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Die Uhr läuft ab

UN-Umweltprogramm sieht weiter Chancen zur Begrenzung der Erderwärmung. Höchste Zeit, Treibhausgasemissionen deutlich zu reduzieren

Von Wolfgang Pomrehn *

Das UN-Umweltprogramm (UNEP) hat am gestrigen Dienstag in Berlin, Brüssel und Rio de Janeiro seinen diesjährigen Bericht über den aktuellen Ausstoß von Treibhausgasen vorgelegt. Die gute Nachricht: Es ist noch nicht zu spät, die globale Erwärmung auf zwei oder sogar 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu beschränken. Die schlechte: Die Zeit wird knapper. »Das Zeitfenster, in dem Klimaschutz noch vergleichsweise günstig zu haben ist, schließt sich langsam«, sagte UNEP-Chef Achim Steiner. Je länger mit Maßnahmen gewartet werde, desto teurer würde im nächsten oder übernächsten Jahrzehnt das Aufholen der Versäumnisse.

Das UNEP hat von seinen Mitgliedsländern den Auftrag bekommen, einmal im Jahr zu informieren über den Stand der tatsächlichen Emissionen, die Reduktionsverpflichtungen und -versprechen der Staaten und diese mit dem zu vergleichen, was getan werden müßte. Immerhin hat sich das Wachstum des Treibhausgasausstoßes in den letzten zwei Jahren verlangsamt. Das reiche aber noch lange nicht, so die Expertenmeinung. Notwendig sei es, daß die globalen Emissionen noch in diesem Jahrzehnt ihren Höhepunkt überschreiten und dann wieder abnehmen.

2010 haben sich die Staaten erstmalig auf eine konkrete Aussage geeinigt, auf welches Maß der globale Klimawandel beschränkt werden müsse. Um nicht mehr als zwei Grad Celsius sollte die globale Durchschnittstemperatur gegenüber dem vorindustriellen Niveau steigen, wurde auf der UN-Klimakonferenz im mexikanischen Cancún verabredet. Einer ganzen Reihe von Staaten geht dies schon zu weit. Sie fordern, daß Maßnahmen ergriffen werden, damit die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius beschränkt bleibt. Gemeint ist bei solchen Angaben immer die über den ganzen Erdball und das ganze Jahr gemittelte Temperatur der Luft in zwei Metern Höhe über dem Erdboden bzw. der Meeresoberfläche. Besonders die kleinen Inselstaaten hatten auf der schärferen Begrenzung bestanden: Eine Erwärmung um zwei Grad Celsius wird bis zum Ende des Jahrhunderts bereits einen Anstieg des Meeresspiegels um voraussichtlich 26 bis 55 Zentimeter bedeuten. Er kann schlimmstenfalls auch noch stärker sein, sollte durch die Erwärmung zum Beispiel der auf dem Meeresboden aufliegende Eisschild der Westantarktis destabilisiert werden.

Auch die Beschränkung auf zwei Grad dürfte schwer genug zu erreichen sein. Die meisten Treibhausgase, vor allem das wichtigste unter ihnen, das Kohlendioxid (CO2), verbleiben sehr lange in der Atmosphäre. Wenn die Emissionen aus der Verbrennung von Kohle, Erdgas und Erdölprodukten heute abgestellt würden, müßten mehrere Jahrtausende vergehen, bis die CO2-Konzentration in der Atmosphäre wieder auf das Niveau abgesunken wäre, das vor dem Beginn der Industrialisierung geherrscht hatte. Da die Wirkung des Treibhausgases auf das globale Klima relativ gut berechenbar ist, läßt sich auch die Menge ermitteln, die noch ausgestoßen werden darf.

Das UNEP hat dazu Teams von Wissenschaftlern in 17 Ländern gebeten, mit ihren Klimamodellen Szenarien durchzurechnen, bei denen die Emissionen mit möglichst geringem Aufwand in den nächsten Jahrzehnten zurückgefahren werden, so daß die Erwärmung wahlweise auf zwei oder 1,5 Grad Celsius beschränkt bleibt. Heraus kam Folgendes: Um die Erwärmung mit einer Wahrscheinlichkeit von über 66 Prozent auf zwei Grad zu beschränken, müssen die weltweiten Treibhausgasemissionen bis 2020 auf 44 Milliarden Tonnen pro Jahr zurückgehen. 2030 dürfen es nur noch 35 und 2050 nur noch 22 Milliarden Tonnen sein. Soll die Erwärmung gar auf 1,5 Grad beschränkt werden, muß der Ausstoß bis 2050 bereits vollständig unterbunden sein. Außerdem sei es notwendig, in den Jahrzehnten danach der Atmosphäre durch Aufforstung und andere Maßnahmen wie CO2-Einlagerung aktiv Treibhausgas im großen Maßstab zu entziehen.

Insofern ist der UNEP-Bericht ein erneuter Weckruf, wie der Chef des Umweltbundesamtes, Jochen Flasbarth, am Dienstag in Berlin sagte. Derzeit werde nicht genug getan. Die Emissionen hätten 2010 bei rund 50 Milliarden Tonnen gelegen. Ginge der Anstieg so weiter wie bisher, wären es 2020 bereits 59 Milliarden Tonnen jährlich – 15 Milliarden Tonnen (etwa das 15fache des deutschen Ausstoßes) mehr, als wir uns leisten können. Auch wenn alle Maßnahmen zur Verminderung der Emissionen tatsächlich umgesetzt werden, zu denen sich die Staaten in den Verträgen und in freiwilligen Erklärungen bisher verpflichtet haben, lägen sie 2020 noch immer um acht Milliarden Tonnen über dem Soll-Wert.

Was tun? UNEP-Chefwissenschaftler Joseph Alcamo wies darauf hin, daß es zahlreiche Energiesparmöglichkeiten gebe, mit denen die Emissionen relativ schnell vermindert werden können. In diversen Sektoren der Industrie, der Landwirtschaft bis hin zur Stromerzeugung selbst haben die Wissenschaftler im Auftrag des UNEP Maßnahmen identifiziert, mit denen sich zehn bis 23 Milliarden Tonnen Treibhausgasemissionen jährlich bis 2020 vermeiden lassen.

Was heißt das für Deutschland, dürfen hier noch neue Kohlekraftwerke gebaut und weitere Braunkohletagebaue erschlossen werden, wenn mit dem Klimaschutz ernst gemacht werden soll? Dazu mochte sich Flasbarth, vermutlich mit Rücksicht auf die laufenden Koalitionsverhandlungen, nicht äußern.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 6. November 2013


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