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"Grün" aus der Krise?

Streit um internationalen Klimavertrag setzt Thema Ökologie wieder auf die Tagesordnung. Ein Diskussionsbeitrag zur heute beginnenden Konferenz von ATTAC

Von Alexis Passadakis *

Am 2. August startet eine neue Runde der UN-Klimaverhandlungen in Bonn. Spätestens nach dem Kollaps des Gipfels von Kopenhagen ist allerdings klar, daß es ein umfassendes Abkommen in absehbarer Zukunft nicht geben wird. Ein Hauptgrund dafür sind die Konflikte um Produktionsstandorte, Märkte und Rohstoffe im kapitalistischen Weltsystem. Die durch den Aufstieg der Schwellenländer entstehende multipolare Konstellation verschärft die Konkurrenz. In diesem Kontext hat das Scheitern des US-Klimagesetzes im Senat in der vergangenen Woche die Chancen für globale Vereinbarungen noch einmal deutlich sinken lassen.

Ungeachtet dessen gewinnt die Herausbildung eines »grünen« Kapitalismus weiter an Fahrt. Er wird den fossilistischen Kapitalismus in absehbarer Zeit nicht ersetzen. Statt dessen wird durch ihn das herrschende Energiesystem durch erneuerbare Energien ergänzt, um Versorgungssicherheit zu garantieren. Neue Akkumulationsmöglichkeiten sind außerdem angesichts der sich seit 2007 entfaltenden Weltwirtschaftskrise höchst willkommen. Deshalb beginnt ein wachsender Teil von Politikern und Unternehmern, Ökonomie durch eine »grüne« Brille zu betrachten. »Grün« ist das neue Spektakel. Kaum jemand will den nächsten Technologieboom verpassen: von IT (Information Technology) zu ET (Environmental Technology).

Deshalb hört man inzwischen sogar EU-Energiekommissar Günther Oettinger von einer Abkehr vom Öl sprechen, und ein Ende der Kohleverstromung gewinnt in Ministerien immer mehr Anhänger. Selbst wenn sich die Statements zum Teil auf dem Niveau von Sonntagsreden bewegen, mit Slogans wie »grün« und »nachhaltig« läßt sich ein energetisch erneuerter Kapitalismus legitimieren, ohne daß die Wurzel des Übels, die Produktions- und Konsumverhältnisse, angepackt wird. Wie sozial und ökologisch verheerend vermeintlich »nachhaltige« technologische Lösungen sind, wurde z.B. bei den agroindustriellen Kraftstoffen umfangreich dokumentiert.

Allerdings werden von Linken vielfach zum einen die Dynamik der Biokrise (d. h. die Kombination aus Klimakrise, Fördermaximum von Öl, Verlust der Artenvielfalt, Degradation von Böden etc.) und ihre sozialen Folgen unterschätzt; zum anderen die Möglichkeit einer »grünen« Transformation des Kapitalismus, die mit einer Stabilisierung ungerechter sozialer Verhältnisse und der Erschließung neuer Legitimitätsressourcen für den herrschenden (neoliberalen) Block einherginge.

Linke Politik, die sich diesen Problemen stellt, steckt dann in einer strategischen Sackgasse, wenn CO2 als Hauptproblem identifiziert wird und einige Technologien (Atomkraft, Agrokraftstoffe, CCS etc.) als bekämpfenswert, andere (Windkraft, Solarthermie etc.) als Hauptlösung gesehen werden. Aktuelle Umweltpolitik ist in der Tat im wesentlichen an marktorientierten und technologischen Lösungen interessiert. Fruchtbar scheint, die Eigentums- und Demokratiefrage als Angelpunkt für Auseinandersetzungen um Energie, Ressourcen und Natur zu wählen.

Emanzipatorische Akteure, die ihre ökologische Politik als Teil des Ensembles sozialer Kämpfe um die Produktions- und Konsumtionsweise verstehen, hätten daher zu fragen: 1.Wie kann Energieversorgung ent- und angeeignet werden? Welche Formen dezentraler, demokratisch kontrollierter - öffentlicher oder genossenschaftlicher - Energieversorgung sind denkbar? 2.Sozial und solidarisch: Wie kommen wir zu sozialen Preisen oder kostenlosen Segmenten von Basisdienstleistungen wie Transport und Verkehr? Wie können Umbrüche am Arbeitsmarkt, z.B. durch Arbeitszeitverkürzungs- und Investitionspolitik, abgefedert werden?

Darüber hinaus steht mit der aktuellen Krise des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus die Auseinandersetzung um ein neues Wachstumsregime auf der Tagesordnung. Angesichts des Klimawandels und des Fördermaximums von Öl hat die Suche nach einer Ökonomie jenseits des Wachstums bereits begonnen. Während Neoliberale à la Kurt Biedenkopf (CDU) und Meinhard Miegel mit der Warnung vor vor ökologischen Grenzen den Sozialstaat als Konsummotor verschrotten wollen, werden von linker Seite radikale Arbeitszeitverkürzung, demokratische Investitionskontrolle und das Konzept der Allmende diskutiert.

Mit einer Umweltgerechtigkeitspolitik, die auf demokratischer Kontrolle der Ökonomie und emanzipatorischen Konzepten einer solidarischen Postwachstumsökonomie basiert, bieten sich letztlich Anknüpfungspunkte zu den Abwehrkämpfen gegen die aktuelle Streich- und Kürzungspolitik. Den absehbar defensiven Kämpfen gegen Sozialkahlschlag könnte so ein offensiver Charakter gegeben werden. Und es könnte der Gefahr vorgebaut werden, daß sich die herrschende Politik ein »grünes« Mäntelchen umhängt und als neues hegemoniales Projekt einer neofeudalistischen, »nachhaltigen« Gesellschaft unversehens fröhliche Urständ feiert.

* Alexis Passadakis ist Mitglied im ATTAC-Koordinierungskreis

Aus: junge Welt, 29. Juli 2010



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