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Kyoto oder nicht

Schwellenländer drängen auf Klimaschutzvertrag und stellen eigene Verpflichtungen in Aussicht: Zwischenbericht vom UN-Klimagipfel

Von Wolfgang Pomrehn *

Im südafrikanischen Durban ist die UN-Klimakonferenz in die entscheidende Phase eingetreten. Am morgigen Freitag geht sie zu Ende, und noch immer ist offen, ob sich die versammelten Vertreter von über 190 Ländern auf eine Fortschreibung des Kyoto-Protokolls einigen können. Anderenfalls würde ab Ende nächsten Jahres vorerst kein verbindlicher Klimaschutzvertrag mehr den Emissionen der Treibhausgase zumindest gewisse Beschränkungen auferlegen.

Anfang der Woche hatte der chinesische Chefunterhändler Xie Zhenhua Bewegung in die Gespräche gebracht. Seine Ankündigung, die Volksrepublik könnte sich ab 2020 zur völkerrechtlich verbindlichen Begrenzung ihrer Treibhausgasemissionen verpflichten, machte ihn vorübergehend zum Star der Verhandlungen. Vertreter der indischen wie der chinesischen Delegation beeilten sich zu versichern, daß China damit keinesfalls aus der Front der BASIC-Gruppe (Brasilien, Südafrika, Indien und China) ausschere. Diese besteht gemeinsam mit vielen Entwicklungsländern darauf, daß zunächst die reichen Industriestaaten ihre Emissionen reduzieren, während den anderen Ländern mehr Raum und Zeit für ihre Industrialisierung gegeben wird.

Unabhängig von dieser grundsätzlichen Position haben allerdings China, Brasilien und eine ganze Reihe anderer Schwellenländer in letzten Jahren Selbstverpflichtungen zum Ausbau der erneuerbaren Energieträger wie Windkraft und Sonne sowie zur Verminderung der Emissionen pro Einheit Bruttosozialprodukt abgegeben. Die Volksrepublik zum Beispiel will bis 2015 die Emissionsintensität ihrer Wirtschaft gegenüber dem Niveau von 2005 um 47 Prozent reduzieren. Zu diesem Zweck wurden in den letzten Jahren bereits zahlreiche veraltete Kohlekraftwerke, Hochöfen und andere Industrieanlagen systematisch stillgelegt. Der durchschnittliche Wirkungsgrad chinesischer Kohlekraftwerke liegt daher inzwischen um einige Prozentpunkte über denen US-amerikanischer Anlagen.

Nun geht Peking einen Schritt und stellt, einer alten Forderung der USA nachkommend, in Aussicht, seine Treibhausgasemissionen auch im Rahmen eines internationalen Abkommens zu begrenzen. Das Land sei bereit, seinen Teil der Verantwortung zu schultern, sagte Xie in Durban. China leide selbst unter dem Klimawandel »und hat volles Verständnis für die Verluste, die die weniger entwickelten Länder und die Inselstaaten erleiden«. Taktisch höchst geschickt knüpfte er das Zugeständnis an die Industriestaaten an Bedingungen. Die Wichtigste: Das Kyoto-Protokoll muß verlängert werden. Außerdem muß der 2010 verabredete Klimafonds endlich eingerichtet und zunächst mit 30 Milliarden US-Dollar aufgefüllt werden. Ab 2020 sollen auf diesem Weg jährlich 100 Milliarden US-Dollar aufgebracht und verteilt werden, so Xies Forderung. Finanziert werden sollen in den Ländern des Südens einerseits die Anpassung an den Teil des Klimawandels, der nicht mehr aufzuhalten ist, andererseits die Entwicklung und Verbreitung klimaschonender Technologien.

In Durban debattieren die Diplomaten gerade darüber, ob dieser Topf unter anderem mit einer Abgabe auf die Emissionen der internationalen Schiffahrt gefüllt werden könnte. Eine solche Abgabe könnte zugleich einen Anreiz für den Einsatz sparsamerer Motoren und emissionsärmerer Treibstoffe sein. Sogenannte Bunker-Kraftstoffe, das heißt der in der internationalen Schiffahrt eingesetzte Diesel, unterliegen bisher nicht den internationalen Verträgen, seine Emissionen werden nicht den Ländern zugeordnet.

Einer Verlängerung des Kyoto-Protokolls verweigern sich bisher neben den USA, die es ohnehin nicht ratifiziert haben, Rußland, Japan und Kanada. Die EU zeigt sich in dieser Frage offen und drängt ansonsten auf die Verabschiedung eines verbindlichen Verhandlungzeitplans für ein neues, umfassendes Abkommen, das auch den Schwellenländern Begrenzungen ihrer Emissionen auferlegen würde. Nach Vorstellung Brüssels soll dies 2015 unterzeichnet werden.

Agenturenberichten zufolge drängt auch Südafrikas Präsident Jacob Zuma auf eine Verlängerung des Protokolls. Wenn einige Vertragsstaaten ihre Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll erneuerten, wären »andere in naher Zukunft bereit, sich einem verbindlichen Regime zu unterwerfen.« Mit den »anderen« ist vermutlich die BASIC-Gruppe gemeint, die im Vorfeld der Klimakonferenz intensiv an einer gemeinsamen Strategie gefeilt hatte.

Derweil weist ein Artikel im Fachblatt Nature Climate Change darauf hin, daß die Emissionen des wichtigsten Treibhausgases Kohlendioxid seit 1990 um 49 Prozent zugenommen haben. Der Ausstoß der Industrieländer, die 1990 noch für rund zwei Drittel der Emissionen verantwortlich waren, ist in dieser Zeit nur geringfügig zurückgegangen. Die Entwicklungsländer haben stark zugelegt.

* Aus: junge Welt, 8. Dezember 2011


Inselstaaten schlagen Alarm **

Die von der globalen Erwärmung akut in ihrer Existenz bedrohten Inselstaaten im Pazifik haben bei der UN-Klimakonferenz im südafrikanischen Durban die reichen Industrienationen aufgefordert, ihrer historischen Verantwortung für die Umweltverschmutzung gerecht zu werden. »Für die untergehenden Inselstaaten ist das Risiko bis an extreme Grenzen gestiegen, für andere nicht«, erklärte am Mittwoch der Premierminister von Niue, Toke Talagi. Es sei jetzt der Zeitpunkt für Entscheidungen gekommen, denn die Pazifikstaaten könnten sich den Luxus nicht leisten, weiter mit den Folgen des Klimawandels zu leben, so Talagi. Einige Industrieländer hätten dies jedoch noch nicht verstanden und würden wieder »bis zum letzten Augenblick warten«, wie sie es auch bei der griechischen Finanzkrise getan hätten.

Für die deutsche Bundesregierung sind hingegen alle anderen schuld daran, daß in Durban ein Verhandlungserfolg kaum wahrscheinlich ist. Umweltminister Norbert Röttgen forderte vor allem Peking zu Zugeständnissen auf: »Wir müssen den Druck auf China aufrechterhalten, sich nun auch tatsächlich zu bewegen.« Weniger hart zeigt sich der Minister gegenüber den USA, auch wenn deren Position »anhaltend bedauerlich« sei. Washington hat das Kyoto-Klimaschutzprotokoll nicht ratifiziert. Beiträge für Fortschritte bei den Verhandlungen seien von dort nicht zu erhoffen, so Röttgen. Es bestehe auch »nicht der Hauch einer Erwartung«, daß ein möglicher Klimakompromiß überhaupt eine Mehrheit finden könnte, stimmte der Politiker auf ein Scheitern der noch bis Freitag dauernden Konferenz ein.

Ziele Deutschlands und der EU in Durban sind eine Fortschreibung des Kyoto-Protokolls für Klimaschutz sowie ein Mandat oder einen Fahrplan für ein späteres umfassendes, rechtlich verbindliches Abkommen. Die Vereinbarung von Kyoto legt den Industrie­ländern Emissionsgrenzen auf, nicht aber den großen Schwellenländern wie China und Indien. (PL/dapd/AFP/jW)

** Aus: junge Welt, 8. Dezember 2011


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