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Kein neues Gewerbegebiet an der Küste

Wissenschaftler aus aller Welt diskutieren in Potsdam über Anpassungen an die Erderwärmung

Von Wolfgang Pomrehn *

Bislang hat sich die Klimawissenschaft vor allem mit der Frage nach dem Ausmaß der Erderwärmung beschäftigt. Doch wie sieht es mit den Folgen des Klimawandels aus?

Das Klima verändert sich, aber was bedeutet das für die Gesellschaft? Dieser Frage gehen bei der heute zu Ende gehenden Konferenz »Impact World 2013« gut 300 Wissenschaftler aus aller Welt in Potsdam nach. Noch vor ein paar Jahren habe kein Politiker etwas von der Anpassung an die Folgen des Klimawandels hören wollen, meint Martin Parry, Geograf aus London und ehemaliger Leiter der Arbeitsgruppe II des Weltklimarates IPCC. Inzwischen sei jedoch vielen klar, dass zumindest ein Teil des Klimawandels nicht mehr zu verhindern ist.

Die Politik verlangt nach konkreten Daten, um Maßnahmen gegen die Folgen treffen zu können. Zwar gebe es genügend wissenschaftliche Daten über den Klimawandel, betonte EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard. Es mache aber einen großen Unterschied, ob die Erderwärmung in den nächsten Jahren zwei oder sechs Grad Celsius betrage.

Höchste Zeit ist es, hier für Klarheit zu sorgen, um auch die Folgen des Klimawandels konkreter abschätzen zu können. Keine leichte Aufgabe, denn: »Es gibt zahllose Möglichkeiten künftiger Welten, und jede hat unterschiedliche Implikationen für die Folgen des Klimawandels«, meint Chris Field von der Carnegie Institution for Science in Stanford (USA).

In Potsdam sind Leute zusammengekommen, die ein wenig Orientierung in den Dschungel der Möglichkeiten bringen könnten. Zum einen trugen die Konferenzteilnehmer die verschiedensten Projektionen für Landwirtschaft, Gesundheitsprobleme, Infrastrukturanforderungen und vieles mehr zusammen. Zum anderen wurden auch sehr konkrete technisch-wissenschaftliche Fragen etwa über die Vergleichbarkeit der Modelle diskutiert.

Pionierarbeit leistet in diesem Zusammenhang das teilweise vom Bundesforschungsministerium finanzierte und vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung koordinierte »Inter-Sectoral Impact Model Intercomparison Project« (ISI-MIP), ein interdisziplinäres Projekt zur Abschätzung der Folgen des Klimawandels. In internationaler Kooperation werden in seinem Rahmen diverse mathematische Modelle der unterschiedlichsten Fachrichtungen miteinander verglichen und aneinander angepasst. Dabei geht es zum Beispiel darum, die Abschätzungen für die Anforderungen an den Küstenschutz zu verbessern, wie eine Gruppe Potsdamer, Kieler und britischer Wissenschaftler auf der Tagung erläuterte. Dafür ist es nicht nur wichtig zu wissen, wie schnell der Meeresspiegel steigen könnte; auch ökonomische Modelle und nicht zuletzt Aspekte der Regionalentwicklung spielten eine Rolle. Mitunter könnte es sich als sinnvollste Alternative erweisen, neue Infrastruktur, Gewerbegebiete und ähnliches von vorn herein weiter ins Inland zu verlegen.

In groben Umrissen sind die Risiken inzwischen bekannt, ein Problem sind allerdings die langen Zeiträume. Was sollen, fragte am Dienstag in Potsdam eine indonesische Teilnehmerin, die Wissenschaftler mit all ihren Erkenntnissen machen, wenn Politiker nur in Wahlperioden denken?

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 30. Mai 2013


Verschwommenes Bild von den Klimafolgen

Potsdamer Forscherin Veronika Huber über neue Wege, die Auswirkungen der Erderwärmung zu untersuchen **

Die promovierte Ökologin Veronika Huber (geb. 1979) arbeitet am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).

Wie kommen Sie als Biologin zur Klimafolgenforschung?

In diesem Forschungszweig geht es darum, die Auswirkungen der Klimaveränderungen auf landwirtschaftliche Erträge, Wasserverfügbarkeit, die Gesundheit des Menschen, Migration und Ähnliches abzuschätzen. Als Biologin habe ich mich mit der Ökologie beschäftigt, bei der es um den Einfluss von Umweltveränderungen auf natürliche Systeme geht. Da ist die Verbindung zur Klimafolgenforschung naheliegend.

Wie gehen Sie dabei vor?

Ein wichtiges Mittel sind mathematische Modelle, globale Modelle in unserem Fall. Wir schauen mit ihnen, wie sich Klimaveränderungen auf die Erträge von Mais, Reis, Weizen usw. auswirken. Andere Modelle beschreiben allgemeiner die Veränderung der Vegetation, zum Beispiel der Savanne oder der nördlichen Wälder. Wieder andere Modelle – da wird es dann ein wenig komplizierter, und die Sozialwissenschaften kommen ins Spiel – beschreiben etwa, wie sich Malaria ausbreiten könnte. Im Einzelnen läuft das so: Ausgehend von Messungen werden die Mechanismen der einzelnen Systeme mathematisch beschrieben. Diese Gleichungen sind das Modell, das in Computer-Code gebracht und zusätzlich mit Niederschlags-, Temperatur- und anderen Klimadaten gefüttert wird. Letztere stammen von Klimamodellen, die wiederum auf verschiedenen Szenarien für den Treibhausgasanstieg basieren.

»Die Zukunft kann man nicht vorhersagen«, meint PIK-Direktor Hans Joachim Schellnhuber.

Es ist wichtig zu wissen, dass wir keine Vorhersagen treffen, sondern Projektionen erstellen. Es geht um eine lange Kette, bei der wir im ersten Schritt Annahmen aufstellen über die ökonomische und soziale Entwicklung der Welt, aus der dann Treibhausgasemissionen resultieren. In einem nächsten Schritt wird das in die Konzentration dieser Gase in der Atmosphäre überführt. Dann werden daraus Klimaveränderungen berechnet, die schließlich in unsere Klimafolgenmodelle eingespeist werden. Es ist ein Hintereinanderschalten von Annahmen über die Entwicklung der Welt, die zu Wenn-dann-Aussagen führen. Damit spannen wir sozusagen einen Möglichkeitsraum auf, aber wir können natürlich nicht sagen, im Jahr 2053 wird dieses oder jenes passieren.

Wie vertrauenswürdig sind die Modellergebnisse?

Das ist ein wichtiger Aspekt des Projektes ISI-MIP, das wir angestoßen haben. Wir sind schon ganz gut darin, die Unsicherheiten der Klimamodelle zu quantifizieren; nun gehen wir daran zu bestimmen, wie robust unser Verständnis der Klimafolgen ist.

Was machen Sie im Projekt?

Wir holen die Modellierer aus Landwirtschaft, Ökosystemen, Hydrologie, Gesundheit, Infrastruktur, Energieversorgung usw. zusammen. In der ersten Phase sind mehr als 30 Modellteams aus 11 Länden beteiligt. Wir wissen schon viel darüber, was an einzelnen Orten und in einzelnen Sektoren passiert. In unserem Projekt wird dieses Wissen zusammengeführt.

Bisher haben wir in gewisser Weise ein verschwommenes Bild von den Klimafolgen. Wir wissen ungefähr, wie sich eine um zwei Grad wärmere Welt von einer um drei oder vier Grad wärmeren Welt unterscheiden könnte. Jetzt geht es darum, das Bild scharf zu stellen. Es geht nicht nur darum zu wissen, dass bei zwei Grad globaler Erwärmung die Korallenriffe betroffen sein werden, sondern auch: Was passiert in der Landwirtschaft, bei der Ausbreitung von Krankheitserregern, an den Küsten?

Interview: Wolfgang Pomrehn



** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 30. Mai 2013

Regionale Effekte beleuchtet

Nächster IPCC-Bericht kommt im Herbst

Ende 2012 kursierte ein erster Entwurf vom fünften Sachstandsbericht des UNO-Klimarates IPCC (International Panel on Climate Change) im Internet. Veröffentlicht hatte ihn einer der sogenannten Klimaskeptiker aus den USA, die rundheraus leugnen, dass es irgendeinen messbaren Zusammenhang zwischen dem Kohlendioxid, das durch menschliche Naturnutzung frei wird, und einer Klimaerwärmung gibt. Doch wie kam ausgerechnet jemand mit solchem Hintergrund an den vertraulichen Arbeitsentwurf? Der Grund liegt in dem mehrstufigen Verfahren der Erarbeitung und Prüfung dieser IPCC-Reports. Für die »Expertenprüfung« des ersten Entwurfs kann sich nämlich praktisch jeder bewerben, ganz unabhängig von der Qualifikation. Zwar muss man zusichern, den Entwurf nicht weiterzugeben, doch mangels Sanktionen hält sich eben nicht jeder daran.

Der erste Teil des neuen Berichts zu den physikalischen Grundlagen wird Ende September in Stockholm vorgestellt. Darin wird es spezielle Kapitel zu den Veränderungen des Meeresspiegels und dem irdischen Kohlenstoffkreislauf geben. In den weiteren Teilen, die im Laufe des nächsten Jahres folgen, sollen Klimaauswirkungen sowie die möglichen Szenarien für eine Anpassung an diese erstmals in einer Art Atlas regional detailliert aufgeschlüsselt werden. StS




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