Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ausstieg aus der Kohle

UN-Klimakonferenz in Warschau

Von Wolfgang Pomrehn *

Wieder einmal erscheint rechtzeitig zu einer UN-Klimakonferenz ein Menetekel. Am heutigen Montag beginnt in Warschau das diesjährige Treffen der UN-Klimaschutzrahmenkonvention, kurz nachdem der Taifun Haijan Teile der Philippinen und Vietnams verheerte. Aber haben die vertretenen 194 Regierungen diesmal die Schrift an der Wand gelesen? Einige mit Sicherheit: Die kleinen Inselstaaten, die als erste und am dramatischsten von einem Anstieg des Meeresspiegels betroffen sein werden, drängen seit vielen Jahren auf raschen, wirksamen internationalen Klimaschutz. Das wird auch in diesem Jahr wieder der Fall sein, während die Industriestaaten in verteilten Rollen, die einen offensichtlicher, die anderen eher im Verborgenen, auf die Bremse treten.

Die Bundesregierung wird in diesem Spiel vermutlich wieder den »Good Cop« geben und auf ihre im internationalen Kontext ziemlich weitgehend erscheinenden Klimaschutzziele verweisen. Bis 2020 sollen hierzulande die Treibhausgas-Emissionen um 40 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 zurückgefahren sein. Nur: Das ist erstens noch lange nicht ausreichend, und zweitens gibt es keinen politischen Plan, keinen Maßnahmenkatalog, mit dem dieses Ziel erreicht werden könnte. Im Gegenteil: Derzeit sieht es ganz danach aus, als wolle die sich anbahnende große Koalition die bestehende positive Dynamik beim Ausbau der erneuerbaren Energieträger brechen. Die SPD hat ausgerechnet die Kohlefreundin Hannelore Kraft zur Verhandlungsführerin für diesen Themenbereich gemacht. Für die Union leitet Umweltminister Peter Altmaier die Gespräche, der sich bereits seit Jahresanfang immer wieder mit Vorschlägen hervorgetan hat, wie die Energiewende auszubremsen wäre.

Aber selbst wenn das Ziel noch erreicht würde, wäre es nur ein erster Schritt. Von rund 1,2 Milliarden Tonnen im Jahre 1990 wäre der Treibhausgas-Ausstoß dann auf 720 Millionen Tonnen reduziert. Soll aber die globale Erwärmung langfristig auf zwei Grad Celsius beschränkt werden, wie die Weltgemeinschaft verabredet hat, dann müssen die Emissionen der Industrieländer bis zur Mitte des Jahrhunderts auf ein Minimum reduziert sein. In Deutschland dürften sie nur noch etwa 60 Millionen Tonnen betragen. Das wäre deutlich weniger als die Hälfte dessen, was zur Zeit allein der KFZ-Verkehr verursacht. Dei stärkere Begrenzung von dessen Emissionen verhindern die verschiedenen Bundesregierungen seit vielen Jahren durch ihren Widerstand gegen strengere EU-Abgasnormen.

Dennoch wäre ein derartiger Umbau technisch und ökonomisch möglich. Allerdings dürfte man zum Beispiel nicht mehr auf neue Kohlekraftwerke setzen. Vielmehr müßte ein Gesetz her, das den Ausstieg aus der Kohlenutzung bis etwa 2030 regelt. Doch dafür müßte sich die Regierung natürlich mit den großen Energiekonzernen anlegen.

* Aus: junge Welt, Montag, 11. November 2013


Die EU müsste Vorreiter sein

Lutz Weischer von Germanwatch über den langen Weg zu einem Klimaschutzabkommen **

Lutz Weischer ist Teamleiter Internationale Klimapolitik bei der Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch in Bonn. Mit ihm sprach Kurt Stenger.


In der globalen Klimaschutzpolitik wird es erst 2015 wieder richtig ernst – dann sollen die Regierungen ein neues globales Klimaschutzabkommen beschließen, das 2020 in Kraft tritt und CO2-Minderungsziele für alle Staaten umfasst. Braucht es den heute in Warschau beginnenden UN-Gipfel dann überhaupt?

Ja, den braucht es, um jetzt den genauen Fahrplan auf den Weg zum Gipfel in Paris 2015 festzulegen und mehr Klarheit in den internationalen Verhandlungsprozess zu bringen. Dieses Ziel, bis 2015 ein Abkommen auszuhandeln, mit dem es der Weltgemeinschaft gelingt, die Treibhausgase so weit zu senken, dass wir die gefährlichsten Auswirkungen des Klimawandels verhindern können, ist ja eine Mammutaufgabe. Das wird Zeit brauchen. Irgendwann müssen die Staaten anfangen, Angebote auf den Tisch zu legen, um wie viel sie bereit sind, ihre Emissionen zu verringern. Dafür sind ein Zeitplan und auch Klarheit nötig, wie diese Angebote überhaupt aussehen sollen und welche Kriterien erfüllt werden müssen, damit sie miteinander vergleichbar sind. Wenn man diese Entscheidungen jetzt nicht trifft, dann ist es ganz schnell 2015 und man versucht, in der letzten Nacht alles zu regeln, und das wird nicht gelingen.

Das Abkommen soll freiwillige Minderungsziele der einzelnen Staaten zusammenfassen. Mit den bisherigen Klimaschutzzielen der Staaten würde sich die Erde gegenüber der vorindustriellen Zeit um vier Grad Celsius bis 2100 erwärmen. Zwei Grad sind aber das Maximum, damit die Folgen des Klimawandels noch einigermaßen beherrschbar sind. Sehen Sie eine Chance, die gewaltige Lücke zu schließen?

Ja, die Chance besteht. Es gibt ja auch hoffnungsvolle Zeichen bei der Klimapolitik in mehr und mehr Staaten, die sich bisher nicht als Vorreiter hervorgetan haben. Aber die Hoffnung besteht nur dann, wenn es uns gelingt, über die nationalen Emissionsminderungsverpflichtungen auch internationale Verhandlungen zu führen. Auch deswegen sind die Konferenzen jetzt in Warschau und nächstes Jahr in Lima wichtig. Die Länder müssen jetzt ihre ersten Angebote auf den Tisch legen. Dann wird man sehen, ob es reicht, das Zwei-Grad-Limit einzuhalten, oder ob alle ihre Angebote erhöhen müssen.

Bisher gab es zwei Haupthindernisse für echte Fortschritte. Zum einen waren die Regierungen vieler Industriestaaten nur dann bereit, mehr für den Klimaschutz zu tun, wenn alle mitmachen. Zum anderen sagen die Regierungen von Schwellen- und Entwicklungsländern zu Recht, da wir historisch für den Klimawandel nicht verantwortlich sind, müssen wir auch die CO2-Emissionen nicht senken. Sehen Sie Anzeichen, dass die starren Fronten aufgeweicht werden können?

Ich sehe die Möglichkeit, zu einer neuen globalen Einigung zu kommen. Man muss bedenken, dass in Warschau auch darüber verhandelt wird, was vor 2020 passieren soll. Dabei geht es um Emissionsminderungen und auch darum, wie die Industriestaaten die Entwicklungsländer finanziell und mit Technologie beim Klimaschutz unterstützen. Zugesagt ist, bis 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar zu erreichen, die aber auch tatsächlich bereitgestellt werden müssen. Wenn der gute Wille der Industrieländer hier klar erkennbar ist, dann kann es gelingen, ein globales Abkommen für die Zeit nach 2020 zu beschließen. Hierbei müssen die Verpflichtungen der einzelnen Länder nach deren Leistungsfähigkeit und ihrem Beitrag zur Verursachung des Klimawandels festgelegt werden. Dies ist ein weit differenziertere Betrachtungsweise als die Einteilung in zwei Gruppen.

Es gab seit 2007 schon mehrere Versuche, zu einem neuen Klimaschutzabkommen nach Auslaufen des Kyoto-Protokolls zu kommen, die alle im Sande verliefen. Warum sollte es diesmal anders kommen?

Ich bin vorsichtig optimistisch. Die Verhandlungen finden gerade in einer relativ konstruktiven Atmosphäre statt. Es gibt einen Zeitplan und es gibt vor allem interessante Entwicklungen außerhalb der Verhandlungen: Die Kosten der erneuerbaren Energien entwickeln sich stark nach unten und die Kosten und Risiken der fossilen Energien werden immer deutlicher. Außerdem treten die Folgen des Klimawandels drastischer zu Tage. Das alles führt dazu, dass es sich für mehr und mehr Regierungen lohnt, in Klimaschutzmaßnahmen zu investieren. Dadurch wird es einfacher, sich auf einen globalen Fahrplan zu einigen. Dazu braucht es aber Vorreiterallianzen von Staaten, die Pionierarbeit leisten und zeigen, dass Klimaschutz machbar ist und sich auch wirtschaftlich lohnt. Wie es Deutschland im Bereich der erneuerbaren Energien tut.

Aber gerade in Deutschland ist die Energiewende doch stark unter Beschuss geraten. Es gibt Bestrebungen, diese wieder zurückzudrehen. Hätte dies nicht negative Folgen für die internationale Klimapolitik?

Auf jeden Fall, das gilt sowohl für die EU als auch für Deutschland. Beide hatten in der Vergangenheit immer wieder eine Vorreiterrolle gespielt und formulieren diesen Anspruch weiter an sich selbst. Ein Vorreiter ist man aber nur dann, wenn man seine Hausaufgaben erledigt. Das heißt, die Energiewende darf nicht abgebremst werden und die EU muss endlich den Emissionshandel so reformieren, dass er wieder funktioniert.

Müsste die EU nicht beim Gipfel in Warschau endlich ihr eigenes, leicht erreichbares Ziel erhöhen, die CO2-Emissionen bis 2020 um 20 Prozent gegenüber 1990 zu senken?

Aus Sicht von Germanwatch ist das absolut überfällig. Das 20-Prozent-Ziel ist heute schon erreicht. Wenn es bei dieser Selbstverpflichtung bleibt, hieße das, sechs Jahre nichts zu tun. Das ist das Gegenteil einer Vorreiterrolle. Man muss auf UN-Ebene aus der Selbstblockade nach dem Motto, wer sich zuerst bewegt, hat verloren, herauskommen und eine positive Dynamik erzeugen. Da ist eindeutig die EU am Zug. Die kann nur handeln, wenn die Koalitionsverhandlungen in Deutschland zeigen, dass die Regierung anders als in den letzten beiden Jahren nicht auf der Bremse steht.

** Aus: neues deutschland, Montag, 11. November 2013


Systemwandel statt Klimawandel

Umweltbewegung plant Aktionen in Warschau

Von Johanna Treblin ***


Der Klimagipfel im Jahr 2009 in Kopenhagen war der Höhepunkt der internationalen Klimabewegung. Bis dahin hatten Aktivisten für globale Umweltgerechtigkeit noch Hoffnungen in die internationale Klimadiplomatie gesetzt. Tausende reisten nach Dänemark, um sich an Demonstrationen und der Blockade des Konferenzgebäudes zu beteiligen. Das häufig so bezeichnete »grandiose Scheitern« des Gipfels hat in der Bewegung allerdings zur Überzeugung geführt, dass Gipfeldiplomatie den Klimawandel nicht mehr aufhält. Klima- und Umweltbewegte setzen deshalb zum einen auf Selbstorganisation wie beim »People’s Summit« im Jahr 2010 in Bolivien, zum anderen auf Veränderungen vor Ort: So gibt es in Deutschland seit drei Jahren regelmäßige Klimacamps sowie Initiativen im kleineren Rahmen gegen Kohlekraft und Fracking.

Ähnliches könnte auch die Klimakonferenz in Polen auslösen. Während kaum international nach Warschau mobilisiert wird, hoffen einige Umweltbewegte, die mediale Aufmerksamkeit für den Gipfel nutzen zu können, um das öffentliche Bewusstsein in Polen für die Kohleabhängigkeit des Landes zu schärfen. Für Samstag, den 16. November, rufen sie unter dem Motto »System Change not Climate Change« (Systemwandel statt Klimawandel) zur Demon-stration ins Stadtzentrum auf. Dafür können sie immerhin auf ein kleines bisschen internationale Unterstützung hoffen: So wurde ein »Zug für Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit« organisiert, der am Freitag in Brüssel startet und rechtzeitig zur Demonstration am Samstag in Warschau ankommt. 500 Tickets sind bereits verkauft, Buchungen werden auf der Website train-de.climatejustice.eu angenommen.

Weitere Aktionen sind geplant, so etwa gegen die parallel zu den Klimadiplomaten tagenden Teilnehmer der Konferenz der World Coal Association. Unter dem Motto »Cough for Coal« (Husten für die Kohle) wollen Aktivisten mehrerer Umwelt- und Klimaorganisationen eine riesige aufblasbare Lunge vor dem Konferenzzentrum der Kohle-Lobby aufbauen. Zu den Unterstützern der Aktion gehören neben den jungen Organisationen Push Europe und 350.org auch etablierte Umweltorganisationen wie der WWF und Friends of the Earth. Ziel sei es, das Märchen von der »sauberen Kohle« zu entlarven, so Mitveranstalterin Katharina Kutzias. Die Klimaaktivistin aus Berlin hofft, dass die Bewegung in Warschau auch ein gemeinsames Kommuniqué verabschieden wird – als Antwort auf das »Warsaw Communiqué«, das die internationale Kohle-Lobby gemeinsam mit der polnischen Regierung im Vorfeld des Gipfels verabschiedet hat.

* Aus: neues deutschland, Montag, 11. November 2013


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