Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Klimapolitik: Auf welche Seite stellt sich Europa?

Von Martin Kaiser *

Die Flutkatastrophen in China, Pakistan, Polen, Tschechien und Ostdeutschland zeigen es, die »Jahrtausend«-Hitzewelle mit verheerenden Waldbränden in Russland auch – Extremwetterereignisse sind nicht zum Spaßen, und der Klimawandel, der uns immer mehr und immer schneller solche Extremwetterlagen bescheren wird, ist nicht lustig. Die Zeit zum Handeln wird knapp – aber wo ist die Internationale Klimapolitik? In der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Erst das Scheitern der Klimakonferenz in Kopenhagen, dann das Scheitern von Obamas nationalem Klimaschutzgesetz für die USA und jetzt: Ratlosigkeit und Mutlosigkeit all überall.

Und die Staatschefs in Europa? Auch sie haben am Klimaschutz die Lust verloren. Auch sie betrachten Klimapolitik als Luxusthema. Dabei ist Klimaschutz wichtig, um die Existenz der Gesellschaften, wie wir sie heute kennen, zu sichern. Außerdem könnte er eine Chance sein. Die Umstrukturierung der Energiewirtschaft könnte zum Jobmotor schlechthin werden.

Klimavorreiter sind innerhalb der Europäischen Union nicht mehr in Sicht: Merkel setzt keine klimapolitischen Akzente und hat mit der schwarz-gelben Koalition eine schädliche und gefährliche nationale Debatte um eine Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken aufgemacht. Dabei schaden längere Laufzeiten für Atomkraftwerke und Investitionen in Kohle der Energierevolution. Im Jahr 2050 könnte Deutschland seinen Strom zu hundert Prozent aus erneuerbaren Energien decken. Wenn man jetzt Geld und Kraft in deren Ausbau stecken würde, statt den Energiekonzernen noch weitere Milliarden für ihre Atom- und Kohlekraftwerke zuzuschustern.

Dabei geht es beim Klimaschutz doch nicht wie beim Beamtenmikado darum, dass der verliert, der sich als erstes bewegt. Sondern dass wir alle verlieren, wenn sich nichts bewegt. Deswegen wäre es notwendiger denn je, dass Europa mit einem klaren Signal für Klimaschutz auf die politische Bühne zurückkehrt. Europa muss insgesamt ein deutlich höheres Reduktionsziel für Treibhausgase bis 2020 und 2050 verbindlich beschließen, um seiner Verantwortung am Treibhauseffekt gerecht zu werden. 40 Prozent bis 2020 wären notwendig, um unter zwei Grad Erwärmung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu bleiben. Zumindest 30 Prozent ohne Schlupflöcher durch ausgelagerte Projekte in Entwicklungsländern oder Anrechnung von Landnutzung wären dafür ein wichtiger, leicht zu bewältigender Zwischenschritt. Dazu müsste die in Kopenhagen erfolglose, neue Klimakommissarin Connie Hedegaard es schaffen, bis zum Europäischen Rat der EU-Staats- und Regierungschefs im Oktober Entscheidungen vorzubereiten. Dort sollte sich dann gerade Merkel engagieren, um die Blockade durch Polen und Italien zu überwinden.

Es kann doch nicht sein, dass unsere Politiker billigend in Kauf nehmen, dass die Ereignisse in China, Pakistan und Russland immer häufiger auftreten. Wie viele Menschen müssen noch ertrinken, wie viele Wälder sich in schwarzem Rauch auflösen und wie viele Meeresregionen von Öl verseucht werden, bevor die Politik einsieht, dass sie die Konzerne durch rechtliche Rahmen kontrollieren muss. Es geht hier doch nicht um die zukünftigen Gewinne der Konzerne, sondern um das Wohl und Überleben unserer Kinder und Kindeskinder. Der EU-Gipfel im Oktober muss zeigen, auf welcher Seite Europa steht.

* Der Autor ist Leiter für Internationale Klimapolitik bei Greenpeace Deutschland.

Aus: Neues Deutschland, 13. August 2010 ("Brüsseler Spitzen")



Zurück zur "Klima"-Seite

Zur EU-Europa-Seite

Zurück zur Homepage