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Petrus’ gezinkte Würfel

Ohne Klimawandel hätte es manche extreme Wettereignisse nicht gegeben, besagen neue Erhebungen aus den USA

Von Wolfgang Pomrehn *

Die Erdatmosphäre wird wärmer. Seit den 1980er Jahren gibt es da unter Wissenschaftlern keine ernsthaften Meinungsverschiedenheiten mehr. Daran ändert nichts, daß Leute wie zuletzt Fritz Vahrenholt, Manager des Braunkohlekonzerns RWE, um ihr Ego oder die Interessen ihres Brötchengebers zu pflegen, mit viel publizistischer Unterstützung das Gegenteil in die Welt hinausposaunen. Wer sich die unabhängig voneinander berechneten Datensätze der US-Weltraumagentur NASA, des Hadley-Zentrums der britischen Wetterfrösche oder die ihrer US-Kollegen von der dortigen Ozean- und Atmosphären-Behörde NOAA anschaut, kann daran keinen Zweifel haben. Die über den Planeten und das ganze Jahr gemittelte Temperatur der Atmosphäre in zwei Meter Höhe über der Erdoberfläche ist inzwischen 0,75 Grad Celsius höher als vor 100 Jahren. Und 2010 war in allen drei Datensätzen das wärmste Jahr in den Aufzeichnungen.

Natürlich geht es nicht einfach in einer geraden Linie nach oben. Das Wetter kann von Jahr zu Jahr erheblich schwanken. Die Klimawissenschaftler nennen diese Schwankungen auch Rauschen, und eine der interessanten Aufgaben, mit denen sie sich immer wieder beschäftigen, ist es, aus diesem Rauschen das eigentliche Signal, den Grad der Erwärmung, herauszufiltern.

Dabei stellt sich ihnen wie auch der Öffentlichkeit dann zum Beispiel die Frage, was von diesem oder jenem Extremereignis zu halten ist. Waren die russischen Waldbrände 2010 oder die katastrophalen Überschwemmungen am Indus im selben Jahr bereits Vorboten des Klimawandels oder nur normale Ausschläge des Systems, wie sie halt vorkommen? Und was war mit dem Elbhochwasser 2002 und der Hitzewelle 2003, die in Westeuropa Zehntausende Todesopfer forderte? Fragen, die sich nur mit einigem statistischen Aufwand beantworten lassen.

James Hansen vom Goddard Institute for Space Studies, das der NASA untersteht, hat sich mit einigen Kolleginnen und Kollegen jüngst die Mühe gemacht. Hansen, der kürzlich seinen 70. Geburtstag feierte, ist der wohl bekannteste Klimaforscher in den USA und zugleich das beliebteste Haßobjekt der selbsternannten Klimaskeptiker. Hansen und Kollegen haben in einer Studie, die dieser Tage im US-Fachblatt PNAS (Proceedings of the National Academy of Sciences) veröffentlicht wird, die sogenannte Häufigkeitsverteilung von Temperatur und Niederschlag in den Sommermonaten (Juni bis August auf der Nordhalbkugel, Dezember bis Februar auf der Südhalbkugel) unter die Lupe genommen.

Was hat es mit dieser Häufigkeitsverteilung auf sich? Die Autoren haben Daten Tausender Stationen auf der ganzen Erde – Landstationen, um genau zu sein, Schiffsmessungen gingen nicht in ihre Untersuchung ein – ausgewertet. Es ging ihnen um Abweichungen von den jeweiligen lokalen Mittelwerten. Sodann haben sie immer kleine Temperaturintervalle rausgefiltert und gezählt, wie oft eine Abweichung mit diesem Wert jeweils vorkam. Das Ergebnis für die Jahre 1951 bis 1981 ist noch ganz, wie es zu erwarten war: Die kleinsten Abweichungen sind am häufigsten und treten in fast 40 Prozent aller Fälle auf. Die größeren Abweichungen verteilen sich nach beiden Seiten symmetrisch um den Wert Null, wobei die Häufigkeit mit der Größe des Betrags schnell abnimmt. Die Variabilität hält sich also sehr in Grenzen. Das spricht für stabile klimatische Verhältnisse.

Anders hingegen das Bild in den folgenden Jahrzehnten. Zum Verständnis ist noch vorwegzuschicken: Die Kurve der global gemittelten Temperatur zeigt, daß sich die Erwärmung der Erde ab den späten 1970er Jahren deutlich beschleunigt hat. Zur lange bekannten Erwärmung kommen zwei andere Dinge. Die Zahl der größeren Abweichungen nimmt zu, die der kleinen ab. Und die Abweichungen nach oben, also die überdurchschnittlich warmen Ereignisse, nehmen besonders zu. Das ist ein bißchen, als ob Petrus angefangen hätte, mit gezinkten Würfeln zu spielen.

Aus all dem schlußfolgern die Autoren, daß die extreme Hitzewelle, die im Sommer 2010 in Teilen Rußlands eine beispiellose Serie von Waldbränden auslöste, mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Ergebnis des Klimawandels war. Dasselbe gilt für die außergewöhnliche Dürre, die seit über einem Jahr den Bundesstaat Texas fest im Griff hat und dort unter anderem der Viehwirtschaft schwere Schäden zufügt. Die Autoren schließen den Zusammenhang aus der Tatsache, daß die Wahrscheinlichkeit des Auftretens derartiger Ereignisse ohne den Klimawandel viel zu klein wäre.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 12. April 2012


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