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Die Zeit rennt davon

UN-Klimaschutzabkommen läuft aus. Probleme werden immer drängender

Von Wolfgang Pomrehn *

Gut fünf Wochen vor dem diesjährigen UN-Klimagipfel fordern verschiedene global agierende Investmentfonds, die zusammen rund 15 Billionen Euro verwalten, in einer gemeinsamen Erklärung ein verbindliches internationales Klimaschutzabkommen. Der bestehende Vertrag, das Kyoto-Protokoll, ist nicht nur unzulänglich, sondern läuft 2012 auch aus. Ab Ende November wird im südafrikanischen Durban darüber verhandelt, ob es eine Chance zu seiner Verlängerung gibt.

Investorengruppen argumentieren, daß eine Besteuerung der Treibhausgasemissionen sinnvoll sei. Dadurch gebe es einen Anreiz für die Entwicklung neuer Technologien und entsprechende Investitionen, wodurch auch Arbeitsplätze geschaffen werden. In Deutschland arbeiteten 2010 nach Angaben der Agentur für Erneuerbare Energien 357400 Menschen in den Branchen rund um die Wind-, Solar und Biogasenergie sowie im Wasserkraftsektor und in der entsprechenden Forschung.

Ihnen stehen unter anderem die Interessen der Öl- und Automobilindustrie entgegen. In Durban ist daher mit harten Verhandlungen zu rechnen. Gastgeber Südafrika scheint mit der Rückendeckung der meisten Schwellen- und Entwicklungsländer auf eine Fortschreibung des Kyoto-Protokolls zu drängen, auch wenn die USA sich nicht beteiligen werden. Allerdings haben Japan, Kanada und Rußland angekündigt, sich an keinem Abkommen zu beteiligen, wenn nicht alle großen Volkswirtschaften an Bord sind.

Emissionen steigen weiter

Derweil rennt die Zeit davon. Die Emissionen steigen weiter und liegen heute um mehr als 40 Prozent über dem Niveau von 1990. Das liegt zum einen daran, daß die USA ihren Ausstoß noch einmal um rund 20 Prozent gesteigert haben. Zum anderen hat die erfreuliche wirtschaftliche Entwicklung in vielen Schwellenländern, allen voran in China, zu einer erheblichen Zunahme der Treibhausgase geführt. Letzteres war zu erwarten gewesen, weshalb sich die internationale Staatengemeinschaft 1992 in der UN-Klimaschutzrahmenkonvention eigentlich darauf geeinigt hatte, daß die Industriestaaten ihre Emissionen möglichst rasch zurückfahren sollen, um den Entwicklungsländern mehr Raum für deren Industrialisierung zu lassen.

Inzwischen sind sich die meisten Klimawissenschaftler darin einig, daß sich die globale Erwärmung bis 2100 nur noch dann im halbwegs verträglichen Rahmen von zwei Grad Celsius halten wird, wenn der weitere Anstieg der Emissionen noch in diesem Jahr aufgehalten werden kann. Auch die Internationale Energieagentur in Paris argumentiert ähnlich. In den nächsten 25 Jahren müßten weltweit 38 Billionen US-Dollar (rund 27 Billionen Euro) in Energieinfrastruktur gesteckt werden. Diese Kosten gehen allerdings nur bedingt auf das Konto des Klimaschutzes, denn in den Industriestaaten muß der größere Teil des Kraftwerkparks ohnehin in den kommenden beiden Jahrzehnten erneuert werden, und in den Entwicklungsländern gibt es noch einen erheblichen Nachholbedarf.

Das Meer auch

Unterdessen hat ein internationales Forscherteam um Aslak Grinsted von der Universität Kopenhagen ausgerechnet, wie sehr der Meeresspiegel in den kommenden Jahrhunderten in Abhängigkeit von den Treibhausgas­emissionen steigen wird. Demnach ist mit einem Anstieg um 1,1 Meter bis 2100 und um 5,5 Meter bis 2500 zu rechnen, wenn es kein Umdenken gibt und die Emissionen noch lange wachsen.

Sollte der Ausstoß auf dem heutigen Niveau eingefroren werden, gehen die Autoren der Studie davon aus, daß die Pegelstände bis zum Ende des Jahrhunderts um 75 Zentimeter und bis 2500 um zwei Meter klettern. Selbst im Falle einer drastischen Reduktion der Emissionen wird nach den Berechnungen der Meeresspiegel bis zum Ende des Jahrhunderts noch um 60 Zentimeter und in den folgenden 400 Jahren um weitere 1,2 Meter steigen.

Neu an der Studie ist vor allem der Versuch, die weitere Entwicklung des Meeresspiegels zu beziffern. Das ist nicht ganz einfach, weil sich nur schwer vorhersagen läßt, wie sich die großen Eisschilde an den Polen verhalten. Ansonsten ist den Klimawissenschaftlern eigentlich seit langem klar, daß das Meer noch lange weiter steigen wird, wenn die Treibhausgasemissionen längst zurückgefahren sind. Dafür gibt es im wesentlichen zwei Gründe: Zum einen dauert es viele Jahrzehnte bis mehrere Jahrhunderte, bis sich auch tiefere Schichten des Ozeans erwärmt haben. Da sich das Wasser mit der Erwärmung ausdehnt, wird der Meeresspiegel so lange steigen, bis sich ein neues Gleichgewicht in den Ozeanen eingespielt hat. Zum anderen werden die großen Eisschilde auf Grönland und in der Antarktis, auch wenn die globale Temperatur nicht mehr weiter steigt, noch viele Jahrhunderte schrumpfen, bis sich das Tauen und der Zuwachs durch Schnee wieder die Waage halten.

Küstenschutz wird teurer

Unterm Strich betont die Studie erneut, daß die Folgen des Klimawandels viele Jahrhunderte brauchen werden, um sich voll zu entfalten. Der Meeresspiegelanstieg wird nachfolgende Generationen zu gigantischen Investitionen in den Küstenschutz und in die Umsiedlung von einigen der weltweit größten Metropolen zwingen. Die Autoren beklagen denn auch, daß es bisher nirgendwo eine wirklich langfristige Planung an den Küsten gibt.

* Aus: junge Welt, 24. Oktober 2011


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