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Klimawandel und Krieg

Hintergrund. Militärstrategen entdecken Katastrophenmanagement als Herausforderung. Über eine »Schnelle Eingreiftruppe« wird bereits laut nachgedacht

Von Mario Tal *

Madeleine Albright ist noch immer umtriebig. Gern bringt sich die ehemalige US-Außenministerin in die NATO oder in befreundete Think-tanks ein. Beispiel 1: Als Kopf einer Expertengruppe aus zwölf Ländern legte sie im Mai 2010 das sogenannte Albright-Papier vor. Dessen Inhalte sollen in die neue NATO-Strategie einfließen, die beim nun anstehenden Gipfel des Bündnisses in Lissabon verabschiedet werden soll. Neben anderen gewichtigen Themen heißt es in dem Papier unter dem Punkt »Klimawandel«: »Die NATO könnte (...) aufgefordert sein zu helfen, die Herausforderungen an die Sicherheit zu bewältigen, die von solchen Folgen des Klimawandels stammen wie dem Schmelzen der Polkappen oder zunehmenden (...) Naturkatastrophen. Das Bündnis sollte diese Möglichkeit im Auge behalten, wenn es sich auf künftige Eventualitäten vorbereitet.«

Beispiel 2: Unter Leitung von Albright tagte 2008 in Kopenhagen die »Aspen Atlantic Group«, eine »parteienübergreifende Initiative von ehemaligen Außenministern aus Nordamerika und Europa«, die sich erklärtermaßen dem »Kampf gegen den Terrorismus, (...) humanitären Interventionen und der Reform der transatlantischen Architektur« verschrieben hat.

Die Schirmherrschaft liegt bei der »Aspen Strategy Group«, zu deren erlauchtem Kreis u.a. gehören: Paul Wolfowitz (ehemaliger stellvertretender US-Verteidigungsminister), James Woolsey (ehemaliger CIA-Direktor), Robert Gates (US-Verteidigungsminister). In der dänischen Hauptstadt diskutierte man – auch unter Teilnahme von Joseph Fischer (Die Grünen) – über »europäische und amerikanische Ansichten zum Klimawandel: Aussichten für eine gemeinsame transatlantische Agenda«. In der abschließenden Erklärung, im Boston Globe ( 8. April 2008) veröffentlicht unter der Überschrift »Coming together on climate«, hieß es: »Unsere Regierungen müssen erkennen, daß der Klimawandel eine potentiell verheerende Bedrohung unserer Sicherheit und unseres Wohlstandes darstellt. Es ist weder zu spät, um zu handeln, noch zu früh dafür, daß unsere besten Diplomaten mit ihrer Arbeit weiterkommen.« Zur Erinnerung: Gemeint ist jene Albright, die 1996 gegenüber dem Fernsehsender CBS auf die Frage, ob die einstigen Sanktionen gegen den Irak den Tod von einer halben Million Kinder wert gewesen seien, antwortete: »Wir glauben, das ist es wert.« (zitiert nach: Le Monde Diplomatique, 10. September 2010)

Bündnisfall Klima

Die Figur Albright ist austauschbar. Beispielsweise mit Jamie Shea, Direktor für Politikplanung im Privaten Büro des NATO-Generalsekretärs Anders Fogh Rasmussen. Mit jenem Shea, der 1999 als NATO-Pressesprecher die Bombardierung von Umspann- und Wärmekraftwerke wie folgt kommentierte: »Die Tatsache, daß die Lichter in 70 Prozent des Landes ausgingen, zeigt, denke ich, daß die NATO jetzt in Jugoslawien ihre Finger am Lichtschalter hat, und daß wir den Strom abstellen können, wann immer wir müssen, wo immer wir wollen.«

Auch Shea wirkte an der neuen Strategie des Militärbündnisses mit. Wohlgemerkt, zu dessen Säulen zählt die Frage des Klimawandels derzeit nicht – was sich jedoch mittelfristig ändern könnte. Anzeichen dafür gibt es aus der NATO selbst, aber auch aus ihr zuarbeitenden Think-tanks, aus US-amerikanischen Sicherheitsstrategien sowie aus EU-Plänen. Shea unterstrich den Stellenwert der Klimafrage für das transatlantische Militärbündnis bereits mehrfach. So etwa im Vorfeld des NATO-Gipfels in Strasbourg und Kehl von April 2009, als die NATO-Abteilung für Public Diplomacy und Carnegie Europe eine Diskussion über »Die nächste Generation von Sicherheitsbedrohungen« und eine Neuausrichtung der NATO initiierte. Auf der Eröffnungsveranstaltung gab Andreas Kraemer von dem in Berlin ansässigen Ecologic Institute einen Kommentar zu der Frage »Sollte der Klimawandel eine Priorität für die NATO sein?« ab.

Sein Institut protokollierte: »Die NATO wird (...) entscheiden müssen, mit welchen Bedrohungen sie sich auseinandersetzt. R. Andreas Kraemer vertrat die Auffassung, daß der Klimawandel und die Sicherheitsaspekte von Ressourcenknappheiten eine Priorität für die NATO darstellen sollten. Auch wenn es angesichts der durch den Klimawandel ausgelösten Probleme häufig keine Rechtfertigung für militärisches Eingreifen gibt, sollte die Frage erörtert werden, welche Rolle die NATO mit ihrer reichhaltigen Erfahrung in der Krisenintervention spielen kann. Jamie Shea (...) stimmte dem zu und meinte, daß die NATO als strategische Drehscheibe dienen sollte, um die Problematik international aufzuwerten.«

Diese Überlegungen schlugen sich auch in einer Erklärung von Staats- und Regierungschefs nieder, die am Gipfel von Strasbourg/Kehl teilnahmen: »Herausforderungen wie Energiesicherheit, Klimawandel und Instabilität, die von schwachen und zerfallenden Staaten herrührt, können sich ebenfalls negativ auf die Sicherheit der Bündnispartner und die internationale Sicherheit auswirken«, heißt es darin.[1]

Konkreter äußerte sich Jamie Shea 2008 bei einem »Ecologic Dinner Dialog« in Brüssel, bei dem er mit Helga Schmid, deutsche »Spitzendiplomatin« in Brüssel, Leiterin des Politischen Stabes des Hohen Repräsentanten für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik im EU-Ratssekretariat, über die Rolle von EU und NATO im Umgang mit den Bedrohungen des Klimawandels diskutierte. Einer Zusammenfassung des Ecologic Institute zufolge räumte »Jamie Shea ein, daß das Thema 'Klimawandel und Sicherheit' noch nicht den Weg auf die formale Agenda der NATO gefunden habe«. Dies liege daran, daß der »Klimawandel kein ›sichtbarer Feind‹« und kein Phänomen sei, »auf das die NATO einfach reagieren könne«. Doch das müsse sich ändern. »Shea schloß nicht aus, daß es in Zukunft einen 'Art. 5 zum Klimawandel' geben könne. Der Art. 5 des NATO-Vertrages sieht vor, daß ein bewaffneter Angriff auf einen NATO-Verbündeten als Angriff auf alle Mitglieder der Allianz betrachtet werden könne (...) Ein wichtiges Argument dafür, das Thema ›Klima und Sicherheit‹ voranzutreiben, sei die Tatsache, daß zukünftige klimarelevante Probleme die Politik betreffen würden und wirtschaftliche Konsequenzen hätten. Daher müßte die NATO die Herausforderung annehmen, ein neues strategisches Konzept zu entwickeln und globale Sicherheitsnetzwerke zu etablieren. Auch könne anschließend die Einrichtung einer ›Rapid Response Force‹ überlegt werden.«

Sicherung von Ressourcen

Von Bedeutung ist das auch mit Blick auf die UN-Klimakonferenz in Cancún (Mexiko), die keine zehn Tage nach dem NATO-Gipfel ins Haus steht. Denn genau jene ökonomischen und geopolitischen Interessen, die die NATO durchzusetzen versucht, führten 2009 auch zum Scheitern des Klimagipfels von Kopenhagen. Dort wurde offenbar, daß »das internationale Klimaregime endgültig von einem ›weichen‹ Randthema der internationalen Beziehungen zu einem ›harten‹ Gegenstand von Staatenkonkurrenz im Weltsystem avanciert [ist]«, so Alexis Passadakis und Hendrik Sander (in: Z. Zeitschrift marxistische Erneuerung, Nr. 82).

Das hat man selbstverständlich auch in Berlin erkannt. So bemüht sich Deutschland auf der internationalen Bühne um Konzepte zur Klimasicherheit, die auf ihre Außenpolitik abgestimmt und im Zweifel militärisch flankiert sind. Die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik veröffentlichte im Januar 2009 das Papier »Klimawandel – ein Fall für die internationale Sicherheitspolitik?«, in dem es offen heißt: »Die Stabilität internationaler Beziehungen stützt sich wesentlich auf die Verfügbarkeit physischer Zwangsmittel. Dies zeigen nicht zuletzt die Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates, die zu ihrer Durchsetzung unter bestimmten Voraussetzungen auf Streitkräfte der NATO oder internationaler Koalitionen angewiesen sind. Sicherheitspolitisch gesehen verschärft sich mit dem Klimawandel somit voraussichtlich nicht nur die materielle Notlage weiter Teile der Weltbevölkerung, sondern vor allem der Wettbewerb um knapper werdende Ressourcen der politischen Herrschaftssicherung, die sogenannten 'strategischen Ressourcen' der Sicherheitspolitik. Darunter fallen neben Rohstoffen, Energie und Treibstoffen auch Operationsgebiete, Transportwege und Rekrutierungspotentiale für bewaffnete Verbände.« Entsprechend ist in einer Bundeswehr-Studie von Juli 2010 zu lesen: »Es reicht nicht, das Ölfeld zu beherrschen, auch der Transportweg und etwaige Umschlagplätze wie Seehäfen müssen frei zugänglich sein.«[2] Und in der führenden außenpolitischen Zeitschrift Internationale Politik hieß es im zeitlichen Kontext von Kopenhagen in dem Beitrag »Aktive Klimaaußenpolitik. Sechs Empfehlungen für den Außenminister«, verfaßt von Sascha Müller-Kraenner, dem ehemaligen Referatsleiter Europa/Nordamerika der Heinrich-Böll-Stiftung, und Martin Kremer, ehemaliger Abteilungsleiter an der deutschen Botschaft in London mit den Schwerpunkten Klima, Energie und Antiterrorpolitik: »Die internationalen Beziehungen, ihr geopolitischer Kontext sowie ihre Governance-Strukturen werden sich an der globalen Strukturfrage Klima neu definieren. (...) Die Regeln und die Lastenverteilung beim globalen Klimaschutz wiederum werden sich entscheidend auf (...) den Zugang zu Rohstoffen (...) auswirken. (...) Noch stärker als bisher muß er die führende Rolle Deutschlands bei der Formulierung dieser neuen Weltregeln strategisch flankieren.«

Geopolitische Auswirkungen

Vorgegeben wird der Takt im allgemeinen von jenseits des Atlantiks – und auch im Pentagon sorgt man sich ums Wetter. Im 2010 erschienenen Quadrennial Defence Review, einem der wichtigsten Grundlagen der mittel- und längerfristigen Militärplanung der USA, heißt es: »Klimawandel könnte bedeutende geopolitische Auswirkungen rund um die Welt haben, zu Armut, Umweltverschlechterung und der weiteren Schwächung fragiler Regierungen beitragen. (...) Während der Klimawandel für sich keine Konflikte verursacht, kann er jedoch Instabilität und Konflikte beschleunigen und so zivilen Institutionen und Militär rund um die Welt die Last einer Antwort auferlegen. Zudem können extreme Wetter­ereignisse dazu führen, daß sich die Nachfrage nach unterstützender Verteidigung von zivilen Behörden für humanitäre oder Katastrophenhilfe vergrößert.«

Einer militärischen Antwort auf den Klimawandel verleiht auch Jeffrey Mazo in seinem Buch »Climate Change. How global warming threatens security and what to do about it« (dt., Klimawandel. Wie die Erderwärmung die Sicherheit bedroht und was dagegen unternommen werden kann) Nachdruck. Der Band erschien 2010 im Auftrag des »International Institute for Strategic Studies«, einem Think-tank aus dem Dunstkreis der NATO. Es sei »notwendig, darauf vorbereitet zu sein, direkt mittels militärischer oder humanitärer Interventionen zu antworten«, so Mazo.

Zudem erklärte 2008 der National Intelligence Council (NIC), der als Bindeglied zwischen den verschiedenen US-Geheimdiensten fungiert und betreffs der nationalen Sicherheitspolitik mittel- bis langfristige Strategien erstellt, in dem Bericht »Global Trends 2025«: »Die Sorgen um den Klimawandel [könnten] in den nächsten 20 Jahren signifikantere Effekte haben als die physischen Effekte, die mit dem Klimawandel verbunden sind. Die Wahrnehmung einer sich schnell ändernden Umwelt könnte Nationen dazu führen, unilateral Ressourcen, Territorien oder auch andere Interessen sicherzustellen.« Gemeint ist offenbar zuvörderst die eigene Nation. Denn durch die Folgen des Klimawandels sah die US-Behörde bereits 2004 jenes »internationale System« herausgefordert, das es gerade zu verteidigen gelte. Der Grund: »Die Vereinigten Staaten sind auf ein reibungslos funktionierendes internationales System angewiesen, das Handelsflüsse, den Marktzugang zu entscheidenden Ressourcen wie Öl und Gas sowie die Sicherheit ihrer Alliierten und Partner sicherstellt.« (NIC-Report unter dem Titel »Mapping the Global Future«)

Solcherlei Hintergrundanalysen bereitete die New York Times (9. August 2009) für ein breiteres Publikum auf. Demnach stellten Dürren, Fluten, Brände und Naturkatastrophen aus Sicht von hohen US-Militärs und Geheimdiensten »ein gigantisches globales Sicherheitsrisiko« dar. Dem solle die Politik verstärkt entgegensteuern, denn, wie Spiegel online (9. August 2009) berichtet, »die globale Erwärmung werde die USA in den kommenden Jahrzehnten vor schwere strategische Herausforderungen stellen. (...) Der Klimawandel könnte dazu führen, daß militärische Interventionen nötig seien, um gegen die Folgen von Stürmen, Dürren, Massenmigration und Pandemien vorzugehen. Diese Krisen könnten Regierungen stürzen, Terrororganisationen stärken oder ganze Regionen destabilisieren, so die Analysten, die sich der Zeitung zufolge das erste Mal eingehend mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die nationale Sicherheit befaßt haben«.

In der bereits genannten Ausgabe der New York Times wird dazu auch die prägnante Aussage von Anthony Zinni, eines ehemaligen Generals der US-Marines, angeführt: »Wir werden dafür auf die eine oder die andere Art bezahlen müssen. Wir werden entweder bezahlen, um die Emission von Treibhausgasen zu verringern, und dafür wirtschaftliche Einbußen hinnehmen. Oder wir werden den Preis später bezahlen, auf militärische Art – und das würde Menschenleben einschließen«.

Neue Feindbilder

Und die Pentagon-Strategin Amanda Dory, die mit einer Projektgruppe ihres Hauses an der Integration der Frage des Klimawandels in die nationale Sicherheitsstrategie arbeitet, sagte der New York Times, die Herangehensweise des Militärs an dieses Thema habe sich »von Grund auf verändert«.[3]

Die Meinungen entzweien sich darüber, inwieweit im Zuge des Klimawandels eine Bedrohung für die USA besteht oder vielmehr von dem Land ausgeht. Jedenfalls erklärte John Kerry, einst unterlegener Präsidentschaftskandidat der Demokraten, im Juli 2009 als Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses bei einem Senatshearing vor Militär und Geheimdiensten: »Genauso wie uns der 11. September die schmerzhafte Lektion erteilte, daß uns die Meere kein Schutz vor dem Terror waren, wäre es Selbsttäuschung zu glauben, der Klimawandel mache an unseren Grenzen halt. (...) Wir laufen Gefahr, die Entstehung gescheiterter Staaten zu fördern und den übelsten Akteuren in unserem internationalen System grandiose Möglichkeiten zu eröffnen.«[4] Auch die republikanische Senatorin Olympia Snowe verglich 2007 den Klimawandel mit den Anschlägen von 9/11.[5]

Grundsätzlich läßt die Benennung von »gescheiterten Staaten« und »übelsten Akteuren in unserem internationalen System« – mithin: von geostrategischen Interessen – im Zusammenhang mit dem Treibhauseffekt erahnen: Im Zuge des Klimawandels, verstanden als Bedrohung der nationalen und internationalen Sicherheit, können mittelfristig neue Feindbilder im westlichen Interesse entstehen. Nicht zufällig werden als klimatisch besonders gefährdete Gebiete die Regionen südlich der Sahara, des Nahen Ostens sowie Süd- und Südostasien benannt. Vor »geopolitischer Instabilität« als Folge des Klimawandels warnte denn auch eine Gruppe einflußreicher Senatoren nach den Wahlen zum 110. Kongreß (2007–2009).[6] Als Testfall für künftige Militäreinsätze dürfte die Invasion in Haiti in Folge des verheerenden Erdbebens von Januar 2010 gelten. Vorerst droht eine Melange aus gewohnten und neueren Szenarien: »Der Klimawandel bildet die Voraussetzung dafür, daß sich der Krieg gegen den Terror ausweitet«, erklärte Admiral T. Joseph Lopez, ehemals hochrangiger NATO-Befehlshaber in Bosnien-Herzegowina, bereits 2007.

Gemäß der Potenz ihrer Armee werden auf Seiten der USA auch im Zusammenhang mit der Klimafrage militärische Aspekte offener angesprochen als in den Reihen der EU. Doch auch das europäische Bündnis wappnet sich, wie das 2008 veröffentlichte Papier »Klimawandel und internationale Sicherheit« zeigt. Als Autoren zeichneten verantwortlich: Javier Solana, ehemaliger NATO-Generalsekretär und Hoher Vertreter der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU, und Benita Ferrero-Waldner, damalige EU-Kommissarin für Außenbeziehungen. Ohne weite Umschweife werden darin europäische Interessen artikuliert: »Die Überwachung und die Frühwarnung müssen sich in besonderen Situationen staatlicher Fragilität und politischer Radikalisierung auf Spannungen um Rohstoffe und die Energieversorgung, auf ökologische und sozioökonomische Belastungen, auf Bedrohungen für kritische Infrastrukturen und Wirtschaftsgüter, auf Grenzstreitigkeiten, auf die Auswirkungen hinsichtlich der Menschenrechte und auf potentielle Migrationsbewegungen erstrecken.« Und wo Interessen benannt werden, bedarf es auch der Mittel, diese durchzusetzen: »Ausbau der Planungskapazitäten und Fähigkeiten auf Unions- und einzelstaatlicher Ebene unter Einbeziehung des Bevölkerungsschutzes und Anwendung ziviler und militärischer Krisenbewältigungs- und Katastrophenschutzinstrumente, um zu der Reaktion auf die durch den Klimawandel hervorgerufenen Sicherheitsrisiken beizutragen.«

In diesen Kontext paßt, was 2009 in einer Studie des Think-tanks »European Union Institute for Security Studies« zur europäischen Militärpolitik von 2020 unter vorauseilender Aushebelung des Völkerrechts erklärt wird: »Unter militärischen Gesichtspunkten (…) kann das ›worst case scenario‹ gegen 2020, wenn die ökologische Krise wirklich ernst wird, Anforderungen an robustere Machtbefugnisse einschließen, um abgelegene Regenwälder, Fischbrutstätten oder andere kritische globale ökologische Bestände zu schützen, die als so wesentlich für das weltweite Ökosystem als Ganzes gelten, daß sie zu einem universellen Schatz jenseits der souveränen Zuständigkeit irgendeines einzelnen Staates werden.«

Die Europäische Kommission beauftragte folgerichtig die in Berlin ansässige »adelphi consult GmbH« 2009/2010 mit dem Projekt »Klimawandel und internationale Sicherheit: Entwicklung und Umsetzung der europäischen Roadmap«. Dazu erklärte die Gesellschaft: »Die Europäische Union hat sich zum Ziel gesetzt, in ihren Politiken und Programmen verstärkt die sicherheitspolitischen Herausforderungen des Klimawandels zu berücksichtigen. (...) Diese Aktivitäten sind Teil des Prozesses 'Roadmap on Climate Change and International Security' der Europäischen Union, der im Januar 2009 begann.«

Vor diesem Hintergrund muß folgende Schlagzeile auf Welt online (vom 16. August 2010) eingeordnet werden: »Sarkozy – EU-Krisentruppe soll Pakistan helfen«. Ähnlich wie in anderen Medien heißt es im Bericht weiter: »Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy will das Militär bei der Flut-Tragödie in Pakistan einsetzen. Die EU-Länder sollten sich beteiligen. (...) Sarkozy hat angesichts der Überschwemmungen in Pakistan eine Art europäische Eingreifmission für Naturkatastrophen gefordert. (...) Frankreich sei bereit, militärische Mittel zu mobilisieren, um im Rahmen der NATO mit Flugzeugen und Schiffen internationale Hilfen nach Pakistan zu bringen, fügte Sarkozy hinzu. Er forderte eine 'umfassende Mobilisierung der Europäer' angesichts des Ausmaßes der Katastrophe.« Pläne zu solcherlei »Battle Groups« zielen in einer Epoche neuer Kriege darauf ab, verheerende Naturkatastrophen für geopolitische Interessen zu instrumentalisieren. Denn am Ende intervenieren EU und NATO nicht mit dem Ziel, Brunnen zu bauen oder Sandsäcke zu schleppen.

»Ein neues System herausbilden«

Sollten sich in den kommenden Jahren militärische Strategien als vermeintliche Antwort auf den Klimawandel konkretisieren – auch die Auseinandersetzungen um die Arktis spitzen sich zu –, so ergeben sich neue Herausforderungen sowohl für die Umwelt- als auch für die Friedensbewegung. Für erstere würde eine Antikriegsposition zunehmend zur Gretchenfrage, wodurch die Partei der Grünen dort an Boden verlieren sollte. Und letztere wären gefragt, auch Antworten auf ökologische Fragen zu geben. Für beide wäre eine bündnisfähige Forderung, gegen eine Militarisierung von Klima- und Umweltpolitik anzugehen. Inspiration böte allemal jene alternative Klimakonferenz, die als Reaktion auf das Scheitern von Kopenhagen Ende April 2010 im bolivianischen Cochabamba stattfand – flankiert von der Regierung Morales. Im Abschlußdokument heißt es eingangs: »Die Unternehmen und die Regierungen der Länder, die 'entwickelt' genannt werden, bieten uns (...) an, den Klimawandel als ein Problem zu diskutieren, das sich auf den Anstieg der Temperatur reduziert, ohne nach der Ursache zu fragen, die im kapitalistischen System besteht.« Und weiter: »Der Kapitalismus braucht eine leistungsfähige Militärindustrie für seinen Akkumulationsprozeß und die Kontrolle von Territorien und Naturressourcen, um den Widerstand der Völker zu unterdrücken. Es handelt sich um ein imperialistisches System der Kolonisierung des Planeten. (...) Um dem Klimawandel entgegenzutreten, müssen wir (...) ein neues System herausbilden«, das unter anderem auf der »Beseitigung jeder Form von Kolonialismus, Imperialismus und Interventionismus« gründet.

Fußnoten
  1. Erklärung zur Sicherheit des Bündnisses, hrsg. »von den Staats- und Regierungschefs, die am Treffen des Nordatlantikrats am 4. April 2009 in Strasbourg/Kehl teilgenommen haben«, vgl. www.internationalepolitik.de/ip/archiv
  2. Zentrum für Transformation der Bundeswehr (Hg.): PEAK-OIL – Sicherheitspolitische Implikationen knapper Ressourcen, aus der Serie Streitkräfte, Fähigkeiten und Technologien im 21. Jahrhundert (SFT 21), hier nach: Claus Schreer: PEAK-OIL: Die Bundeswehr entwirft eine Strategie für das Ende des Ölzeitalters, in: isw-information (Periodikum des Instituts für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung), Oktober 2010, S.4.
  3. Zit. nach: Patrick O’Connor: Amerikanisches Militär und Geheimdienste sehen Klimawechsel als Gefahr für »nationale Sicherheit, 18.08.2009, www.wsws.org.
  4. O’Connor: Amerikanisches Militär und Geheimdienste sehen Klimawechsel als Gefahr für »nationale Sicherheit«, 18.08.2009, www.wsws.org.
  5. Richert, Jörn: Klimawandel und Sicherheit in der amerikanischen Politik, Diskussionspapier, März 2009, S.7.
  6. Vgl. U.S. Senate: Boxer Bingamann and Liebermann Ask President do Commit do Working with Congress to Fight Global Warming (www.boxer.senate.gov), hier nach: Richert , Jörn: Klimawandel und Sicherheit in der amerikanischen Politik, Diskussionspapier, März 2009, S.7.
* Mario Tal ist in der Erwachsenenbildung tätig. Vom Autor erschien zuletzt: Mario Tal (Hg.): Umgangssprachlich: Krieg. Testfall Afghanistan und deutsche Politik, PapyRossa Verlag, Köln 2010. Auch im jW-Shop erhältlich.

Aus: junge Welt, 9. November 2010



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