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Mehr als nur Unwetterwarnungen

Der Vizepräsident des Deutschen Wetterdienstes, Paul Becker, über Klimafolgen, Vorsichtsmaßnahmen und die Probleme mit verschiedenen Zeithorizonten von Wetterprognosen und Klimamodellen *


Paul Becker (Jg. 1958) studierte an der Universität Hamburg Meteorologie. 1987 promovierte er hier. Nach einer Tätigkeit am Max-Planck-Institut für Meteorologie wechselte er 1989 zum Deutschen Wetterdienst (DWD), deren Vizepräsident er seit 2010 ist. Kurt Stenger und Steffen Schmidt sprachen mit ihm über die Rolle des Wetterdienstes beim Schutz vor den Folgen der Klimaveränderung.


Den Deutschen Wetterdienst kennt der Normal-Bundesbürger vor allem im Zusammenhang mit den offiziellen Unwetterwarnungen.

Das wäre ja schade, wenn man den Deutschen Wetterdienst beim Thema Wetter nur wegen der Unwetterwarnungen kennen würde. Dabei beackern wir schon lange ein weites Feld. Wir machen Wettervorhersagen, Unwetterwarnungen, aber solange es uns es gibt, machen wir auch Prognosen im Umweltbereich – für die Landwirtschaft, für das Gesundheitswesen, für das Verkehrswesen. Das alles ist auch im Wetterdienst-Gesetz geregelt.

Inzwischen wird ja beinahe öfter vom Klima geredet als vom Wetter. Wo sehen Sie sich als Meteorologe eigentlich in der Klimadiskussion?

Mit dem Klima hat sich der Deutsche Wetterdienst schon immer beschäftigt. Das ist in den letzten fünf bis zehn Jahren nur stärker sichtbar geworden. Zudem ist die Wettervorhersage in ihrem Erkenntnisgewinn zumindest für uns Bürger inzwischen ziemlich am Ende angekommen. Gravierende Verbesserungen sehe ich da nicht mehr.

Und wenn man sich mal ansieht, wer in Deutschland die Debatte zum Klima bestimmt, dann sind die meisten Meteorologen. Dabei ist die Rolle des Deutschen Wetterdienstes eine doppelte. Zum einen landen alle Wetterdaten, ob sie nun per Satellit oder per Bodenstation gewonnen werden, bei uns. Die kommen in Deutschland aus unserem eigenen Netz von Messstationen, global über die Weltorganisation für Meteorologie WMO. In der Vergangenheit haben wir häufig das Material bereitgestellt und andere haben etwas damit getan. Das ändern wir Schritt für Schritt. Wir wollen mit dem, was wir produziert haben, auch sichtbar sein. Deswegen beteiligen wir uns wieder stärker an der Entwicklung von Klimamodellen. Die beruhten ja anfangs auch schon auf Wettervorhersage-Modellen, sind dann aber von anderen weiterentwickelt worden.

Was machen Sie da konkret?

Gemeinsam mit dem Max-Planck-Institut für Meteorologie arbeiten wir an dem Modell ICON. Anders als bei den bisherigen globalen Modellen, die ausgehend von Szenarien der Wirtschaftsentwicklung Aussagen über die nächsten 100 Jahre machen, wollen wir dann auch zu Aussagen für die nächsten fünf oder zehn Jahre kommen.

Was viel schwieriger ist?

Genau. Die geniale Idee mit den Wirtschaftsszenarien funktioniert natürlich überhaupt nicht mehr, wenn wir über die nächsten zehn Jahre sprechen. Dazu braucht man in erster Linie meteorologische Informationen. Die aus der Atmosphäre sind zu flüchtig, bleiben die Ozeane, die haben ein längeres Gedächtnis. Darauf fußt letztlich das Prinzip der Jahreszeiten-Vorhersage. Das funktioniert vor allem dort gut, wo ein großer Ozean vor und hinter einem Vorhersagegebiet existiert. In Europa also dummerweise nicht, aber in vielen anderen Regionen der Welt.

Der jüngste Winter dürfte Sie nicht gefreut haben: Er war zwar modellgemäß wärmer, aber im Widerspruch dazu auch trockener als im langjährigen Mittel.

Die Frage, wie die Winter werden, wird ja schon eine ganze Weile in der Forschergemeinschaft debattiert. Es gab ja auch Aussagen, dass bei einem wärmeren Klima kalte Winter bei uns gehäuft auftreten können. Da bin ich sehr vorsichtig. Was man sagen kann, ist, es gibt bei hoher Variabilität einen Trend zu wärmeren Wintern. Da können auch Jahre dazwischen sein, die ganz anders aussehen. Insofern ist die Frage, ob das ein typischer Winter war, nicht trivial zu beantworten.

Zurzeit wird ja über den zweiten Teil des neuen IPCC-Berichts diskutiert. Da geht es um die absehbaren Folgen des Klimawandels. Gibt es da auch offene Fragen, die diskutiert werden müssten?

Wenn man sich das Wissen in Schichten vorstellt, dann ist auf der obersten Schicht, die für die Politik wichtig ist, eigentlich alles gesagt. Auf den Schichten darunter gibt es natürlich noch viele unzureichend geklärte Fragen.

Ein Beispiel?

Das fängt bei der Zeitskala der IPCC-Berichte an. Die ist nicht darauf getrimmt, für die nächsten 30 Jahre etwas zu liefern. Viele Entscheidungen müssen aber jetzt fallen. Und es ist auch immer eine Frage der Kosten-Nutzen-Analyse, was wir tun. Zum Beispiel die Verkehrsinfrastruktur. Da hat das Bundesverkehrsministerium, zu dem der DWD gehört, ein schönes Projekt gemacht, KLIWAS, das heißt Klimawandel und Wasserstraßen. Da ging es im Wesentlichen um die Schiffbarkeit von Flüssen, vor allem um den Rhein. Da werden sich in Zukunft Niedrigwasserperioden häufen. Während des Hitze-Sommers 2003 war der Rhein so trocken, dass er das übliche Verkehrsaufkommen nicht schaffte. Als Reaktion auf diese Veränderungen kann man natürlich andere Schiffe mit weniger Tiefgang einsetzen. Ob sich eine solche Investition allerdings lohnt, kann man nicht auf der Grundlage einer Prognose für 100 Jahre entscheiden. Denn kurzfristig lohnt es sich offenbar nicht. Da müssten die Modelle Aussagen liefern für die nächsten zehn, 15 Jahre. So etwas haben wir nicht.

Ein anderes Thema, das uns noch sehr beschäftigen wird, ist die Verschiebung der Wetterlagen.

Was heißt das?

Genau genommen meint das eine Veränderung in der Häufigkeit bestimmter Wetterlagen. Zum Beispiel das Tiefdruckgebiet Mitteleuropa.

Solche Wetterlagen, wie im Frühjahr 2013, wo es im Einzugsgebiet vieler mitteleuropäischer Flüsse sehr lange stark regnet, würden sich also häufen?

Genau das. In dem Zusammenhang wird zwar immer gern von Jahrhunderthochwassern gesprochen, doch das ist Blödsinn. Wenn wir die Chance hätten, 1000 Jahre zu leben, dann würde man vermutlich solche vermeintlichen Jahrhunderthochwasser deutlich häufiger sehen, als in der Vergangenheit, also öfter als im statistischen Schnitt nur alle 100 Jahre

Sie sagen, die Politik hat alle wesentlichen Informationen. Sind sie zufrieden, was die damit macht?

Da gibt es viel, was getan wurde. Zum Beispiel wurde nach dem Sommer 2003 ein Hitzewarnsystem eingeführt. Und während es damals europaweit ca. 50 000 Tote wegen der Hitze gab, wurden bei der nächsten Hitzewelle 2006 in Deutschland praktisch kaum zusätzliche Tote gemeldet. Da hat die Zusammenarbeit von Bund und Ländern, die ja für die Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel zuständig sind, gut funktioniert. In jedem Bundesland gibt es heute ein Hitzewarnsystem.

Die Politik ist also recht schnell bei Notfallsystemen. Langfristige Planungen scheinen zäher zu laufen.

Langfristig muss man ja vor allem fragen, wie verändere ich die Infrastruktur. Da sind einige Dinge gut gelaufen, beim Hochwasserschutz in Baden-Württemberg und Bayern etwa. Ebenso in Norddeutschland beim Küstenschutz an der Nordseeküste.

Ist der Hochwasserschutz tatsächlich so viel besser geworden? Das Hochwasser im vorigen Jahr hat gezeigt, dass höhere Dämme allein nicht genügen.

An vielen Stellen wurde schon das Richtige getan. Und wenn wir jetzt mal die Situation im letzten Jahr analysieren, dann sind die, die etwas getan haben – das kann man gut nachvollziehen – in aller Regel auch besser davongekommen.

Wie die richtigen Maßnahmen im Einzelnen aussehen, hängt aber von den örtlichen Gegebenheiten ab. Die einfache Forderung nach mehr Überflutungsflächen würde ich nicht unterschreiben. Das ist oft richtig, geht aber nicht immer. Manchmal wird man wohl doch eine höhere Mauer bauen müssen.

Welche Rolle spielt der Deutsche Wetterdienst bei der Notfallplanung?

Eine unserer Kernaufgaben sind natürlich die Wettervorhersagen und entsprechend auch die Warnungen bei Extremwetter. Da werden wir auch bei der räumlichen Auflösung sukzessive besser. Heute gibt es solche Warnungen auch für begrenzte Gebiete auf der Ebene der Landkreise. Da wäre es natürlich gut, wenn es jeweils eine einheitliche Warnaussage gäbe. Während es bei normalen Wetterprognosen sicher zu verschmerzen ist, wenn es zig verschiedene Anbieter gibt, wäre das bei Unwetterwarnungen im Katastrophenfall gefährlich. Die Katastrophenstäbe der Bundesländer greifen überwiegend auf das Material des Deutschen Wetterdienstes zurück. Zudem haben wir auch Vereinbarungen mit dem Technischen Hilfswerk, dem Deutschen Feuerwehrverband, mit dem Deutschen Roten Kreuz und dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe geschlossen.

Lassen Sie uns in das Jahr 1999 zurückgehen, zum Orkan »Lothar«. Da gab es Kritik am Deutschen Wetterdienst, er hätte zu spät gewarnt. Spüren Sie einen gewissen Druck von Medien und Politik, lieber eine Unwetterwarnung zu viel herauszugeben als eine zu wenig?

Nein. Die Unabhängigkeit eines Wetterdienstes ist zu 100 Prozent gegeben. Zu »Lothar« selbst wäre zu sagen, dass unsere Fähigkeiten heute ganz andere sind als damals. Die computergestützte Wettervorhersage heute ist erheblich besser als in der Vergangenheit. Auch bei den Beobachtungssystemen gab es einen ziemlichen Sprung. Natürlich kann man eine falsche Vorhersage in letzter Konsequenz nie ganz ausschließen. Aber mit den verbesserten Beobachtungssystemen heute kann man viel schneller sehen, dass man falsch liegt und die Prognose kurzfristig korrigieren.

Gibt es mehr Satellitenbeobachtung? Die Zahl der Wetterstationen scheint eher abgenommen zu haben.

Die Zahl der Wetterstationen nimmt nicht ab, es gibt lediglich weniger bemannte Stationen. Was uns ganz wesentlich hilft, ist das Wetterradar. Die Fähigkeit, mit Radar Starkniederschlagsereignisse zu sehen, ist erheblich besser geworden. Heute können wir sogar die Arten des Niederschlags unterscheiden. Meine persönlich schlimmste Wettervorhersage – ich komme ja aus der Wettervorhersage – war vor 20 Jahren, als ich auf dem Radar Niederschlag gesehen habe und ihn für Regen hielt. Und als ich aus dem Nachtdienst herauskam, lagen 20 Zentimeter Schnee. Mit dem heutigen Radar könnte mir das gar nicht mehr passieren.

Die Wettervorhersage kann zwar nicht viel weiter in die Zukunft gucken als damals, aber in dem Zeitfenster, in dem sie sich bewegt, sind die Aussagen auch zu Wind und Niederschlag deutlich besser geworden.

Noch mal zurück zu den Wetterberichten. Wird sich der Wetterbericht mit der Häufung von Extremwetterereignissen im Zuge des Klimawandels auch von der Präsentation her ändern?

Die Basisstruktur, wie ein Wetterbericht aussieht, das wird bleiben. Das hat sich weit über hundert Jahre bewährt. Dass sich natürlich durch die Entwicklung des Internets und hier auch der Apps für Mobilgeräte die Dinge ändern werden, davon bin ich überzeugt. Wie meteorologische Informationen präsentiert werden, hängt somit wohl weniger vom Klima ab als von den Möglichkeiten, die die Technik gerade hergibt. Was man sagen kann, wenn man sich die Geschichte anguckt, ist, dass sich die Wetterinformationen in die jeweils moderne Technik eigentlich immer relativ gut eingepasst haben.

Das Thema Wetter und Klima ist eines, was die Menschen schon immer bewegt hat und vermutlich auch – da bin ich ganz optimistisch oder brauche dies gar nicht zu sein, ich weiß es – die nächsten hundert Jahre noch genau so interessieren wird.

* Aus: neues deutschland, Montag, 31. März 2014


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