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"Schon 2017 kann Erwärmung außer Kontrolle geraten"

Nach der Durban-Konferenz: Greenpeace fordert verbindliches Klimaabkommen bis 2015. Gespräch mit Volker Gaßner *


Volker Gaßner leitet die Presseabteilung von Greenpeace Deutschland.

Das klimapolitisch wohl wichtigste Treffen des Jahres 2011 war die Weltklimakonferenz in Durban, die am 11. Dezember mit einer gemeinsamen Erklärung zu Ende ging. Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?

Es entspricht überhaupt nicht unseren Erwartungen. Nach einer Marathonsitzung haben sich die Staaten auf den Kompromiß geeinigt, bis 2020 feste Klimaziele auszuhandeln.

Es ist aber bisher nicht geregelt, in welcher Höhe und in welchem Verhältnis Kohlendioxideinsparungen gerecht auf die einzelnen Länder verteilt werden sollen.

Wir fordern, ein verbindliches Klimaabkommen schon bis 2015 statt erst bis 2020 auszuhandeln. Fachleute betonen immer wieder, daß eine Erderwärmung um mehr als zwei Grad Celsius zu ernsten Gefahren führt. Es ist daher Eile geboten, 2020 kann es schon zu spät sein.

Berechnungen des UNO-nahen Instituts IPCC zeigen, daß schon 2017 die Erwärmung außer Kontrolle geraten kann. Welchen Handlungsbedarf gibt es in Deutschland?

Wir haben eine Studie entwickelt, die »Der Plan« heißt. Darin zeigen wir, wie bis 2050 unsere Energieerzeugung auf regenerative Quellen umgestellt werden kann. So schnell es geht, müssen wir aus der Kohlekraft aussteigen. Das würde enorme CO2-Reduktionen bedeuten – braucht aber eine gewisse Zeit. Als Brückentechnologie bis zur völligen Umstellung auf erneuerbare Energien setzen wir auf Gaskraftwerke, die viel weniger Kohlendioxid ausstoßen. Wir zeigen in der Studie, wie das alles funktioniert.

Welche Gaskraftwerke sind gemeint? Großversorger oder dezentrale Einheiten?

Bei der heutigen Infrastruktur werden wir auf einige Großkraftwerke nicht verzichten können. Für Haushalte eignet sich die Kraft-Wärme- Kopplung (KWK). Das sind ganz kleine Kraftwerke, die Strom und Heizungswärme zugleich erzeugen. Inwieweit müssen die bestehenden Stromnetze verändert werden?

In den vergangenen Jahren haben Politik und Wirtschaft viel Zeit verschwendet, indem sie untätig blieben. Die Netzkapazitäten wurden nicht dezentral ausgebaut. Viel mehr werde die Windernergie einfach abgeschaltet, wenn der Strombedarf sank. Es ist höchste Zeit, mit dem Umbau zu beginnen. Nicht nur die Produktion von Strom und Wärme erzeugt Kohlendioxid. Ein erheblicher Teil des Treibhausgases entsteht im Straßenverkehr.

Wie müssen die Fahrzeuge der Zukunft aussehen? Sollen es Elektroautos sein?

Elektroautos bringen nur dann etwas, wenn die Energie, die sie verbrauchen, aus erneuerbaren Quellen gewonnen wird. In der Autoindustrie gibt es große Kapazitäten für sparsame Motoren – die entsprechende Technologie ist längst vorhanden, wird aber zu wenig eingesetzt. Wer sie nutzen möchte, muß mehrere tausend Euro Zuschlag zahlen. Solche spritsparenden Fahrzeuge müssen die Autobauer künftig in Serie fertigen. Das darf nicht auf Liebhaberfahrzeuge beschränkt bleiben.

Sie haben eine Bilanz des Jahres 2011 gezogen. Für den größten Schock sorgte die Havarie des Atommeilers im japanischen Fukushima im März. Immerhin begrenzte die CDU/CSU-FDP-Bundesregierung daraufhin die Laufzeit der deutschen Kernkraftwerke – der neuerliche Ausstieg soll bis 2021 vollzogen werden. AKW-Gegner fordern jedoch die sofortige Abschaltung aller Atomanlagen, so zuletzt beim Castortransport im November. Was schlägt Greenpeace als Termin vor?

In unserer Studie »Der Plan« gehen wir davon aus, daß ein Ausstieg bis 2015 realistisch ist. Bis dahin kann man für ausreichende Alternativen sorgen. Die jetzige Regelung sehen wir allerdings mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Lachend, weil einige AKW sofort abgeschaltet werden – weinend, weil die anderen zu lange weiterlaufen. Wir beobachten die Planung der Bundesregierung zähneknirschend, sind aber froh, daß der Atomkraft überhaupt ein Ende gesetzt wurde. Ungelöst bleibt weiterhin die Frage der Endlagerung atomaren Abfalls. Gorleben ist nicht geeignet, weil es dort Gasvorkommen und Wassereinlagerungen gibt. Es kommt allerdings Bewegung in die Sache. Wir brauchen eine Endlagersuche, die ergebnisoffen ist.

Interview: Mirko Knoche

* Aus: junge Welt, 31. Dezember 2011


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