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Das Nichtstun wird immer teurer

OECD-Studie warnt vor massiver Erderwärmung - und deren wirtschaftlichen Folgen

Von Ralf Klingsieck, Paris *

Wenige Tage vor Beginn des UN-Klimagipfels im südafrikanischen Durban hat die OECD eindringlich vor politischer Tatenlosigkeit gewarnt.

Jüngsten Analysen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zufolge werden sich die Treibhausgasemissionen in den nächsten 40 Jahren verdoppeln. Wenn die Regierungen nicht umgehend handeln, wird dies zu einer weltweiten Temperaturerhöhung bis zum Ende des Jahrhunderts um drei bis sechs Grad Celsius führen. Davor warnte die OECD am Donnerstag auf einer Pressekonferenz an ihrem Sitz in Paris.

In Vorbereitung auf die Ende November im südafrikanischen Durban beginnende UN-Klimakonferenz gab die Industrieländerorganisation bereits einige Zahlen und Fakten aus ihrer umfangreichen Umweltprognose für 2050 bekannt, die im März 2012 fertiggestellt und veröffentlicht werden soll. Darin wird für 2050 »ein düsteres Bild von der Erde und den Lebensbedingungen für ihre neun Milliarden Bewohner« gezeichnet, »wenn sich die Politik und das Verhalten zu diesen Problemen nicht grundlegend verändern«. Wenn beispielsweise die Energiepolitik der Regierungen so bleibt wie heute und 2050 weiterhin 85 Prozent der Elektroenergie aus Kohle und Erdöl erzeugt werden, dann erreicht die Klimagaskonzentration in der Atmosphäre 2050 ein Niveau von 685 ppm (parts per million) - gegenüber heute 390 ppm. Wissenschaftler gehen davon aus, dass schon bei 450 ppm eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit besteht, dass sich die Temperatur der Erdatmosphäre um 2°C erhöht. Diese Marke wird von Klimaforschern als gerade noch beherrschbar bezeichnet; die Staaten haben sich unverbindlich dazu bekannt, die Erderwärmung auf dieses Niveau zu begrenzen.

»Die aus politischer Tatenlosigkeit resultierenden wirtschaftlichen Kosten und Konsequenzen für die Umwelt des Menschen sind schwerwiegend«, erklärte Simon Upton, Direktor des OECD-Umweltreferats. »Die Regierungen müssen endlich über ihren nationalen ›Tellerrand‹ hinwegsehen, die globale Entwicklung erkennen und entsprechend handeln.« Wenn die Konferenz von Durban hier eine radikale Wende und internationale Verhandlungen einleiten würde, die schnell zu einem allgemein verbindlichen Übereinkommen führen, dann könnte man die Temperaturerhöhung noch auf 2°C begrenzen, ist die OECD überzeugt. »Das düstere Bild für 2050 kann noch aufgehellt werden, wenn die Regierungen einen ›grünen‹ Weg einschlagen«, meinte Simon Upton. »Aber das Zeitfenster für eine solche Entscheidung ist bald zu«, warnte er.

Nach Berechnungen der OECD wird die klimagasbedingte Erhöhung der Erdtemperatur die jährlich Steigerung des Bruttoinlands-produkts um mindestens 0,2 Prozentpunkte bremsen, und dies mit steigender Tendenz. Für das Ziel, die Klimaveränderung bei plus 2°C zu stoppen, seien »kühne Entscheidungen und umfassende technologische Veränderungen« nötig, so Upton. »Je zögerlicher die Politiker handeln, umso teurer wird die Rechnung«, ist der OECD-Direktor überzeugt. Die Kosten, um das Ziel einer Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 2°C zu erreichen, würden um ein Drittel steigen, wenn man nicht bald zu einer umfassenden CO2-Einlagerung in der Erde kommt. Ein Plus von 50 Prozent gäbe es bei einem Verzicht auf die Nutzung von Atomenergie und gar mehr als eine Verdopplung, wenn man nicht schnellstens umfassende Energiesparmaßnahmen ergreift und erneuerbare Quellen stärker nutzt.

Dass die UN-Klimakonferenzen 2009 und 2010 in Kopenhagen und Cancún praktisch ohne Entscheidungen und positive Folgen geblieben sind, habe jetzt schon die Kosten für eine Temperaturbegrenzung um mindestens 50 Prozent in die Höhe getrieben. »Nicht zu handeln, wird immer teurer«, warnte Simon Upton. Die jüngste Krise habe die Klimaveränderung nur unwesentlich abgeschwächt. Sich auf den erwarteten globalen Wirtschaftsabschwung und einen Mangel an Mitteln für eine entschlossene Veränderung der Energie- und Umweltpolitik zu berufen, sei kurzsichtig. »Für andere Dinge findet sich ja auch das nötige Geld. In Sachen Klima fehlt nicht das Geld, sondern nur der politische Wille!«

* Aus: neues deutschland, 25. November 2011


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