Kopenhagener Klimagipfel: Enttäuschung auf der ganzen Linie
Fauler Kompromiss statt Klimaabkommen / Willenserklärung statt konkreter Verpflichtungen zum Emissionsabbau / Finanzhilfen nicht ausreichend
Die "Kopenhagener Übereinkunft" (Copenhagen Accord), die das Plenum der
UN-Klimakonferenz am 19. Dezember nach mühsamen Verhandlungen durch
Kenntnisnahme anerkannte, soll ein neues Klimaschutzabkommen
vorbereiten. Die zwischen rund 25 Staaten auf Ebene der Staats- und
Regierungschefs ausgehandelte Einigung ist eine politisch bindende
Erklärung, die den bestehenden UN-Texten vorangestellt werden soll.
Heftige Kritik gibt es an diesem Minimalkonsens aber, weil konkrete
Vorgaben zur Verringerung des Treibhausgasausstoßes fehlen und der Text
lediglich im kleinen Kreis vereinbart wurde.
Das Wichtigste der "Kopenhagener Übereinkunft" im Überblick
Grundsätze
Das Ziel wird anerkannt, die weltweite Erwärmung gemäß den Empfehlungen
der Wissenschaftler auf maximal zwei Grad Celsius zu begrenzen.
Deutschland hatte dies bereits im Vorfeld als Bedingung für ein Abkommen
genannt.
Emissionen der Industrieländer
Die Konferenz bekennt sich zu dem Ziel, die weltweiten Emissionen
erheblich zu verringern, macht dafür aber keine konkret bezifferten
Vorgaben. Allerdings sollen die Industrieländer bis Ende Januar 2010
eigene, freiwillige Minderungsziele angeben und sich damit international
dazu verpflichten.
Beiträge der Entwicklungs- und Schwellenländer
Mit Blick auf die Entwicklungs- und Schwellenländer heißt es in dem
Text, diese sollten ebenfalls Anstrengungen zur Reduzierung ihrer
Emissionen unternehmen. Allerdings soll dies im Rahmen nationaler
Entscheidungen geschehen. Solche Maßnahmen sollen auch national
überwacht, die Ergebnisse aber einer internationalen Auswertung
unterzogen werden. Zudem wird die Bedeutung des Waldschutzes beim
Klimaschutz anerkannt, den die Industrieländer finanziell unterstützen
sollen.
Finanzhilfen
Entwicklungsländer sollen angemessene finanzielle und technologische
Hilfen für den Klimaschutz und die Bewältigung von Klimafolgen wie
Überschwemmungen und Dürren erhalten. Dafür sollen die Industriestaaten
zusätzliche Mittel von insgesamt 30 Milliarden Dollar (21 Milliarden
Euro) für die Jahre 2010 bis 2012 bereitstellen. Langfristig wird das
Ziel unterstützt, ab 2020 einen Betrag von 100 Milliarden Dollar pro
Jahr bereitzustellen. Für die Verteilung der Gelder soll eine neue
Institution im Rahmen eines Kopenhagen-Klimafonds zuständig sein.
Verfahren
Der Inhalt der Übereinkunft soll in den nächsten Monaten in die
bestehenden UN-Texte zur Klimarahmenkonvention und zur Weiterentwicklung
des Kyoto-Protokolls eingearbeitet werden. Eine bindende Frist dafür
wird aber nicht genannt. Die Umsetzung der Übereinkunft soll im Jahr
2015 überprüft werden.
Ausblick
Die nächste UN-Klimakonferenz soll im Dezember kommenden Jahres in
Mexiko stattfinden. Zudem soll es im Juni 2010 eine zusätzliche
Konferenz der Umweltminister am Sitz des UN-Klimasekretariats in Bonn geben.
Stimmen zu Kopenhagen
Auf dem Weg zur Klimagerechtigkeit
Umweltbewegung muss sich weiter organisieren und vernetzen, um künftig
mehr zu erreichen
Von Alexis Passadakis, Kopenhagen *
Hunderttausend bei der Großdemo im eiskalten Kopenhagen und eine
Aktionswoche inklusive zivilem Ungehorsam. Der UN-Klimagipfel stieß aus
der Perspektive des Protestes in neue Dimensionen vor. Zwar entstanden
auf Seiten der sozialen Bewegungen neue Koalitionen, von der Geburt
einer neuen Bewegung zu sprechen wäre allerdings noch verfrüht.
Die Mobilisierung von Kopenhagen ist das Ergebnis einer veränderten
Wahrnehmung der gesellschaftlichen Naturverhältnisse: Die Klimakrise
spitzt sich weiter zu und der Höhepunkt der Ölförderung (Peak Oil) ist
bald erreicht. Deshalb verschiebt sich das politische Terrain. Mit dem
UN-Klimagipfel in Kopenhagen ist daher die internationale Klimapolitik
endgültig vom »weichen« zu einem »harten« Politikfeld avanciert. Die
Anreise von 120 Staatschefs und 30 000 akkreditierten Vertretern von
Nichtregierungsorganisationen und Lobbyisten, darunter allein 440 von
der Internationalen Assoziation von Emissionshandelsunternehmen (IETA),
machte klar, dass es nun nicht mehr »nur« um Umweltpolitik geht, sondern
um Kernfragen von Ökonomie und Geopolitik.
Die ökologische Frage wird deshalb (wieder) als soziale verstanden. Zu
den etablierten Umweltorganisationen stießen das erste Mal bei einer
Klimakonferenz auch soziale Bewegungen wie Via Campesina, der weltweit
größte Kleinbauernverband, globalisierungskritische Organisationen sowie
linke und antikapitalistische Gruppen hinzu. Trotz der insgesamt großen
Zahl von Aktiven und unzählbaren Aktionen war Kopenhagen aber keine
fulminante Premiere einer neuen Bewegung für Klimagerechtigkeit. Anders
als die Proteste 1999 in Seattle gegen die Welthandelsorganisation (WTO)
für die globalisierungskritische Bewegung. Was diesen geopolitischen
Moment in Seattle ausmachte, war die demonstrative Einigung
unterschiedlichster sozialer Bewegungen auf einen minimalen und
pluralistischen aber wirkungsvollen anti-neoliberalen Grundkonsens.
Verbunden war all dies mit der Identifizierung von Gegnern, wie der WTO,
dem Internationalen Währungsfonds und der transnationalen Konzerne.
Diese Voraussetzungen fehlten jedoch in Kopenhagen. Für viele der
Demonstrierenden gab es überhaupt keinen Gegner, sondern die Hoffnung,
dass die Staatschefs ein ambitioniertes Klimaschutzabkommen aushandeln
mögen. Viel Bekenntnis, wenig Politik. Ein anderer Teil identifizierte
die weiterhin auf Wirtschaftswachstum orientierten Regierungen und eine
auf Marktmechanismen basierende Politik, wie den Emissionshandel, und
damit den UN-Prozess als Teil des Problems. Die geplanten, aber nur
teilweise erfolgreichen Aktionen zivilen Ungehorsams waren darauf
gerichtet, genau diesen Antagonismus sichtbar zu machen und das Feld
Klimaschutz als Frage von Klassen-, Geschlechter und anderen
Machtverhältnissen zu politisieren.
Ohne Zweifel haben das Konzept von Klimagerechtigkeit und die damit
verbundenen Proteste Akzente setzen können. Für mehr fehlt einer neuen
Bewegung jedoch noch die strategische Tiefe. Dazu würden eine größere
Dichte von aktivistischen Gruppen, mehr Strukturen, die als
Bewegungs-Think-Tanks dienen und engere Netzwerke mit kritischen
Gewerkschaftlern gehören. Ein Pendant zum Weltsozialforum als Ausweis
unabhängiger Kontinuität der altermondialistischen Bewegung ist
ebenfalls nicht in Sicht.
Allerdings könnte das offensichtliche Scheitern des Gipfels die
Entwicklung einer solchen neuen Bewegung für Klimagerechtigkeit
befördern und die Saat aufgehen lassen. Dazu müssen jedoch noch mehr
Menschen tatsächlich in Bewegung kommen und Kampagnen auf den nationalen
Ebenen die Frage einer sozial gerechten und damit effektiven
Klimapolitik aufwerfen.
* Unser Autor ist attac-Mitglied und engagiert sich beim globalen
Netzwerk Climate Justice Action.
Aus: Neues Deutschland, 21. Dezember 2009
Ein grandioser Flop
Politische Erklärung statt rechtsgültiges Abkommen: UN-Klimagipfel in
Kopenhagen geht ohne greifbares Ergebnis zu Ende
Von Wolfgang Pomrehn **
Nichts. Keine verbindliche Zahlen für die Reduktion der
Treibhausgasemissionen, keine klare Regelung, wie den
Entwicklungsländern bei der Anpassung an den Klimawandel geholfen wird,
kein irgendwie rechtsgültiges Abkommen. Lediglich eine politische
Erklärung ist nach den zähen, zweiwöchigen Verhandlungen beim
UN-Klimagipfel herausgekommen. Dieser endete am Samstag nachmittag in
Kopenhagen nach zwei schlaflosen Nächten mit fast einem Tag Verspätung.
Nicht einmal verabschiedet konnte die Erklärung werden. Die Versammlung
nahm sie lediglich zur Kenntnis. In der Nacht von Freitag zu Samstag war
sie in kleiner Runde von 28 Staaten ausgehandelt worden. Gegen das
Verfahren und den wachsweichen Inhalt gab es unter den anwesenden
Vertretern von 192 Ländern soviel Widerstand, daß der dänische
Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen das Handtuch warf und den
Konferenzvorsitz abgeben mußte. Schließlich einigte man sich doch noch
auf die Formel der Kenntnisnahme.
Auch die Anwesenheit von fast 120 Staats- und Regierungschefs hatte
nicht den Durchbruch gebracht. Mit viel Spannung war am Freitag die Rede
von US-Präsident Barack Obama erwartet worden, allerdings wurden alle
Hoffnungen enttäuscht. Obama war mit leeren Händen nach Kopenhagen
gekommen und wiederholte nur, was seine Vertreter schon vorher gesagt
haben: Die USA wollen nicht das Kyoto-Protokoll ratifizieren, sie wollen
ein gänzlich neues Abkommen, sie wollen das Prinzip, das zuerst die
Industriestaaten ihre Emissionen absenken müssen, nicht akzeptieren, und
sie wollen im nächsten Jahrzehnt ihren Treibhausgasausstoß nur um einen
lächerlich geringen Betrag reduzieren.
Auch die Vertreter Deutschlands und der EU waren in den Verhandlungen
nicht gerade vorantreibend. Zum einen haben auch sie versucht, den
Schwellenländern den schwarzen Peter zuzuschieben. Zum anderen haben sie
mit eigenen Angeboten gegeizt. Hätte die EU mehr Finanzhilfen und vor
allem eine stärkere Reduktion der Treibhausgase - zum Beispiel 30 oder
gar 35 Prozent statt der bereits beschlossenen 20 Prozent bis 2020 -
zugesagt, dann wäre der Druck auf die USA größer gewesen.
Polizeistaat
Die Konferenz war also ein grandioser Fehlschlag, während sich auf den
Straßen Kopenhagens ein großer Erfolg entwickelte, wie es Tadzio Müller,
einer der Sprecher des Climate-Justice-Action-Netzwerks (CJA)
formulierte. 100000 Menschen waren aus aller Welt zur bisher größten
Demonstration für effektiven und gerechten Klimaschutz zusammengekommen.
Nicht einmal vollkommen überzogene Polizeieinsätze, bei denen selbst
einige Teilnehmer der offiziellen Konferenz Knüppel zu spüren bekamen,
konnten die Umweltschützer davon abhalten, ihren Protest auf die Straße
zu tragen.
Rund 1800 Personen waren während der zwei Wochen - oft unter
entwürdigenden Bedingungen - vorbeugend festgenommen worden. In Käfigen
wurden sie gehalten, zwischen denen Hunde patrouillierten und in die die
Beamten mitunter Pfeffergas sprühten. 21 Menschen waren am Wochenende
noch in Haft. Auch Müller war unter dem Vorwurf verhaftet worden,
gewaltsame Proteste organisieren zu wollen. Man hatte unter anderem
seine Handy-Gespräche abgehört. Tatsächlich war er einer der
Pressesprecher des Bündnisses, der Vorgang also auch ein Angriff auf die
Pressefreiheit. Außerdem hatte das Climate-Justice-Action-Netzwerk in
der Öffentlichkeit und in Vorfeldgesprächen mit der dänischen Polizei
immer wieder klargestellt, daß es ihm um gewaltfreien zivilen Ungehorsam
ging.
Wie weiter?
Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel. Die Klimakonferenz hat technisch aus
zwei Tagungen bestanden. Dem Treffen der 192 Mitgliedsstaaten der
Klimarahmenkonvention, zu denen auch die USA gehören, und die
Versammlung der 189 Mitglieder des Kyoto-Protokolls, zu denen die USA
nicht zählen. Letztere Versammlung hat schon vor vier Jahren eine
Arbeitsgruppe eingerichtet, in der zwischen den Konferenzen über weitere
Verpflichtungen der Industriestaaten zur Reduktion ihrer Emissionen
verhandelt wird. Diese Arbeitsgruppe hatte wesentliche Vorarbeit für die
Kopenhagener Konferenz geleistet, krankt jedoch daran, daß die USA nicht
mit an Bord sind, weil sie sich als einer der ganz wenigen Staaten
weigern, das Kyoto-Protokoll zu ratifizieren. Das Mandat dieser
Arbeitsgruppe wurde jedenfalls von der Konferenz für ein Jahr
verlängert. Auf der nächsten UN-Klimakonferenz in einem Jahr in Mexiko
soll sie ihre Ergebnisse vorlegen.
Allerdings waren in Kopenhagen und schon im Vorfeld des Gipfels
verschiedene Gruppen der Entwicklungs- und Schwellenländer so aktiv wie
nie zuvor. Es ist nicht auszuschließen, daß aus ihrem Kreis in den
nächsten Monaten soviel diplomatischer Druck erzeugt wird, daß schon vor
Mexiko Bewegung in die Verhandlungen kommt.
** Aus: junge Welt, 21. Dezember 2009
"...und am Ende hat sich keiner bewegt"
Umweltschützerin Ilka Petersen über den enttäuschenden
Abschlusskompromiss von Kopenhagen ***
Ilka Petersen ist Sprecherin für Klimaschutz/Energiepolitik beim WWF.
ND: Als Sie vor zwei Wochen nach Kopenhagen gereist sind: Haben Sie da
an einen Erfolg der Konferenz geglaubt?
Ich bin mit der festen Überzeugung nach Kopenhagen gefahren, dass wir
die Welt zumindest ein bisschen retten.
Seit der Klimakonferenz in Bali 2007 verhandeln die 193 Staaten -
herausgekommen ist ein unverbindlicher Minimalkonsens. Wie kam es dazu?
Die Ergebnisse der Klimakonferenz sind mehr als enttäuschend. Es wurde
bis zur letzten Minute gepokert. Aber die Hauptakteure waren nicht
bereit, Kompromisse einzugehen. Es hat einfach keiner gesagt: »Ich geh
mal voran, ich mach den ersten Schritt«. Das ist schlicht nicht passiert.
Aber immerhin wollen die 25 Staaten, die den Minimalkonsens
ausgearbeitet haben, diesen auch unterschreiben.
Aber selbst wenn: Es bleibt eine politische Willenserklärung. Und das
ist auch nicht die Idee der UN-Klimakonferenz. Die Gelegenheit war in
Kopenhagen so gut wie nie: Immerhin hatten wir über 100 Staatschefs vor
Ort, die über ein Abkommen verhandelt haben. Das Ergebnis spiegelt in
keinster Weise die Erwartungen an diese Konferenz wieder.
Was wäre denn erreichbar gewesen?
Es hätte auf jeden Fall ein rechtsverbindliches Abkommen geben müssen.
Nun haben wir eine politische Absichtserklärung, die niemanden zu
irgendetwas verpflichtet. Wir haben gehofft, dass die Industrieländer
bereit sind, sich Reduktionsziele vorzugeben, und auch dass die
Schwellenländer sagen, was sie machen können. Das Ganze hätte dann in
ein rechtsverbindliches Abkommen gegossen werden müssen. Nicht einmal
die Europäer haben sich bereit erklärt, auf 30 statt 20 Prozent
Emissionsminderungen bis 2020 zu erhöhen. Das wäre für die EU ohne
Weiteres möglich gewesen - sogar 40 Prozent. Das hätte dann ein Signal
für andere Staaten sein können.
Die Europäer haben vor allem China Vorwürfe gemacht. Was waren die
größten Hindernisse?
Ja, das haben sie die ganze Zeit getan. Aber China hat sich zeitweise
sogar etwas bewegt: Es hat sich bereit erklärt, mehr Transparenz und
internationale Kontrollen zuzulassen. Im Gegensatz dazu haben sich die
USA nicht groß bewegt. Die Amerikaner haben zwar angekündigt, sich an
einem Finanzierungsfonds zu beteiligen - leider aber nicht gesagt, wie
viel sie einzahlen würden. Das war bei den meisten Ländern so: Alle
haben gewartet, dass die anderen einen Schritt nach vorn machen, am Ende
hat sich keiner bewegt.
War es ein Fehler, dass die EU den Minimalkonsens am Ende mitgetragen hat?
Vielleicht wäre es konsequenter gewesen, das Papier abzulehnen, aber
viel geändert hätte das auch nicht mehr. Ohne die politische
Absichtserklärung hätte man gar nichts gehabt - mit dem Papier hat man
aber auch fast nichts. Es muss jetzt einfach weiter gemacht werden - so
bitter das auch klingen mag.
Was hätte Deutschland noch tun müssen, um die Klimakonferenz zu retten?
Wir hätten uns gewünscht, dass Deutschland mehr Druck gemacht hätte,
damit die EU weiter nach vorne geht. Große Hoffnungen lagen auch auf
Merkel, dass sie das Ruder noch rumreißen könnte. Umsonst, wie man jetzt
weiß.
Wie geht es jetzt weiter?
Bis jetzt ist noch nicht klar, wann und wo das nächste Treffen sein
wird. Entweder trifft man sich erst mal in Bonn oder fährt gleich nach
Mexiko. Die Beteiligten müssen sich jetzt erst mal sortieren und
überlegen, wie sie nach dieser Niederlage weiter machen.
Fragen: Susanne Götze
*** Aus: Neues Deutschland, 21. Dezember 2009
Pressestimmen
Der österreichische STANDARD titelt "Die Welt blamiert sich" und führt
aus:
"Fast scheint es, als würde Ban Ki Moon unter akutem Realitätsverlust
leiden. Ein Deal sei besiegelt, freute sich der UNO-Generalsekretär nach
dem Abschluss des Klimagipfels in Kopenhagen. Einen 'wichtigen
Ausgangspunkt' nannte er das Dokument. Doch beschlossen ist gar nichts.
Die schwierigen Entscheidungen sind aufgeschoben. Der einzige Punkt, der
in das Gipfelergebnis Eingang gefunden hat, sind maximal zwei Grad
Erderwärmung. Die Führer dieser Welt haben in Kopenhagen schlicht ihre
Verantwortung ignoriert und dafür ihre Wirtschaftsinteressen vertreten -
allen voran China und die USA", urteilt DER STANDARD aus Wien.
"Dieses Gipfeltreffen ist eine Farce gewesen", lautet auch das Fazit der
russischen Zeitung NOWYE ISWESTIJA.
"Viel Lärm um nichts und ein klimatisches Fiasko. Nicht umsonst wird
diese Veranstaltung von den Medien weltweit regelrecht zerrissen, denn
zwei Wochen Verhandlungen unter Teilnahme der Delegierten aus 193
Ländern führte zur Annahme eines Dokumentes, das vom schwedischen
Premierminister nur verächtlich 'diese Papiere' genannt wurde. Die
Hoffnungen der EU auf den Abschluss eines globalen juristisch
verbindlichen Abkommens sind damit zunichtegemacht", befürchtet NOWYE
ISWESTIJA aus Moskau.
Die Pariser Zeitung LIBÉRATION sieht die Europäische Union in der
Pflicht:
"Die großen Nationen haben in einem Festival diplomatischer
Machtlosigkeit und nationalstaatlicher Verblendung eine weltweite
verpflichtende Vereinbarung torpediert, die man - vielleicht mit allzu
großer Naivität - von Kopenhagen erwartet hatte. Nach diesem Versagen
einer Weltregierung dürfen die umweltbewussten Staaten, in erster Linie
die Europäer, nicht mehr ein unwahrscheinliches globales Abkommen
abwarten, sondern müssen mit gutem Beispiel vorangehen und einseitig die
erforderlichen Entwicklungen einleiten. So stünde die EU an der Spitze
der Bewegung, und so könnte das Fiasko von Kopenhagen langsam, aber
sicher überwunden werden", glaubt die französische LIBÉRATION.
"Dass Kopenhagen ohne konkrete Ergebnisse zu Ende ging, ist nicht nur
aus idealistischen Erwägungen heraus zu bedauern, sondern auch aus
handfesten wirtschaftlichen Gründen", ist in der estnischen Zeitung
EESTI PÄEVALEHT zu lesen.
"Ein Umsteuern bei den Emissionen hätte dem Energiesektor weltweit
Milliardeninvestitionen gebracht. Die Erde braucht eine
Energierevolution, und zwar aus dem simplen Grund, dass die fossilen
Brennstoffe nicht unendlich vorhanden sind. Je knapper die Ressourcen
werden, desto mehr steigt der Preis - und dadurch wächst der Bedarf an
neuen Energiequellen", legt EESTI PÄEVALEHT aus Tallinn dar.
Die NEW YORK TIMES lässt den Gipfel aus US-Perspektive Revue
passieren:
"Die globalen Klimaverhandlungen waren weder ein großer Erfolg noch ein
vollständiger Fehlschlag. Die harte Arbeit hat gerade erst begonnen, in
Washington und anderswo. Aber in Kopenhagen wurde gar nicht einmal so
wenig erreicht, wenn man die Komplexität des Themas und die Unterschiede
zwischen armen und reichen Ländern betrachtet. Und das ist zum großen
Teil das Verdienst von Präsident Obama. Er traf ein, als die Gespräche
vor dem Scheitern standen, verhandelte 13 Stunden nonstop und nahm sich
die Chinesen vor. Kurz vor Toresschluss - und mit Hilfe von China,
Indien, Brasilien und Südafrika - schmiedete er eine Vereinbarung, die
fast alle der 193 Nationen akzeptierten", hat die NEW YORK TIMES beobachtet.
Die japanische Zeitung ASAHI SHINBUN bemerkt dagegen:
"Wirtschaftswachstum ist für China unverzichtbar. Deswegen will das Land
eine Verpflichtung zur Reduzierung der Treibhausgase vermeiden. Dass
Peking die Verhandlungen in Kopenhagen entscheidend beeinflussen konnte,
liegt auch daran, dass die Führungsfähigkeit der USA nicht ausgereicht
hat. Die Amerikaner kündigten nur Ziele an, die unter dem Niveau von
Japan und Europa liegen. Präsident Obama hat sich zwar um das Abkommen
bemüht, allerdings war seine Position zu schwach, um als Anführer der
Industrienationen Überzeugungsarbeit gegenüber China zu leisten", heißt
es in ASAHI SHINBUN aus Tokio.
Die Zeitung DE VOLKSKRANT aus Amsterdam erkennt einen "Lichtblick":
"Alle Teilnehmer des Klimagipfels wissen, dass die Verhandlungen
weitergehen. Und vermutlich werden sie noch stärker als vor Kopenhagen
dem kritischen Blick der Öffentlichkeit sowie von Aktionsgruppen und
Nichtregierungsorganisationen ausgesetzt sein. Denn eines wurde auf alle
Fälle erreicht: Das Klima verschwindet nicht mehr von der Tagesordnung",
ist die niederländische Zeitung DE VOLKSKRANT überzeugt.
Die britische Zeitung THE GUARDIAN richtet den Blick ebenfalls auf das
Positive:
"Auch wenn das Ergebnis genau die Farce ist, als die es von den
Kritikern hingestellt wird, hat der Kopenhagener Gipfel wichtige
Vorarbeit geleistet. Am wichtigsten war - obwohl sich der Streit als
fruchtlos erwies -, die schlichte Tatsache, dass er überhaupt stattfand,
und das auf so hoher politischer Ebene, was deshalb wohl auch künftig
der Fall sein wird. Vor Kopenhagen wurden in weiten Teilen der Welt die
hohen und komlexen Risiken durch den Klimawandel kaum unter so
dramatischen Vorzeichen diskutiert. Jetzt, da die Staatenlenker von
Peking bis Brasilia deutlich gemacht haben, dass sie die Bedrohung für
so offensichtlich und ernsthaft halten, dass sie persönlich bei einer
Konferenz erscheinen, werden sie es beim nächsten Mal schwer haben zu
erklären, warum sie sich nicht darum kümmern. Der Silberstreif am
dunklen Horizont des Kopenhagener Misserfolgs ist zudem die Erkenntnis
des Westens, dass die Welt nicht per Diktat gerettet wird, sondern nur
durch einen wirklichen Dialog", resümiert der GUARDIAN aus London.
"Die Macht liegt nicht mehr nur im Westen, auch Länder wie China, Indien
und Brasilien haben an Stärke gewonnen und werden sich bei künftigen
Klimaverhandlungen nicht mehr kommandieren lassen", meint die
norwegische Zeitung DAGSAVISEN.
"Man mag sich fragen, ob die Regierungschefs den Ernst der Lage
begriffen haben. Das schwerfällige UNO-System ermöglicht es vielen
Staaten, nationale Interessen vor die Bedürfnisse der Welt zu setzen.
Und schließlich ist in Kopenhagen deutlich geworden, dass sich die
Länder am meisten einsetzen, in denen die öffentliche Meinung den
größten Druck ausübt. Ein breites Engagement für eine gute Klimapolitik
ist vermutlich der wichtigste Faktor, um die politischen Prozesse in
Gang zu bringen, die die Welt in den nächsten Jahren braucht", hält
DAGSAVISEN aus Oslo fest.
Die Schweizer Zeitung DER BUND setzt auf die Eigeninitiative einzelner
Staaten und der Wirtschaft:
"Zahlreiche Unternehmen zeigen sich wenig beeindruckt von der
politischen Trägheit. Sie werden ihren Weg weitergehen. Auch wenn die
internationale Politik nicht erfüllt, was gemeinhin erwartet wird, so
ist sie doch ein guter Gradmesser dafür, wohin es künftig im Klimaschutz
gehen wird. Die nationalen Aktionsprogramme einzelner Industriestaaten
und Schwellenländer geben immerhin einen Hinweis darauf, dass sie in
naher Zukunft auf Umwelttechnologie setzen und sich die Nachfrage danach
erhöht. Den größten Effekt im Klimaschutz werden wohl jene Länder und
Industrien spüren, die sich jetzt danach richten. Sie werden zu den
Gewinnern gehören", vermutet DER BUND aus Bern, und damit endet die
internationale Presseschau.
Quelle: Deutschlandfunk, 21. Dezember 2009;
www.dradio.de/presseschau/
Weitere Pressestimmen aus Deutschland
Christoph von Marschall zieht im Berliner "Tagesspiegel" eine etwas
zwiespältige Bilanz: China, USA und die Entwicklungsländer sind am dem
Desaster schuld - und die Macher der Industriestaaten werden es schon
richten:
Kopenhagen hat einen Trümmerhaufen hinterlassen. Schuld daran sind
viele: voran China, das heute mehr Treibhausgase in die Atmosphäre
pustet als jedes andere Land, aber eine überprüfbare Verringerung
verweigert, weil es ein Entwicklungsland sei. Dann die USA, die pro Kopf
die mit Abstand meisten Emissionen produzieren, aber ihren Lebens- und
Wirtschaftsstil nicht ändern wollen, jedenfalls nicht so schnell und
schon gar nicht mitten in der größten Wirtschaftskrise und höchsten
Arbeitslosigkeit seit 70 Jahren.
Auch die Entwicklungsländer haben verantwortungslos gehandelt und
Agitatoren aus Schwellenländern, die so tun, als verteidigten sie die
Armen. Schlimm genug, dass das letzte Angebot der Industrieländer so
mager ausfiel. Doch was ist gut daran, dieses Minimum zu torpedieren?
Sie spielen die moralischen Sieger, die sich dem "Diktat" der Mächtigen
widersetzen. In Wahrheit ist es eine Schmierenkomödie, wenn Diktatoren
über den autoritären Stil demokratischer Partner klagen. (...)
Der Krach von Kopenhagen war überfällig - und mag am Ende Gutes
bewirken. (...)
Die Klimaschützer haben die Gefahr mit ihrem Alarmismus und Idealismus
ins weltweite Bewusstsein gehoben. Auch hier übernehmen nun die Macher.
Der Krach in Kopenhagen war nicht das Ende. Es ist der Beginn eines
Prozesses, der zu Ergebnissen führen wird - weil er die Welt nimmt, wie
sie ist.
Etwas anders sieht das Cerstin Gammelin, die in der Online-Ausgabe der
Süddeutschen Zeitung (20. Dez.) vom "Desaster" Kopenhagen spricht und
eine Lanze für Tuvalu bricht:
Das muss man sich erst mal vorstellen: US-Präsident Barack Obama nimmt
sich zwölf Stunden Zeit, um an den Kopenhagener Klimaverhandlungen
teilzunehmen. Die Regierungschefs der großen europäischen Staaten
Großbritannien, Frankreich und Deutschland sitzen fast 24 Stunden
persönlich am Verhandlungstisch. Und dann kommt der Delegierte aus dem
kleinen Land Tuvalu und erklärt unverblümt, er wolle nicht die mächtigen
Länder über sein Schicksal entscheiden lassen.
Das Plenum schließt sich diesem Statement an. Es erklärt die von den
Mächtigen der Welt verfasste vage Abschlusserklärung zur Fußnote der
Kopenhagener Vereinbarung. Basta.
Es bedurfte des Votums eines kleinen Landes, um die Welt der
Kopenhagener Verhandlungen vom Kopf auf die Füße zu stellen. Tuvalu ist
direkt vom Klimawandel betroffen. Die Insel, die den eigenen Untergang
fürchten muss, kann es sich gar nicht leisten, diplomatischen Wortblasen
zuzustimmen. Viele andere kleine Staaten teilen dieses Schicksal.
Dieser Dramatik war sich der US-Präsident offensichtlich nicht bewusst,
als er in Washington in den Flieger nach Europa stieg - auch auf Bitten
der Europäer. Er ist nach Kopenhagen gekommen, hat eine seiner schönen
Reden gehalten - aber nichts für die armen und bereits von Flutwellen
oder Dürren heimgesuchten Länder mitgebracht. Dass diese ihn nun zur
Fußnote erklärt haben, ist nur logisch.
Der amerikanische Präsident hat einen großen Fehler gemacht. Er hätte
sich seine Reise sparen sollen, bis er wirklich helfen kann. Setzt er
zuhause im Kongress sein Klimagesetz durch, könnte es schon im Sommer,
beim nächsten Treffen, so weit sein.
Wenig Hoffnung auf eine Umkehr der Politik macht sich Kurt Stenger im
"Neuen Deutschland":
»Es ist ein Anfang.« UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon versuchte das
Scheitern der Klimakonferenz schönzureden. Vermutlich wollte er
übertünchen, dass die Weltorganisation der Regierungen nicht in der Lage
ist, trotz der bevorstehenden Klimakatastrophe notwendige Gegenmaßnahmen
einzuleiten. Die Mächtigen in den USA, der EU und China waren - wohl
auch wegen massiver Widerstände aus der Wirtschaft - nicht gewillt, ihre
Blockaden aufzugeben.
In Kopenhagen stand nicht ein Anfang, sondern der Abschluss eines
internationalen Abkommens an. Nach dem Auslaufen des wenig erfolgreichen
Kyoto-Protokolls 2012 droht nun eine zeitliche Lücke beim Klimaschutz.
Der erzielte Minimalkonsens - ein Bekenntnis zum Ziel, die Erderwärmung
unter zwei Grad Celsius zu halten - ist eine Zumutung. Klimaforscher
halten das für nicht ausreichend.
Kopenhagen hat aber auch deutlich gemacht, dass bisherige
Politikstrukturen - die großen Industrie- und einige Schwellenländer
mauscheln hinter verschlossenen Türen etwas aus, das die anderen
abnicken sollen - nicht zukunftstauglich sind. Gerade kleine
Entwicklungsländer können sich nicht mehr mit Almosen abspeisen lassen,
da ihre Existenz bedroht ist. Wenn sie im Bunde mit einer erstarkenden
Klimabewegung den Druck auf die Mächtigen verstärken, kann es mit dem
Klimaabkommen noch etwas werden, wenn in einem halben Jahr
weiterverhandelt wird. Aus heutiger Sicht ist diese Hoffnung freilich
gering.
Kopenhagen war eine "Katastrophe", meint Jörg Michel von der "Berliner
Zeitung". Es habe eigentlich nur Verlierer gegeben. Ob daraus Zuversicht
erwachsen kann, bleibt die Frage, solange die Gefahren des Klimawandels
noch nicht von allen wahrgenommen werden:
Bei einem globalen Problem wie dem Klimawandel ist es immer schwierig,
alle Interessen zusammenzuführen. Ein Schaulaufen von Regierungschefs,
die sich eifersüchtig beäugen, ist aber nicht nötig. Es reichen auch
Minister oder Fachbeamte. Unnötig sind auch wochenlange Treffen mit
ausschweifendem Rahmenprogramm. Ein gut vorbereitetes Arbeitstreffen tut
es auch. Schließlich braucht es Politiker, die sich ihrer globalen
Verantwortung stellen und nicht nur ihren lokalen Interessen. Das
betrifft vor allem die Führer der Industrieländer, aber zunehmend auch
die der Schwellenländer wie China. Viel zu häufig fehlt es noch an dem
Bewusstsein, dass der Klimawandel irgendwann alle bedroht. Und nicht nur
Tuvalu, Grönland oder die Halligen.
Trotz der miesen Ergebnisse von Kopenhagen sollte keine
"Endzeitstimmung" aufkommen, meint Wolfgang Pomrehn von der "jungen
Welt":
Die Verhandlungen werden weitergehen, und es ließen sich sogar mit
einigem guten Willen Gründe anführen, die zeigen, daß das Glas halbvoll
und keineswegs halbleer ist: Immerhin ist erstmals in einem UN-Dokument,
wenn auch nicht bindend, davon die Rede, daß die globale Erwärmung unter
zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau gehalten werden
soll. Das 1,5-Grad-Ziel, auf dem die kleinen Inselstaaten beharren,
findet darüber hinaus zumindest eine vage Erwähnung. Andererseits ist
das Kyoto-Protokoll und damit die Arbeit von zehn Jahren erheblich
beschädigt. (...)
Was all das für den Klimaschutz und den Fortgang der Verhandlungen
bedeutet, ist offen und hängt vor allen von zwei Dingen ab: Zum einen
haben die Schwellenländer eigentlich ein ökonomisches Interesse daran,
ihre Industrialisierung von vornherein auf erneuerbaren Energieträgern
aufzubauen. Nicht nur der Klimawandel, sondern auch die in den nächsten
Jahrzehnten zu erwartende Verknappung von zunächst Erdöl und Uran und
später auch Kohle machen Windkraftanlagen, Solarzellen, thermische
Sonnenkraftwerke und ähnliches zur Technologie der Zukunft. China und
Indien haben keine übermächtigen Öl-, Auto- und Energiekonzerne, die die
nationale Politik dominieren. Sie könnten also radikal umsteuern und
schon in wenigen Jahren die Industriestaaten auf dem Weltmarkt und auf
dem diplomatischen Parkett der Klimaverhandlungen vor sich her treiben.
(...)
Zum anderen hängt viel von der politischen Entwicklung in den
Industriestaaten ab. (...) Mehr Druck ist nötig, um die Erschließung
neuer Braunkohlegruben und den Bau weiterer Kraftwerke zu verhindern.
Richtungsweisend war in diesem Zusammenhang am Sonntag die Antwort, die
eine Gruppe australischer Umweltschützer auf die Kopenhagener Ergebnisse
fand: Sie brachten einen Kohlenzug, der auf dem Weg zum Exporthafen
Newcastle in der Nähe von Sydney war, auf offener Strecke zum Stehen und
ketteten sich an ihn an. Zur Nachahmung empfohlen.
Zurück zur "Klima"-Seite
Zurück zur Homepage