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Verhaltener Optimismus

Windbranche schaut auf erfolgreiches Halbjahr zurück, fordert aber eine Beschleunigung, um klimapolitische Ziele erreichen zu können

Von Wolfgang Pomrehn *

Der Ausbau der Windenergie geht weiter, aber nicht ganz so schnell, wie es sich die Branche wünschen würde. Hermann Albers vom Bundesverband Windenergie BWE zog am gestrigen Mittwoch gemeinsam mit Vertretern des Verbandes der deutschen Maschinen- und Anlagenhersteller VDMA Power Systems Bilanz des ersten Halbjahres. Demnach wurden bis Ende Juni Neuanlagen mit einer Leistung von 793 Megawatt (MW) errichtet. Davon gehen einige demontierte Altanlagen mit einer Leistung von 21,3 MW ab, so daß netto rund 770 MW hinzukamen. Fürs ganze Jahr wird mit einem Zuwachs von 1800 MW gerechnet. Zum Vergleich: Diese Windkraftkapazität liefert übers Jahr gemittelt ungefähr halb soviel Strom wie eines der größeren Atomkraftwerke.

Damit wird der Zuwachs in diesem Jahr auf dem Niveau der letzten Jahre und um etwa 300 MW höher als im Vorjahr liegen. BWE-Präsident Albers hätte allerdings gern noch etwas mehr, um die Energiewende möglichst rasch vollziehen zu können. Die Bundesregierung habe im vergangenen Jahr mit ihrer Politik viel Verwirrung gestiftet, kritisierte er. Erst seien mit der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke die Ausstiegsszenarien von 2000/2001 über den Haufen geworfen worden, auf die die Windmüller gesetzt hatten. Dann sei nach der dreifachen AKW-Havarie im japanischen Fukushima die abrupte Wende gekommen, wobei aber trotz AKW-Ausstiegs das Ausbauziel für die erneuerbaren Energieträger nicht heraufgesetzt wurde. Wie schon im Sommer 2010 habe es zunächst weiter geheißen, die Erneuerbaren sollten 2020 nur 35 Prozent des Stroms liefern. Gegenüber dem Stand von rund 20 Prozent, der vermutlich in diesem Jahr erreicht wird, ist das nicht gerade ehrgeizig. Immerhin konnten die Verbände über die Intervention verschiedener Landesregierungen durchsetzen, daß das kürzlich im Erneuerbaren-Energiengesetz (EEG) fixierte Ziel nun »mindestens 35 Prozent« lautet. Albers wiederholte am Mittwoch seine Vorstellung, daß ein 50prozentiger Anteil des grünen Stroms am bundesdeutschen Bedarf bis 2020 ohne weiteres zu machen wäre. Voraussetzung dafür sei allerdings, daß der Ausbau zügiger vorangetrieben wird, wobei Albers im Gegensatz zur Bundesregierung vor allem auf Anlagen setzt, die an Land errichtet werden. Die schwarz-gelbe Koalition hat hingegen mit der jüngsten EEG-Novelle weitere Anreize für den Aufbau von Offshore-Windparks geschaffen, die in der Ost- und vor allem in der Nordsee entstehen sollen. Doch auf diesem Felde sind die Fortschritte nach wie vor eher bescheiden. Gerade fünf Anlagen mit zusammen einer Leistung von 25 MW wurden in den ersten sechs Monaten 2011 auf See installiert. Zusammen mit im letzten Jahren gebauten, aber erst in diesem Jahr angeschlossenen Anlagen ging im ersten Halbjahr 2011 eine Leistung von 103,3 MW ans Netz, also nur ein Bruchteil dessen, was auf dem Land geschaffen wurde.

Der BWE-Chef ist jedoch optimistisch, daß es dort demnächst zügiger vorangehen wird. Einige Landesregierungen haben ehrgeizige Pläne. So wurden in Schleswig-Holstein von den Kommunen bereits zusätzliche Flächen für Windkraftanlagen ausgewiesen, auf denen die installierte Leistung im Land zwischen den Meeren verdreifacht werden könnte. Schon jetzt werden dort mit gut 3000 MW 44,6 Prozent des örtlichen Strombedarfs abgedeckt. Ende des Jahrzehnts könnte dieser Wert auf rund 160 Prozent steigen, so Albers, der selbst aus Nordfriesland kommt. In Baden-Württemberg, um ein anderes Beispiel zu nennen, soll der Anteil der Windenergie an der Deckung des Strombedarf in der gleichen Zeit immerhin von jetzt einem auf zehn Prozent gesteigert werden. Angesichts des erheblich höheren Verbrauchs entspricht das einem ähnlich großen Zubau wie dem der Nordlichter.

Gute Nachrichten für die Hersteller sollte man meinen, doch Thorsten Herdan, Geschäftsführer der Energieanlagensparte des VDMA, sorgt sich eher um den Weltmarkt. Der hatte im letzten Jahr aufgrund des starken Einbruchs in den USA stagniert. Nur das enorme Wachstum in China hatte einen regelrechten Einbruch verhindert. Doch dort bekommen die deutschen Unternehmen keinen Fuß an Bord, wie Herdan mit nicht zitierfähigen Kraftausdrücken beklagt. In den USA hatten hiesige Hersteller hingegen einen guten Stand, doch dort scheint der Windboom fürs erste ausgetrocknet zu sein. Der Hintergrund der VDMA-Sorgen ist die Tatsache, daß deutsche Windanlagen-Produzenten ihr Geschäft hauptsächlich im Ausland machen. Der heimische Markt ist zu über der Hälfte in der Hand eines einzigen Herstellers, und zwar Enercons aus Ostfriesland. Die anderen Produzenten machen ihr Geschäft ganz überwiegend im Ausland, im Durchschnitt der Branche liegt der Exportanteil bei 66 Prozent.

Daran mag es liegen, daß Herdan beim heimischen Ausbau der Windenergie eher ein wenig auf die Bremse tritt. Es sollte seiner Ansicht nur soviel gebaut werden, wie Netz und Verbraucher aufnehmen können. Albers wies hingegen darauf hin, daß der BWE sich schon seit 2004 dafür einsetzt, daß der Netzausbau mit den von den potentiellen Anwohnern eher akzeptierten Erdkabeln beschleunigt wird.

* Aus: junge Welt, 28. Juli 2011


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