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Tribunale gegen Klimaverbrechen

Weltkonferenz in Cochabamba will Industriestaaten unter Druck setzen

Von Andreas Behn, Cochabamba *

Im bolivianischen Hochland hat die »Weltkonferenz der Völker« begonnen. Soziale Bewegungen und Regierungsvertreter einiger Entwicklungsländer wollen Alternativen zu den UN-Klimaverhandlungen aufzeigen.

Die Staubwolke über Nordeuropa hat die Teilnahme von rund 1000 Aktivisten an der alternativen Klimakonferenz in Cochabamba verhindert. Dennoch erwarte man über 20 000 Teilnehmer, die effektive Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe diskutieren, verkündete der bolivianische Außenminister David Choquehuanca. Das Gelände der Universidad del Valle in der Vorstadt Tiquipaya gleicht einem Volksfest, wo sich Menschen aus aller Welt den Weg an Infoständen und Musikeinlagen vorbei zu den Veranstaltungsräumen bahnen.

Die Mehrheit fand sich am Dienstag (20. April) zur offiziellen Eröffnung im Stadion von Tiquipaya ein. Der bolivianische Präsident Evo Morales schlug gewohnt radikale Töne an und erklärte den Kapitalismus zum alleinigen Schuldigen an der Erderwärmung. Initiativen wie Emissionshandel oder unverbindliche Selbstverpflichtungen erteilte er eine Absage und forderte stattdessen die Schaffung einen neuen Wirtschaftssystems: »Ein Leben im Einklang mit der Mutter Erde ist nicht möglich, wenn ein Prozent der Menschen 50 Prozent des Reichtums auf sich konzentrieren.« Weniger überzeugend waren hingegen Morales' Ausführungen zur Schädlichkeit von Coca Cola oder zum höheren Nährwert der bolivianischen Kartoffel im Vergleich zur holländischen.

Zuvor hatten Repräsentanten der fünf Kontinente für die Initiative gedankt, dem gescheiterten UN-Klimagipfel von Kopenhagen die Stimmen der Bevölkerung und der am meisten vom Klimawandel Betroffenen entgegenzusetzen. Wenig Anklang fand die Grußbotschaft von Alicia Barcena, der Repräsentantin von UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon. Sie plädierte für die Fortsetzung des multilateralen Dialogs und brach nach einem Pfeifkonzert ihr Statement vorzeitig ab. Ban erklärte sich in einer Videobotschaft bereit, »diejenigen anzuhören, die vom Klimawandel am stärksten betroffen sind, aber am wenigsten dazu beigetragen haben«.

Derweil arbeiten die 17 Arbeitsgruppen in teils überfüllten Räumen weiter an der Formulierung von Alternativen und neuen Vorschlägen, wie dem Klimawandel beizukommen sei. Im Mittelpunkt stehen, ganz nach bolivianischer Tradition, der Begriff der Mutter Erde und das Konzept des guten oder richtigen Lebens. Die Bewahrung der Natur und des Lebens wird dem Paradigma des Marktes und des Gewinnstrebens entgegengesetzt. Die Herausforderung ist, solch philosophische Ausgangspunkte in konkrete, politisch umsetzbare Maßnahmen zu transformieren.

In der Arbeitsgruppe 4 soll ein Weltreferendum zur Klimapolitik inhaltlich vorbereitet werden, das, so die Sprecherin Amalia Coaquira, noch im Oktober, also vor der UN-Klimakonferenz in Mexiko, stattfinden soll. Mehr als politischen und moralischen Druck bezweckt die Arbeitsgruppe 8, die von den Industriestaaten die Zahlung ihrer ökologischen Schuld einfordert. Im Vorfeld des Gipfels hat das Andine Parlament angeregt, über die Ausgabe von speziellen Boni einen Transfer zu den Ländern des Südens zu beginnen.

Soziale Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen wiederum planen die Einrichtung symbolischer Tribunale zu Klimaverbrechen, wie sie bereits zu anderen Themenbereichen existieren. Damit soll Evo Morales' Initiative zur Schaffung eines rechtlich bindenden Gerichtshofs zu Klimafragen nach dem Vorbild anderer UN-Gerichtshöfe unterstützt werden.

* Aus: Neues Deutschland, 22. April 2010


Aufgemuckt

Klimakonferenz in Cochabamba

Von André Scheer **


In Kopenhagen haben die »Kleinen« aufgemuckt. Sie weigerten sich während des Klimagipfels im vergangenen Dezember, das von einer exklusiven Gruppe von 28 Staaten unter Ausschluß der übrigen 164 Länder ausgehandelte Papier anzunehmen. Seither versucht vor allem Washington mit massivem Druck, die widerspenstigen Regierungen zum Einlenken und zum Unterzeichnen der »Kopenhagener Vereinbarung« zu bewegen. So wurden Ecuador in der vergangenen Woche mehrere Millionen Dollar Entwicklungshilfe gestrichen, weil sich die Regierung von Rafael Correa nach wie vor weigert, sich der Erpressung zu beugen.

Deshalb ist nicht überraschend, daß Correa zu den insgesamt fünf Staatschefs gehört, die an der im bolivianischen Cochabamba stattfindenden »Weltkonferenz der Völker über Klimawandel und die Rechte der Mutter Erde« teilnehmen. Die Initiative zu dieser Konferenz hatte Boliviens Präsident Evo Morales nach dem Kopenhagen-Gipfel ergriffen, und das Echo hat sogar ihn vollkommen überrascht. Mehr als 20000 Menschen sind in das bolivianische Hochland gekommen, um über Maßnahmen gegen die zunehmende Umweltzerstörung zu beraten.

Ganz im Gegensatz zum Riesenhype um Kopenhagen spielt Cochabamba in den deutschen Massenmedien kaum eine Rolle. Auch das ist wenig überraschend, denn die bei dieser Klimakonferenz angeschlagenen Töne haben nichts mit dem wohlgesetzten Kauderwelsch der westlichen Diplomaten bei der UN-Konferenz gemeinsam. »Der Hauptgrund für die Zerstörung des Planeten Erde ist der Kapitalismus, und wir Völker, die ihn bewohnen und die Mutter Erde respektieren, haben jedes Recht, die Ethik und die Moral, um festzustellen, daß der Hauptfeind der Mutter Erde der Kapitalismus ist, « nahm Boliviens Präsident bereits bei der Eröffnung kein Blatt vor den Mund.

Hier ist die Mutter Erde, die Pachamama, eben kein esoterisches Klimbim, das hübsch zu Erdbeertee und Räucherstäbchen paßt. Die Andenbewohner sehen mit eigenen Augen, wie die Gletscher immer schneller wegtauen und ganze Tier- und Pflanzengattungen verschwinden. In solch einer Umgebung ist wenig Platz für das in Europa und Nordamerika so beliebte endlose Diskutieren um Formulierungen, aus dem letztlich kein Handeln entsteht. Und so werden die sonst unvermeidlichen Vertreter der zahllosen steuerfinanzierten NGOs aus den Metropolen, die wegen der Aschewolke nicht nach Bolivien fliegen konnten, in Cochabamba wohl kaum vermißt.

Evo Morales hat angekündigt, daß die Ergebnisse dieses Treffens der nächsten UN-Klimakonferenz im Dezember in Cancún vorgelegt werden. Sollten sie dort ignoriert werden, wolle man die Gründung einer Alternativorganisation zur UNO ins Auge fassen. Solche Aussagen spiegeln – ebenso wie die kämpferischen Töne beim ALBA-Gipfel in Caracas zum Wochenbeginn – das neuen Selbstbewußtsein Lateinamerikas wider. Die Kleinen mucken auf.

** Aus: junge Welt, 22. April 2010


Klartext in Bolivien

Alternativgipfel in Cochabamba fordert Strafen für Klimasünder und weltweites Referendum

Von Benjamin Beutler ***


Am Dienstag (20. April) begann im zentralbolivianischen Cochabamba ein außergewöhnliches Gipfeltreffen, die »Weltkonferenz der Völker über Klimawandel und Rechte der Mutter Erde« (CMPCC). In einer verlesenen Grußbotschaft brachte der aus Uruguay stammende Schriftsteller Eduardo Galeano die Hoffnungen der Teilnehmer auf den Punkt: »Hoffentlich reden wir wenig und handeln viel«. Der Autor des Klassikers »Die offenen Adern Lateinamerikas« warnte vor einer »Inflation der Wörter«. Leeres Phrasendreschen habe Lateinamerika bisher mehr geschadet als jede monetäre Inflation. Das Treffen der sozialen Bewegungen und Regierungen aus aller Welt, das als Antwort auf den gescheiterten UN-Klimagipfel in Kopenhagen konzipiert wurde, begrüßte Galeano jedoch vollauf. Latinos, Afrikaner und Asiaten hätten die »Arroganz der reichen Länder satt«. Mit seinem grün angestrichenen Diskurs wolle der Westen nur die »Entführung unseres Planeten« verschleiern, so Galeano wütend. So sei es kein Wunder, daß Bolivien Initiator und Ausrichter der CMPCC sei. Nach 500 Jahren Unterdrückung, Ausbeutung sowie »verleugneter Existenz« würden sich die Indigenen des Andenlandes zu Wort melden und sich dabei allmählich selbst wiederentdecken.

Auch Gastgeber Evo Morales fand bei der Eröffnungsveranstaltung in dem Vorort Chiquipaya vor rund 20000 Gipfelteilnehmern klare Worte. »Der Kapitalismus nimmt die Mutter Erde in Geiselhaft, um ihre Ressourcen zu plündern, ihre Söhne und Töchter auszubeuten und ihre Flüsse und Seen zu vergiften«, warnte der Staatschef in seiner einstündigen Eröffnungsrede. Um den Kapitalismus als »obersten Feind der Menschheit« zu besiegen, gelte es, die »sozialen Bewegungen auf der Welt« zu stärken. Besonders die Indigenen-Bewegung verfüge über eine »echte Alternative zu den herrschenden Entwicklungsmodellen«. Das traditionelle Wissen von Generationen und die alten Erfahrungswelten über »das Leben und die Mutter Erde, in Bolivien als Pachamama bekannt, « könne Wissenschaftlern, Historikern, Soziologen und Anthropologen mit europäischem Weltbild neue Perspektiven eröffnen. Während Globalisierungsgegner aus Afrika, Asien, Kanada, den USA und Europa Plakate mit Losungen wie »Das Gesellschaftsmodell muß sich ändern, nicht das Klima!« in die Luft hielten, stieß die Chefin der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL), Alicia Bárcena, die als Vertreterin von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon angereist war, nur auf wenig Aufmerksamkeit der Teilnehmer. Aus Enttäuschung über Bans Abwesenheit und die Ereignisse in Kopenhagen schallte der Mexikanerin ein Pfeifkonzert aus Tausenden Mündern entgegen. »Wir können auch gehen«, zeigte sich Bárcena entrüstet, brachte ihre Rede dann aber doch zu Ende.

17 Arbeitsgruppen begannen anschließend, über Klimawandel und seine Folgen für Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft zu diskutieren. Teil der Abschlußerklärung wird die Forderung nach Gründung eines internationalen Klimagerichtshofes sein. Bestraft werden sollen dann Länder, die ihre CO2-Emissionen nicht reduzieren. Um in Zukunft undemokratischen Klimaabkommen der G-8-Staaten zu begegnen, soll außerdem ein weltweites Klimareferendum stattfinden. Auch bei der Kopenhagen-Folgekonferenz im Dezember im mexikanischen Cancún sollen die Vorschläge von Cochabamba beraten werden. Auch dort will Morales den Großen auf die Füße treten: »Entweder stirbt der Kapitalismus, oder es stirbt die Erde«. Sollten die Vorschläge der CMPCC in Cancún ignoriert werden, will der bolivianische Präsident eine Alternativorganisation zur UNO ins Leben rufen, die »Einheit der eingeborenen Völker und Arbeiter« – deren Abkürzung im spanischsprachigen Original ebenfalls UNO wäre.

Unfreiwillig ausgeschlossen von den Beratungen blieben zahlreiche Gäste aus Europa. »Leider können wir an der Konferenz wegen der Flugverbote nicht teilnehmen, « erklärte beispielsweise Nino David Jordan vom Netzwerk Attac. Die Globalisierungskritiker wollen notgedrungen mit der Liveübertragung der Debatten vorlieb-nehmen, die in spanischer und englischer Sprache im Internet angeboten wird: envivo.cmpcc.org.bo

*** Aus: junge Welt, 22. April 2010


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