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Mit kaltem Kalkül

Hintergrund. Unter deutschem Vorsitz erklärte der UN-Sicherheitsrat im Juli den Klimawandel zur »Bedrohung für die internationale Sicherheit«. Die Anzeichen für eine Militarisierung der Klimapolitik mehren sich

Von Mario Tal *

Wir zahlen unseren Aktionären traditionell eine hohe Dividende.« Und »auch für das Katastrophenjahr« gilt nach Torsten Jeworrek, Vorstand des weltgrößten Rückversicherers Munich Re, im Tagesspiegel-Interview vom 12. September 2011: »Wir bemühen uns um Kontinuität. Wenn nicht etwas ganz Schlimmes passiert, sollte es machbar sein, die Dividende bei 6,25 Euro wie im Vorjahr zu lassen.« Auch wenn die Hurrikansaison noch am Anfang steht, bleibt Jeworrek gelassen: »Wir hatten 2011 eine außergewöhnliche Häufung von Naturkatastrophen. Bis jetzt war es ein extremes Jahr mit unglaublich viel menschlichem Leid. Für uns als Versicherer ist das aber beherrschbar. Naturkatastrophenrisiken zu versichern ist unser Kerngeschäft.« Und das brummt. Entsprechend rentabel sind inzwischen CAT-Bonds – CAT wie englisch »catastrophe« (siehe jW vom 2.2.2011). Die Mitte der 1990er Jahre eingeführten ebenso riskanten wie hochverzinsten Katastrophenanleihen versprechen den Emittenten – meist Versicherungsunternehmen bzw. Rückversicherer – ein profitables Geschäft, und das mit anhaltendem Trend: Erwartet wird, daß das Volumen der auch »Act-of-God-Bonds« genannten Anleihen 2011 auf insgesamt rund sechs Milliarden Dollar klettert (2010 waren es noch 4,8 Milliarden).

Konzentriert sich der Blick auf Gewinnmargen, so ist die Berichterstattung über Wetterkapriolen nicht immer von Mitgefühl geprägt. Die New York Times berichtete im März 2011: »Wenn man nicht Teil dieser Kultur [der Superreichen] ist, versteht man wahrscheinlich kaum das kalte Kalkül, mit dem Weltereignisse, wie schrecklich sie auch sind, beurteilt werden. So kommentierte der Nachrichtenmoderator des Fernsehkanals CNBC, Larry Kudlow, das große Erdbeben in Japan vom 11. März 2011 mit den Worten: ›Die menschlichen Verluste scheinen viel schlimmer zu sein als die ökonomischen, und dafür können wir dankbar sein.‹«

Strategische Planspiele

Die Sicherstellung von Dividenden in Zeiten zunehmender Naturkatastrophen verlangt weitsichtige Anstrengungen. Dabei will auch die Absicherung von geopolitischen Interessen und des Zugangs zu Rohstoffen nicht dem Zufall überlassen sein. Ebenfalls in der New York Times wurde im August 2009 ein Beitrag lanciert, der strategische Planungen aus Kreisen von CIA, Pentagon und NATO sowie angeschlossener Thinktanks einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machte. Demnach würde die globale Erwärmung »die USA in den kommenden Jahrzehnten vor schwere strategische Herausforderungen stellen. (…) Der Klimawandel könnte dazu führen, daß militärische Interventionen nötig seien.«

Unter den US-amerikanischen Thinktanks sind das Center for Naval Analysis (CNA), das Center for Strategic and International Studies (CSIS) und das Center for a New American Century (CNAS) hervorzuheben. Letzteres agiert unter dem Vorsitz von John Nagl, Autor von Schriften über Aufstandsbekämpfung für die US-Armee. Kurz nach seiner Gründung 2007 legte das CNAS gemeinsam mit dem CSIS, unter Mitarbeit des ehemaligen CIA-Direktors James Woolsey, die Studie »Age of Consequences: The Foreign Policy and National Security Implica­tions of Global Climate Change« vor. Die diversen Bemühungen um das Thema schlugen sich auch im 2010 erschienenen »Quadrennial Defence Review« nieder: »Klimawandel könnte bedeutende globale geopolitische Auswirkungen haben (…) und so zivilen Institutionen und Militär rund um die Welt die Last einer Antwort auferlegen«, so der Bericht, in dem regelmäßig die mittel- und längerfristige Militärplanung der USA umrissen wird. Damit werde »zunehmend klar, wie wichtig Klimawandelszenarien in der militärischen Planung etlicher Großmächte bereits heute sind, und ihre Relevanz nimmt ständig zu«, so der Militärhistoriker ­Gwynne Dyer, der sein 2010 auf Deutsch erschienenes Buch »Schlachtfeld Erde. Klimakriege im 21. Jahrhundert« auch im NATO-Hauptquartier in Brüssel präsentierte.

Verstärkt setzen USA und EU-Staaten im Bereich der »Klimasicherheit« auf Kooperation. Ein anderes Resultat dessen war in jüngerer Zeit ein »Transatlantic Dialogue on Climate Change and Security«, durchgeführt vom International ­Institute for Strategic Studies (IISS) und unterstützt von der Europäischen Kommission. In einem zusammenfassenden Bericht vom Januar 2011 empfiehlt der Thinktank aus dem Dunstkreis der NATO: »Das Militär sollte auf schnellere und komplexere Interventionen in Regionen vorbereitet sein, die von Katastrophen betroffen sind. (…) Indem sich Europa mit den Sicherheitsrisiken des Klimawandels befaßt, kann es Beziehungen zu einigen der Schlüsselgruppen (…) in den USA aufbauen – dem Militär, den Geheimdienstgemeinschaften und vermögenden Geschäftskreisen.«

Die NATO selbst macht sich das Thema zunehmend zu eigen. Jamie Shea, Direktor für Politikplanung im Privaten Büro des NATO-Generalsekretärs Anders Fogh Rasmussen, möchte das Militärbündnis als »strategische Drehscheibe« sehen, »um die Problematik [des Klimawandels] international aufzuwerten«. Es sei nicht auszuschließen, »daß es in Zukunft einen ›Artikel 5 zum Klimawandel‹« geben könne (bislang gilt die in diesem Artikel des NATO-Vertrags enthaltene Beistandsklausel ausschließlich bei bewaffneten Angriffen). Folgerichtig gibt es bei der NATO Überlegungen, eine »Rapid Response Force« einzurichten, die bei Naturkatastrophen eingesetzt werden soll. Admiral T. Joseph Lopez, ehemals hochrangiger Befehlshaber des Militärpakts in Bosnien-Herzegowina, setzt noch einen drauf: »Der Klimawandel bildet die Voraussetzung dafür, daß sich der Krieg gegen den Terror ausweitet.«

»Robuste« Maßnahmen

Auch Deutschland ist mittlerweile auf den in den USA gestarteten Zug »Klimasicherheit« aufgesprungen. Mit einem besseren umweltpolitischen Ruf als manch anderer NATO-Staat versucht man, sich sogar an die Spitze derjenigen zu setzen, die unter dem Deckmantel der Klimapolitik Großmachtinteressen verfolgen. 2009 hieß es in dem Papier »Klimawandel – ein Fall für die internationale Sicherheitspolitik?« der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik: »Die Stabilität internationaler Beziehungen stützt sich wesentlich auf die Verfügbarkeit physischer Zwangsmittel. Dies zeigen nicht zuletzt die Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates, die zu ihrer Durchsetzung unter bestimmten Voraussetzungen auf Streitkräfte der NATO oder internationaler Koalitionen angewiesen sind. Sicherheitspolitisch gesehen verschärft sich mit dem Klimawandel (…) vor allem der Wettbewerb um knapper werdende Ressourcen der politischen Herrschaftssicherung.«

Unter den Thinktanks, die das Thema hierzulande vorantreiben, ist die in Berlin ansässige adelphi consult GmbH federführend. Bereits 2001 war deren Geschäftsführer Alexander Carius an einem »NATO-Workshop« mit dem Titel »Responding to Environmental Conflicts« beteiligt. 2009/2010 betreute adelphi im Auftrag der Europäischen Kommission das Projekt »Klimawandel und internationale Sicherheit«. Von Mai bis Oktober dieses Jahres führt adelphi für das Auswärtige Amt in Kooperation mit dem Forschungsbereich Climate Change and ­Security (CLISEC) und dem Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) der Universität Hamburg sogenannte Climate Security Dialogues durch. Die inhaltliche Richtung steckte Dennis Tänzler, »Senior Projektleiter« bei adelphi, in einem Beitrag für die diesjährige März/April-Ausgabe der Zeitschrift Politische Studien, herausgegeben von der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung, ab. Mit Blick auf die im Dezember 2011 anstehende UN-Klimakonferenz im südafrikanischen Durban sei ein »robuster Anpassungsrahmen« anzustreben; es gelte, »einen langfristigen Rahmen der Klimaschutzfinanzierung zu etablieren, die bei konfliktsensitiver Ausrichtung auch außen- und sicherheitspolitische Ziele befördern kann, beispielsweise wenn gezielt Ressourcenkooperationen in fragilen Regionen unterstützt werden«. Tänzlers Ausführungen sind zwar diplomatisch verklausuliert, aber zumindest der Begriff »robust« ist verräterisch. Folgerichtig fordert Tänzler, »die Herausforderungen der Klimasicherheit« bei den »derzeit im Aufbau befindlichen Strukturen des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD)« zu verankern. Also bei jener Einrichtung, bei der gerade militärische Strukturen eine bedeutende Rolle spielen sollen. Doch der adelphi-Mitarbeiter wird kaum konkret, wenn es um die militärische Flankierung der Klima- und Energiepolitik der EU geht. Zwar verweist er auf den EU-Bericht »Klimawandel und internationale Sicherheit« von 2008, nicht aber auf die darin enthaltene Forderung nach möglicher »Anwendung ziviler und militärischer Krisenbewältigungs- und Katastrophenschutzinstrumente, um zu der Reaktion auf die durch den Klimawandel hervorgerufenen Sicherheitsrisiken beizutragen.« Dabei wird Tänzler auch die 2009 veröffentlichte Studie des European Union Institute for Security Studies kennen, in der erklärt wird: »Unter militärischen Gesichtspunkten (…) kann das ›worst case scenario‹ gegen 2020, wenn die ökologische Krise wirklich ernst wird, Anforderungen an robustere Machtbefugnisse einschließen.«

BRD prescht vor

Politische und militärische Planspiele in Hinterzimmern sind das eine, das andere sind deren operativen Vorbereitungen. Im Dezember 2009 nahm die mit hochrangigen Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Medien gespickte Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik über ihre Zeitschrift Internationale Politik Guido Westerwelle ins Gebet: In dem Beitrag »Aktive Klimaaußenpolitik. Sechs Empfehlungen für den Außenminister« wurde auf »den Zugang zu Rohstoffen« als entscheidende Frage bei der Neuausrichtung der internationalen Beziehungen an der »globalen Strukturfrage Klima« orientiert. Strategisch müsse »die führende Rolle Deutschlands« bei der »Formulierung dieser neuen Weltregeln« noch stärker als bisher zum Tragen kommen. Die Zeit, einen entsprechenden Pflock einzuschlagen, war gekommen, als Deutschland im Juli 2011 im UN-Sicherheitsrat turnusmäßig den Vorsitz hatte. Es galt, die Initiative für eine Resolution einzubringen, nach deren Verabschiedung der Außenminister erleichtert sagen sollte: »Daß jetzt auch der Sicherheitsrat die Gefahren des Klimawandels anerkannt hat, ist ein wichtiger Erfolg der deutschen Klimadiplomatie.« Denn: »Knappe Ressourcen und Verteilungskämpfe infolge des Klimawandels können den Frieden in vielen Regionen der Welt nachhaltig gefährden.«

Zur Vorarbeit gehörte eine internationale Diskussionsveranstaltung mit etwa einhundert Vertretern aus Politik und Forschung am 20. Mai 2011 im Deutschen Haus in New York, zu der die Ständigen Vertretungen Deutschlands und Portugals bei der UNO in Kooperation mit adelphi eingeladen hatten. Ziel war, »die sicherheitsrelevanten Bedrohungen des Klimawandels (…) in Vorbereitung der geplanten Sicherheitsratsbefassung zu erörtern«, wie das Auswärtige Amt mitteilte. Als Hauptredner wurde ein Repräsentant eines pazifischen Inselstaates gewonnen. Protokolliert wurde: »Der Außenminister der Marshallinseln, H.E. Hon. John Silk, verdeutlichte (…) eindrücklich, wie bereits heute der Meeresspiegelanstieg sichtbar die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln und Wasser in seinem Land beschränke. Die resultierende Ressourcenknappheit würde Konflikte geradezu einladen.« Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich der Außenminister der ozeanischen Insel indes als Alibiredner eines Staates, mit dessen Verteidigungspolitik laut einem freien Assoziierungsvertrag von 1983 die USA betraut sind.

Rolle der NATO

Ebenfalls in die Monate vor der Erklärung des Sicherheitsrates fiel ein Besuch von Konter­admiral Neil Morisetti in Berlin. Der Klima- und Energiesicherheitsbeauftragte des britischen Verteidigungs- und Außenministeriums weilte am 15./16. März mit einem vollen Terminkalender in der deutschen Hauptstadt: Zunächst war er bei dem NATO-freundlichen Berliner Thinktank Ecologic Institute zu Gast bei einem Lunchgespräch über die »Implikationen des Klimawandels für die nationale Sicherheit«. Am Nachmittag referierte er in der britischen Botschaft zur »Klimasicherheitsstrategie und zu den bisherigen Erfahrungen als Sonderbeauftragter für Klimasicherheit«. Die Moderation übernahm Susanne Dröge vom Deutschen Institut für internationale Politik und Sicherheit, zugegen war Personal aus dem Auswärtigen Amt sowie den Bundesministerien für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung und Umwelt. »Im Anschluß an den Vortrag entspann sich eine angeregte Diskussion, in der auch die potentielle Rolle der NATO in der Debatte um die Klimasicherheit und die Fortschritte angesprochen wurden, die in Großbritannien, Deutschland, der EU und der NATO im Umgang mit den sicherheitspolitischen Implikationen des Klimawandels bisher gemacht worden sind«, so die britische Botschaft. Tags darauf »führte Konteradmiral Morisetti dann Gespräche mit dem Zentrum für Transformation der Bundeswehr, um sich dort über die derzeit laufenden Forschungsprojekte zum Thema Klimasicherheit zu informieren«.

Daß Morisetti aus dem vollen schöpfen kann, liegt auch an der ambitionierten britischen Sicherheitspolitik. In der Schnittmenge zur Klimapolitik tut sich vor allem der 2004 gegründete Thinktank E3G hervor, dem mit Nick Mabey ein einstiger strategischer Berater von Premierminister Anthony Blair vorsteht. Im Februar 2011 zeichnete Mabey mitverantwortlich für eine 179seitige Studie zur Untersuchung von Risikoausmaßen im Bereich der Klimasicherheit. Worauf es ihm ankommt, hatte er bereits 2008 in einem Interview mit der Internetplattform »businessGreen« dargelegt: »Für den Verteidigungssektor des Vereinigten Königreiches stellt sich die Frage, wie wir im Lichte der Bedrohung durch den Klimawandel die Sicherheit und die Interessen von 60 Millionen britischen Bürgern und 450 Millionen Europäern schützen.« Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, daß Großbritannien 2007 erstmals das Thema Klimawandel auf die Agenda des UN-Sicherheitsrates setzte.

Nach vier Jahren stand es nun jüngst ebendort wieder auf der Tagesordnung – und die deutschen Motive können getrost als die gleichen wie die britischen betrachtet werden: »Klimawandel darf man nicht nur wissenschaftlich sehen, sondern von einem geopolitischen und sicherheitspolitischen Standpunkt«, ließ Achim Steiner, Leiter des UN-Umweltprogramms ­UNEP, wissen. Laut Tagesspiegel (vom 21.7.2011) referierte der Exekutivdirektor im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen »die Fakten, die nahezu sämtliche Verteidigungsministerien der westlichen Welt zu der Einschätzung gebracht haben, daß der Klimawandel sicherheitsrelevant ist«. Und das mit Erfolg: Unter der einmonatigen deutschen Ratspräsidentschaft verabschiedeten die 15 vertretenen Staaten eine »präsidentielle Erklärung«, derzufolge »mögliche ungünstige Folgen des Klimawandels auf lange Sicht eine Bedrohung für den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit darstellen könnten«. »Uns geht es im Kern darum, den Sicherheitsrat in einen Modus der Krisenprävention zu schalten«, so Peter Wittig als turnusmäßiger Vorsitzender des Gremiums. Im Klartext heißt das, bei allen diplomatischen Zugeständnissen konnte vor allem eines durchgesetzt werden: Der UN-Generalsekretär wird von nun an aufgefordert, die sicherheitsrelevanten Auswirkungen des Klimawandels in seine Berichte an den Sicherheitsrat aufzunehmen – in der Debatte warnte Ban Ki Moon bereits »vor den Auswirkungen des Klimawandels auf die internationale Sicherheit«. Denn darum geht es im Kern: Die Übertragung der Zuständigkeit für Klimapolitik an jenes Gre­mium, das, wie zuletzt bei der Libyen-Resolution, mitunter Kriegspartei ist.

Eine »Grünhelm-Armee«?

Die jüngsten Erfahrungen lehren: Auch die klimapolitische Erklärung des UN-Sicherheitsrates sollte man nicht für das halten, was zu sein sie vorgibt – einen wirksamen Schritt gegen die Folgen des Klimawandels. Leichtfertig erklärte etwa Greenpeace, es mache »Hoffnung, daß der UN-Sicherheitsrat endlich erkennt, welche Bedrohung der Klimawandel für den Weltfrieden darstellt«, so die Klimaexpertin Anike Peters. Da es sich der Sache nach vielmehr darum handelt, geostrategische Interessen abzustecken und den Zugang zu Ressourcen sicherzustellen, mußte die russische Delegation zunächst in diplomatischen Hinterzimmern bearbeitet werden – laut Tagesspiegel (vom 21.7.2011) brauchte »der deutsche Präsident des Sicherheitsrats Wittig schließlich Hilfe vom Kanzleramt. Aus UN-Kreisen hieß es, erst direkte Gespräche zwischen Berlin und Moskau hätten den Durchbruch für eine abgeschwächte Formulierung gebracht«. Und das zum Ärger der US-Delegation, die die Erklärung nicht »verwässert« sehen wollte. Zumal laut Zeit online »die Euphorie zwischenzeitlich so groß [war], daß manche gar von der Möglichkeit einer Grünhelm-Armee sprachen«. Das mag Erinnerungen an die strategisch bedeutende Besetzung Haitis durch die US-Armee infolge des verheerenden Erdbebens Anfang 2010 wecken.

Und wie fiel das Urteil der genannten Denkfabrik adelphi aus, die erklärtermaßen die »Vorbereitung der Sicherheitsratssitzung begleitet« hatte? »›Das ist mehr, als zu erwarten war, gab es doch erhebliche Widerstände unter den ständigen Sicherheitsratsmitgliedern gegen eine solche Abschlußerklärung‹, erklärt Alexander Carius, Mitbegründer und Geschäftsführer von adelphi, der selbst in New York anwesend war. (…) ›Damit werden UN-Sonderorganisationen und -Programme mandatiert, sich zukünftig verstärkt mit der geostrategischen und außenpolitischen Bedeutung des Klimawandels zu befassen.‹«

Grüne weiter auf Kriegskurs

Und dennoch, einer war unzufrieden: Grünen-Politiker Cem Özdemir, der auch aus eigenem Karriere­interesse die genannten »Sechs Empfehlungen für den Außenminister« studiert haben wird. In einem Beitrag für die parteinahe Heinrich-Böll-Stiftung kritisierte er die deutsche Initiative im Sicherheitsrat als »wenig ambitioniert«. Die US-Delegierte Susan Rice sei »wesentlich engagierter« aufgetreten. Es sei deutlich geworden, so der Transatlantiker Özdemir, »wie weit die deutsche Außenpolitik von den avancierten Debatten zu Klimasicherheit in den USA und Groß­britannien entfernt ist. Im Pentagon wird Klimawandel inzwischen als ›Gefahrenverstärker‹ in die strategische Planung einbezogen«. Man habe »die strategischen Sicherheitsdiskussionen wichtiger NATO-Partner« übersehen und sich schließlich »von Rußland vorführen« lassen. »Das Auswärtige Amt hat die Option, die Bundesrepublik in einem der wichtigsten Zukunftsthemen in eine internationale Führungsrolle zu bringen, verspielt.« Man habe, so der grüne Bellizist, »in Sachen Klima und Sicherheit« eine Chance vertan, »die deutsche Außenpolitik, nach der fatalen Enthaltung in der Abstimmung zur Libyen-Intervention, in der internationalen Gemeinschaft und unter Alliierten zu rehabilitieren«. Mit Nachdruck empfiehlt sich Özdemir so für das Amt des Außenministers. Das Establishment sollte es ihm danken, schließlich droht auch die anstehende Erneuerung der Energiepolitik mit einer aggressiven Außenpolitik einherzugehen. Georg Fülberth in einem Beitrag über das »strategische Bündnis zwischen Schwarz und Grün«: »Solarstrom aus der Wüste – siehe das Desertec-Projekt – setzt militärische und politische Dominanz über die Lieferregionen voraus. Die deutsche Energiewende wird als Teil eines imperialistische Projekts bessere Chancen haben.« Gerade eine »Grünhelm-Armee« sollte sich am besten legitimieren lassen mit Hilfe jener Partei, unter deren Außenminister Joseph Fischer Deutschland bei der Bombardierung Jugosla­wiens 1999 das erste Mal seit 1945 wieder in einen Angriffskrieg zog.

Unterdessen verlieren sich bei der SPD auch noch im Mittelbau Ansätze einer kriegsablehnenden Haltung. Unter dem Motto »Gefährdet der Klimawandel den Weltfrieden?« fanden im Dezember 2010 die 24. Friedensgespräche der Vaterstettener SPD statt. Deren umweltpolitischer Sprecher im bayerischen Landtag, Ludwig Wörner, erklärte auf dem Podium: »Der Griff zur Knarre darf keine Lösung für die Probleme durch die Erderwärmung sein.« Richtig, doch wurde hier vor allem auf Bürgerkriege auf der Südhalbkugel angespielt. Vielleicht hätte sich die Frage anschließen sollen: Haben in einer Ära »neuer Kriege« nicht erst einmal Washington, London, Paris, Berlin und Brüssel den Finger am Abzug? So wie heute im Namen von Menschenrechten, so werden wohl künftig Kriege mit klimapolitischen Argumenten geführt. Wenn sich dagegen kein Widerstand regt.

* Mario Tal ist in der Erwachsenenbildung tätig. Vom Autor erschien zuletzt: Mario Tal (Hg.): Umgangssprachlich: Krieg. Testfall Afghanistan und deutsche Politik, PapyRossa Verlag, Köln 2010.

Aus: junge Welt, 6. Oktober 2011



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