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Ein verlorenes Jahrzehnt

Seit dem Kyoto-Protokoll ist in Sachen Klimaschutz wenig passiert

Von Jörg Staude *

Die bisherigen Erfahrungen mit der internationalen Klimaschutzpolitik sind wenig ermutigend.

Wer frühzeitig wissen wollte, wohin uns die Klimareise führt, brauchte nur den Schlussbericht der Bundestags-Enquetekommission zum »Schutz der Erdatmosphäre« von 1994 zu lesen: Geht es mit den anthropogenen CO2-Emissionen so weiter, werde sich bis zum Jahr 2100 die globale Mitteltemperatur um 3 plus/minus 1,5 Grad Celsius erhöhen, war schon auf der ersten von fast 800 Seiten zu lesen. Diese Voraussage hat sich im Kern bestätigt. Seitens der Klimawissenschaft kam noch die Zwei-Grad-Grenze hinzu: Bei dieser, vermutet man, wird der Klimawandel Biosphäre und zivilisatorische Rahmenbedingungen nicht so verändern, dass die Folgen unbeherrschbar wären.

Politisch begonnen hatte die moderne Klimapolitik 1992 - bei dem Erdgipfel in Rio de Janeiro. Von diesem ist heute vor allem der Begriff der »nachhaltigen Entwicklung« in Erinnerung geblieben. In Rio wurde aber auch die Klimarahmenkonvention beschlossen: Die Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre sollten auf einem Niveau stabilisiert werden, das eine gefährliche Störung des Klimasystems verhindert. Dazu verpflichteten sich die Industriestaaten, ihre CO2-Emissionen bis 2000 auf das Niveau von 1990 zu senken. Vor allem dieses Ziel sollte der Einstieg in eine langfristige, wirksame Klimapolitik sein.

In Rio wurde auch der Verhandlungsprozess der Konferenzen der Vertragsstaaten der Konvention (COP) etabliert. Mit Kopenhagen ist man mittlerweile bei Nummer 15 angekommen. Manche COPs hatten einen mehr technischen Charakter, andere waren Meilensteine - wie COP1 in Berlin, wo das Kyoto-Protokoll auf den Weg gebracht wurde, sowie 1997 COP3 in Kyoto selbst. Mit der Umsetzung befasste man sich dann bis COP8 in Delhi Ende 2002.

Zentrales Ziel des Kyoto-Protokolls war es, dass die Industrieländer ihre CO2-Emissionen bis 2012 im Vergleich zu 1990 um 5,2 Prozent senken. Die Bundesrepublik wird ihren Anteil daran wohl leisten. Die Hälfte der deutschen Reduktion geht allerdings auf die so genannten »Wallfall-Profits« zurück, die Deindustrialisierung Ostdeutschlands nach dem Fall der Mauer, insbesondere die Drittelung der dortigen Braunkohleförderung. Die andere Hälfte erbrachten im Wesentlichen der Ausbau der erneuerbaren Energien, die bessere Wärmedämmung von Gebäuden und milde Winter.

Dass die Umsetzung von Kyoto so lange dauerte, ist nicht nur der Komplexität des Klimaschutzes geschuldet. Parallel zu den UN-Konferenzen gab es einen gravierenden Paradigmenwechsel in der Klimapolitik. Nach Rio war die ökologische Stimmung fast euphorisch. Insbesondere mit einer intelligenten Ökosteuerpolitik glaubten die Akteure gerade in Europa, zwei Probleme auf einen Schlag lösen zu können. Mit sanft, aber stetig steigenden Energiesteuern sollte eine ökologisch-soziale Umstrukturierung der Gesellschaft in die Wege geleitet werden. »Faktor 4« - Verdopplung des Wohlstandes bei halbiertem Ressourcenverbrauch, hieß die griffige Formel. Die praktische Umsetzung unter dem rot-grünen Schröder-Kabinett geriet allerdings unter das Diktum zu hoher Lohnnebenkosten; mit den Einnahmen aus der Ökosteuer wurden die Rentenbeiträge stabilisiert. So kam am Ende nicht mehr als ein »Tanken für die Rente« heraus.

Auch international setzte sich das neoliberale Konzept durch: Offene Handels- und Finanzmärkte sollten für Effizienz sorgen - auch beim Klimaschutz. Nun galt der Emissionshandel als das Mittel der Wahl. Also hub bei der Umsetzung des Kyoto-Protokolls ein ewiges Feilschen an: um »flexible Instrumente«, mit denen die Kosten des Klimaschutzes angeblich gesenkt werden konnten, indem die Industriestaaten Projekte in Schwellen- und Entwicklungsländer anschoben und sich reale wie fiktive Einsparungen anrechnen ließen. Auch diese Basarstrategie ist erkennbar gescheitert. Klimahistoriker werden das Jahrzehnt zwischen Kyoto und Kopenhagen später als vergebenes Jahrzehnt ansehen.

Wie geht es weiter? Je mehr die Folgen der Erwärmung voranschreiten und je geringer die Zeit zum Handeln bleibt, desto radikaler müssen offenbar die Maßnahmen ausfallen. Das zeichnet sich jetzt schon ab. In der Beschluss- und Politlyrik tauchen immer mehr Verbote auf: des Neubaus von Kohlekraftwerken, von Energie- und Spritfressern, von Bauten in Ufernähe oder von Glühbirnen. Auch die Umweltzonen in immer mehr Städten oder die gerade von einem Experten vorgeschlagenen Klimazentralbanken, die für jedes Land ein vorgeschriebenes Emissionsbudget verwalten sollen, sind Vorboten einer rigideren Umweltpolitik. Wo sanfte Instrumente zu spät und zu halbherzig eingesetzt wurden, bleibt am Ende offenbar nur noch - die Klimadiktatur.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Dezember 2009


CO2-Emissionen 2006

Die Ziffern der nachfolgenden Tabelle beziehen sich auf die Verbrennung von Kohle, Erdöl und Erdgas sowie auf die Zementproduktion, jeweils Tonnen pro Einwohner und Jahr (erste Spalte) und jährliche Gesamtemissionen in Millionen Tonnen (zweite Spalte).

Land Tonnen pro EW/Jahr Emissionen insges.
Mio. Tonnen
USA 19,01 5758
Australien 17,98 372
Japan 10,28 1295
Deutschland 9,80 806
Großbritannien 9,40 569
Frankreich 6,28 384
China 4,66 6109
Brasilien 1,87 353
Indonesien 1,50 334
Indien 1,36 1512
Bangladesch 0,29 42
Afghanistan 0,04 0,7
Tschad 0,04 0,4


Die Länder sind nach der Höhe der Pro-Kopf-Emissionen geordnet. Zu sehen ist, daß China zwar inzwischen die USA als größten Emittenten knapp überholt hat, umgerechnet auf die Bevölkerung aber immer noch hinter allen führenden Industriestaaten liegt. Die anderen großen Schwellenländer liegen noch weiter hinten, die Emissionen aus vielen Entwicklungsländern sind minimal.

Quelle der Daten: Carbon Dioxide Information Analysis Center, Oak Ridge National Laboratory, USA

Nepals Regierung berät am Fuße des Mount Everest Probleme des globalen Klimawandels

Kathmandu. 24 Minister Nepals und Premier Madhav Kumar Nepal verabschiedeten am frühen Freitag morgen im alpinen Basislager Kalapatthar, 5242 Meter über dem Meer, eine aus zehn Punkten bestehende »Everest Deklaration« zum Umweltschutz. Darin fordern sie, beim be­vorstehenden Klimagipfel in Kopenhagen verbindliche Festlegungen zur Reduzierung von CO2-Emissionen zu treffen, ehe es zu spät ist. Nepal, dessen Anteil am globalen Ausstoß von Treibhausgasen gering ist, verpflichtet sich, mit allen anderen Staaten konstruktiv für effektiven Klimaschutz zu kooperieren.

Während ihrer 20 Minuten dauernden Sitzung erklärten die Regierungsmitglieder ein 2035 Quadratkilometer großes Areal zwischen dem Mount Everest und Langtang wegen seiner Biovielfalt zum Naturschutzgebiet. Der Premier sprach von einer »historischen Sitzung«, mit der kurz vor dem Kopenhagen-Gipfel die Aufmerksamkeit auf die Umweltprobleme im südasiatischen Subkontinent gelenkt werden sollte.

* Aus: junge Welt, 5. Dezember 2009




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