflichtet, bis zum Jahr 2020 den Ausstoß von Treibhausgasen um 40 Prozent zu senken. Bis 2050 sollen es sogar 80 bis 95 Prozent weniger sein. Über 80 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen entstehen durch Verbrennen der fossilen Energieträger Kohle, Erdgas oder Öl. Daher steht der Wandel der Energieversorgung im Zentrum der deutschen Klimastrategie.

Kathrin Werner, vom Zentrum für Sonnenenergie und Wasserstoff-Forschung (ZSW) in Stuttgart, hat für die AEE eine Studie erstellt, aus der sie zitierte: »Klimaziele und die Ziele der Energiewende werden verfehlt.« In ihrem Vortrag legte sie dar, dass die deutschen Treibhausgasemissionen zwar zwischen 1990 und 2010 um 1,25 Milliarden Tonnen Kohlendioxid gesunken seien. Gründe für die niedrigere Kohlendioxidausschüttung seien in der verbesserten Energieeffizienz, dem Ausbau erneuerbarer Energieträger sowie dem Wechsel zu CO2-ärmeren Brennstoffen zu sehen. Hervorzuheben ist an dieser Stelle ein von Werner genannter Aspekt: der Rückgang der Industrieproduktion in den östlichen Bundesländern nach der Wiedervereinigung.

Seit 2010 steige der Kohlendioxidausschuss Deutschlands jedoch wieder. Immer noch werde zu viel Strom aus Kohle erzeugt. Und nicht nur das Klima leide, sondern auch der Endverbraucher. Bei dem kämen die derzeitigen niedrigen Strompreise nämlich nicht an, sondern verblieben bei Multis wie RWE.

Zwar herrscht weltweit Einigkeit darüber, dass sich die Erde nur um zwei Grad Celsius im Verhältnis zum vorindustriellen Zeitalter erwärmen darf, weil ansonsten ganzen Landstrichen der Untergang droht, der Weg dorthin bleibt aber eine Klassenfrage. In der Europäischen Union soll die Börse das Klima retten. Treibhausgase werden innerhalb des »European Union Emissions Trading System« gehandelt. Die dort notierten Unternehmen – das System deckt zur Zeit ca. 45 Prozent der in der EU entstehenden Klimagasemissionen ab – handeln Zertifikate ihres CO2-Ausstoßes untereinander. In jeder neuen der jährlich stattfindenden Spielrunde kommt eine begrenzte Anzahl von neuen Zertifikaten hinzu, wodurch eine Reduktion des Kohlendioxidausstoßes vorgenommen werden soll. Keine Zertifikate kaufen muss ein Unternehmen, das »klimaverträglich« außerhalb der EU investiert. Die Definition von »klimaverträglich« ist jedoch äußerst vage gehalten. Die Zertifikate werden zentral vom EU-Kommissar für Klimaschutz vergeben. Seit 2014 hat der konservative Spanier Miguel Arias Cañete dieses Amt inne.

Und wie ist es um die Rettung der Erde durch Kapitalisten bestellt? Schlecht. Die Preise für CO2-Zertifikate sind in den letzten Jahren drastisch gesunken. Sie lagen 2014 bei etwa sechs Euro pro Tonne Kohlendioxid. »Damit liegen sie weit niedriger als ursprünglich politisch angestrebt und in den meisten Szenarien angenommen«, erklärte Werner. Die Ursache liege im wesentlichen in einem strukturellen Überschuss an Emissionszertifikaten, der ohne Reformen weiter anwachsen werde. Um sinkenden Preisen entgegenzuwirken, wären »eine deutliche Verringerung des Emissionsrechtebudgets oder auch Instrumente wie eine CO2-Steuer notwendig«, fasste Werner zusammen. Eine Entwicklung, die mit den ordinären Marktmechanismen des Finanzkapitals vergleichbar ist. Ohne Regulierung findet Überproduktion statt. Nicht in den Wirtschaftskreislauf investiertes Kapital heizt die Spekulation an. Solange man die Energiemultis nicht zu ihrem Glück zwingt, werden sie auch nicht zu einer kühleren Erdatmosphäre beitragen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 26. März 2015


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