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In der Sackgasse

Die Deindustrialisierung des Ostens ermöglicht es der Bundesregierung, sich als Klimaschutzvermittler zu inszenieren. So auch beim "Petersburger Dialog"

Von Wolfgang Pomrehn *

Um den internationalen Klimaschutz ist es schlecht bestellt. Das zeigte sich einmal mehr am Wochenende beim sogenannten Petersberger Dialog, zu dem die Bundesregierung nach Berlin eingeladen hatte. Vertreter von 35 Ländern waren gekommen, um in informellen Gesprächen über den Fortgang der Verhandlungen zu sprechen, die sich seit Jahren unter dem Dach der UN-Klimaschutzrahmenkonvention dahinschleppen.

Als wesentliches Ergebnis wurde nach den Gesprächen vom Bundesumweltministerium herausgehoben, daß man hoffe, sich auf der nächsten Weltklimakonferenz auf einen Zeitplan für weitere Verhandlungen einigen zu können. Für alle, die das Geschehen über einen längeren Zeitraum beobachten, ist das nichts als ein ziemlich absurder Witz. Ein derartiger Zeitplan, auf Neudeutsch gerne Roadmap genannt, existiert bereits seit 2007, seit der UN-Klimakonferenz auf Bali. Das Problem: Er wurde nicht eingehalten. Andernfalls wäre zwei Jahre später auf der Konferenz in Kopenhagen ein Abkommen unterschrieben worden.

Die Gründe für das permanente Scheitern sind simpel: Das Gros der Treibhausgasemissionen, im globalen Maßstab etwa 60, hierzulande fast 90 Prozent, ist mit handfesten ökonomischen Interessen verbunden. Das Kohlendioxid, um das es hauptsächlich geht, entsteht bei der Verbrennung fossiler Energieträger wie Braun- und Steinkohle, Diesel, Benzin oder Erdgas. Ersatz wäre in Form diverser Energieträger vorhanden, aber die tonangebenden Konzerne wie Exxon oder RWE, Shell oder E.on haben daran kein Interesse. Sie befürchten, wichtige Marktanteile an neue Konkurrenten zu verlieren.

Aus diesem Grund zeigen die Industriestaaten wenig Interesse an substantiellen Fortschritten. Ihre Politik gibt sich allerdings recht unterschiedlich. Deutschland ist zum Beispiel in der äußerst komfortablen Lage, seine Emissionen dank einiger einfacher Maßnahmen des Abfallmanagements und vor allem durch die Deindustrialisierung Ostdeutschlands um rund 20 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 gesenkt zu haben. Dadurch kann es sich im internationalen Rahmen als Vorkämpfer aufspielen, bestenfalls im Kleingedruckten findet man hingegen den Hinweis, daß die hiesigen Pro-Kopf-Emissionen mit immer noch etwa zwölf Tonnen pro Jahr weiter zu den weltweit höchsten gehören. Verträglich für das Klima wären gerade noch zwei Tonnen Treibhausgasausstoß pro Kopf und Jahr.

Deutlich plumper kommen da Kanada und die USA daher. Ersteres hat sich zwar im Kyoto-Protokoll verpflichtet, seine Emissionen zu reduzieren, aber faktisch nichts dazu unternommen. Schlimmer noch: Durch den zwischenzeitlich begonnenen großflächigen Abbau von Teersänden in der Provinz Alberta sind die kanadischen Emissionen erheblich angewachsen und machen ein zentrales Dilemma des Kyoto-Protokolls deutlich: Es hat keine Sanktionsmittel. Vergeblich haben Entwicklungsländer immer wieder die Aufnahme entsprechender Mechanismen in den Klimaschutzvertrag gefordert. Die Verhandlungen darüber wurden endlos verschleppt.

Noch einfacher machen es sich die USA. Sie haben zwar 1997 das Protokoll in der alten japanischen Kaiserstadt Kyoto mit ausgehandelt, es dann jedoch nicht ratifiziert, sind damit als einer von ganz wenigen Staaten zu überhaupt nichts verpflichtet.

Die lange Liste der Mitglieder des Kyoto-Protokolls läßt sich mit wenigen Klicks auf der Website des Sekretariats der Klimaschutzrahmenkonvention recherchieren. Dennoch verbreiteten hiesige Nachrichtenagenturen auch nach dem Petersberger Dialog Anfang dieser Woche wieder, China gehöre nicht dazu. Damit wird unterschwellig die Verhandlungsposition übernommen, auf die sich die USA zurückgezogen und die sich in den letzten Jahren in Abstufungen viele andere Industriestaaten zu eigen gemacht haben: Wenn die Volksrepublik keine verbindlichen Reduktionsverpflichtungen eingeht, bewegen wir uns auch nicht.

Dabei wird gerne auf die absoluten Werte der chinesischen Treibhausgasemissionen verwiesen, die angesichts einer Bevölkerung von über 1,3 Milliarden Menschen sehr hoch sind. Übersehen wird allerdings, daß trotz des enormen Wirtschaftswachstums der letzten 30 Jahre die Pro-Kopf-Emissionen in der Volksrepublik erst ein knappes Drittel der US-amerikanischen oder nur rund die Hälfte der deutschen ausmachen.

Wegen dieses großen Unterschiedes in den aktuellen Emissionen, und weil die Treibhausgase, die sich in den letzten zirka 120 Jahren in der Atmosphäre bereits angereichert haben, auf das Konto der Industriestaaten gehen, wurde sowohl in der Klimaschutzrahmenkonvention als auch im Kyoto-Protokoll das zentrale Prinzip der »gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung« festgehalten. Damit ist gemeint, daß die Industriestaaten bei der Emissionsreduktion vorangehen müssen. Daran hapert es gewaltig. Entsprechend begegnen die Länder des Südens allen Versuchen, daß Kyoto-Protokoll einfach auslaufen zu lassen und durch ein vollkommen neues Vertragswerk zu ersetzen, mit geballter Ablehnung.

Diese Position vertreten vor allem die USA und einige enge Verbündete. Die Bundesregierung versucht sich in der Vermittlerrolle. Bundesumweltminister Norbert Röttgen vermied am Montag zum Abschluß des »Dialogs«, sich in dieser zentralen Frage festzulegen. Er ließ lediglich wissen, daß das Kyoto-Protokoll nicht tot sei. Es stelle vielmehr »ein Muster« für das künftige Abkommen dar. Er verband diese windelweiche Position mit einem erneuten Affront gegen die Entwicklungs- und Schwellenländer, indem er forderte, die Reduktionsverpflichtungen des Protokolls schrittweise auf alle Länder auszudehnen. Ein Ausweg aus der Verhandlungssackgasse ist also nicht in Sicht.

* Aus: junge Welt, 7. Juli 2011


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