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Klimakonferenz in Durban:

Sparlampen vor dem Kollaps

Von Marcel Hänggi *

Was, wenn einmal die "letzte Chance" ausgerufen, aber nicht genutzt wurde?

Ende November beginnt in Durban (Südafrika) der 17. Uno-Klimagipfel. Es ist der zweite nach der «letzten Chance», die 2009 in Kopenhagen vertan wurde. Von der «wichtigsten internationalen Konferenz seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs» sprachen damals viele. Und tatsächlich wäre «Kopenhagen» als Meilenstein in die Geschichte eingegangen, wäre denn herausgekommen, was hätte herauskommen müssen: ein Abkommen, das den Klimawandel begrenzt und die Kosten des Klimawandels und seiner Bekämpfung global gerecht verteilt. Ein Abkommen, das die Welt verändert.

Es wäre die letzte Chance gewesen, nach dem (viel zu schwachen) Kyoto-Protokoll klimapolitisch lückenlos weiterzumachen und vielleicht sogar die USA einzubinden. Die Vor­aussetzungen standen gut: Die USA hatten einen frischen Präsidenten, der für «Wandel» stand (wer erinnert sich noch?) und sich auf eine Mehrheit im Kongress stützen konnte. Die Finanzkrise hatte die Politik als Akteurin gegenüber den Märkten und ihren politikfeindlichen IdeologInnen – scheinbar – gestärkt. Der Klimawandel war in den Schlagzeilen.

Heute lähmt die Wirtschaftskrise eine völlig ratlose Politik, und ausgerechnet Professoren der Ökonomie, dieser als Wissenschaft auftretenden Zivilreligion, erscheinen als die besseren Politiker. Barack Obama schlägt sich mit republikanischen Mehrheiten herum und bangt um die Wiederwahl. Japan, Russland und Kanada haben sich vom Kyoto-Protokoll verabschiedet.

Aus den öffentlichen Debatten ist der Klimawandel weitgehend verschwunden. Wenn, um nur ein aktuelles Beispiel zu nennen, der Kanton Zürich am 27. November über eine Flughafenvorlage abstimmt, dann war im Abstimmungskampf viel von Fluglärm die Rede. Eine grundsätzliche Diskussion darüber, dass Fliegen, nähme man den Klimawandel ernst, in Zukunft nicht mehr drinliegt, dass es mithin auch ökonomisch unsinnig wäre, Flughäfen auszubauen, glaubte man denn ernsthaft an den politischen Willen, die Katastrophe abzuwenden: Eine solche Diskussion hat nicht stattgefunden. Die BefürworterInnen des Ausbauverbots wollen ja nicht als wirtschaftsfeindlich gelten. Von Klimawandel zu sprechen, wäre da total uncool.

Uncool ist es auch, Katastrophenstimmung zu verbreiten. Die gute Laune angesichts des prächtigen Novemberwetters mit dem Hinweis auf die Rekordtrockenheit zu verderben. Man riskiert, dass die Leute in Apathie verfallen, womit auch niemandem gedient wäre. Also nur keine Panik. Und so glauben denn auch unter denen, die den Klimawandel nicht rundweg leugnen, immer noch viele, es gehe darum, das Überleben der Eisbären zu sichern, indem man Elektroauto fährt, Sparlampen kauft und CleantechlobbyistInnen ins Parlament wählt. Nur nichts überstürzen, sonst machen die BürgerInnen nicht mit.

Unterdessen übertreffen die Treibhausgasemissionen die schlimmsten Erwartungen. Wir gehen auf eine Erwärmung um sechs Grad bis Ende unseres Jahrhunderts zu. Südeuropa könnte so unwirtlich werden wie die Sahara. Längerfristig würde die grönländische Eis­decke schmelzen und den Meeresspiegel um mehrere Meter anheben. Ohne Gletscher in den Alpen, in den Anden oder im Himalaja geriete die Trink­wasserversorgung von mehr als einer Milliarde Menschen in Gefahr. Es drohen Ressourcen­kriege, Hungerkatastro­phen, der Kollaps staatlicher Strukturen.

«Beende deinen Artikel mit einem Ausblick, wie das Problem sich lösen lässt», heisst es oft, wenn ich über den Klimawandel schreiben soll, «wir wollen unsere LeserInnen nicht entmutigen.» Ich kann dem Wunsch immer entsprechen, denn es braucht nicht viel Fantasie – wenn auch mehr, als in der Politik üblich ist –, um sich eine Welt vorzustellen, die anders ist als unsere, ohne schlechter zu sein. Allein, man müsste handeln.

In Durban gilt es, die Aufgabe zu lösen, die «Kopenhagen» nicht gelöst hat. Sie ist einfach noch schwieriger geworden. Doch vielleicht geschieht ja ein politisches Wunder. Dann hätten wir noch einmal eine letzte Chance.

* Aus: Schweizer Wochenzeitung WOZ, 24. November 2011; www.woz.ch


In Durban wirds keinen Durchbruch geben

Von Bernhard Pötter **

Während der Klimawandel voranschreitet, werden an der Klimakonferenz höchstens kleine Fortschritte erzielt. Die Entwicklungsländer engagieren sich inzwischen effektiver im Klimaschutz als die Industriestaaten.

Es gibt optimistisch stimmende Nachrichten in Bezug auf den Klimawandel: Im Frühjahr hat die Regierung von China, dem Land, das weltweit am meisten CO2 ausstösst, eine Öffnung gegenüber dem Kyoto-Protokoll angekündigt. Sie treibt ausserdem den Ausbau von Wind- und Solarkraft voran und hat ein Verbot herkömmlicher Glühbirnen eingeführt. Auch die deutsche Regierung setzt seit 2011 ernsthaft auf erneuerbare Energien. Und der Uno-Sicherheitsrat debattierte im Juli zum Thema «Klimawandel und Sicherheit».

Doch die pessimistisch stimmenden Nachrichten überwiegen: Im Oktober wurde bekannt, dass 2010 die weltweiten CO2-Emissionen so schnell wie nie zuvor angestiegen sind, nämlich um sechs Prozent. Gleichzeitig gab es kaum je eine so geringe Ausdehnung des arktischen Eises. Darüber hinaus belegt eine neue Studie erstmals anhand der Hitzewellen und Waldbrände vom Sommer 2010 in Russland, dass der Trend der globalen Erwärmung das Wettersystem beeinflusst. Und der Uno-Klimarat IPCC präsentierte am 18. November ein «Sondergutachten Extremwetter», das vor der Zunahme von Starkregen und Dürren, vor dem Steigen des Meeresspiegels und mehr starken Stürmen warnt.

Laut Prognosen wird vor allem das südliche Afrika in Zukunft von Überschwemmungen, Wassermangel und Missernten bedroht sein. Das ist einer der Gründe, warum die eifrigsten KlimaschützerInnen inzwischen in den armen Ländern zu finden sind. In einer breit angelegten schwedischen Umweltstudie heisst es: «Die Schwellenländer haben 2008 am Kopenhagen-Gipfel zusammen mehr Emissionsreduzierungen vorgeschlagen, als die Industrieländer zugesagt haben.»

Die 17. Uno-Klimakonferenz, die am 28. November im südafrikanischen Durban beginnt, wird dennoch kaum mehr als kleinste Verhandlungsfortschritte bringen. An einen Durchbruch glauben inzwischen nicht einmal mehr die UnterhändlerInnen. Trotzdem gibt es für Durban ehrgeizige Pläne: So soll eine zweite Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls erreicht werden, dessen Verpflichtungen Ende 2012 auslaufen; alle Länder sollen den Beschluss fassen, bis 2015 ein umfassendes und völkerrechtlich bindendes Abkommen zum Klimaschutz zu verhandeln; und die Beschlüsse der letztjährigen Konferenz in Cancún sollen umgesetzt werden. Dazu gehört unter anderem die Einrichtung eines «grünen Klimafonds», aus dem Entwicklungsländer Geld für Klimaschutz bekommen können. Die Umsetzung dieses Fonds wurde in den Vorverhandlungen Ende Oktober erst einmal auf Eis gelegt, da sich die USA ihre Zustimmung als Verhandlungsoption für Durban aufheben.

Gerade dieses Beispiel zeigt: Klimaverhandlungen sind keine Ökoveranstaltungen. Viele Regierungen schicken nicht ihre UmweltministerInnen, sondern die Verantwortlichen für Aussen- und Wirtschaftspolitik in die zweiwöchigen Verhandlungen. Diese werden zusätzlich erschwert, da sich China und die USA seit Jahren gegenseitig belauern, wer zuerst international verpflichtend erklärt, die Emissionen zu drosseln. Europa wäre zwar gern in der Vorreiterposition, wird aber in Durban von der aktuellen EU-Ratspräsidentschaft Polen vertreten, einem Land, das in der EU bisher jeden Klimaschutz blockiert hat. Einige Länder Lateinamerikas werden unter der Federführung von Boliviens Präsident Evo Morales womöglich eine Blockadehaltung einnehmen, weil sie etwa den Emissionshandel ablehnen – ähnlich, wie sie es in Cancún versucht haben. Und ob Japan nach der Atomkatastrophe von Fukushima seine ehrgeizigen Klimaziele erreichen kann, ist völlig offen, da es momentan seine Stromversorgung vor allem über den Einsatz von Kohlekraftwerken bestreitet.

Dass sich die internationalen Machtverhältnisse zudem verschoben haben, zeigt sich daran, dass die Regierungen der USA und Europas Anfang November beim G20-Gipfel in Cannes China, Brasilien, Indien und Korea um finanzielle Unterstützung zur Abwendung der Wirtschaftskrise bitten mussten. Von Klimaschutz war in Cannes keine Rede.

Dabei hat das Kyoto-Protokoll durchaus Erfolge zu verbuchen: 1997 verpflichteten sich die Industriestaaten zum ersten Mal, ihre Treibhausgasemissionen bis 2010 um etwa fünf Prozent gegenüber dem Ausstoss von 1990 zu senken. Die staatliche niederländische Umweltagentur PBL hat errechnet, dass sie dieses Ziel erreichen werden. Sie werden sogar bei minus elf Prozent landen. Grund dafür sind jedoch nicht Einsparungen, sondern vor allem der Zusammenbruch der Industrie im ehemaligen Ostblock sowie die Verlagerung industrieller Produktion in Schwellenländer. Real sind die Treibhausgasemissionen zwischen 1990 und 2008 weltweit um fast vierzig Prozent gestiegen. Das meiste kommt heute zudem aus Ländern, die das Kyoto-Protokoll nicht unterzeichnet haben – aus den USA und Schwellenländern wie China oder Indien. Immer noch bläst die Menschheit jährlich insgesamt etwa 37 Milliarden Tonnen CO2 in die Luft – das sind fünf Milliarden zu viel, um das erklärte Ziel zu erreichen, nicht über zwei Grad Erderwärmung seit Beginn der Industrialisierung hinauszukommen.

** Aus: Schweizer Wochenzeitung WOZ, 24. November 2011 (Kommentar); www.woz.ch


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