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Same procedure as every year

Warum auch der Klimagipfel in Durban scheiterte

Von Marcus Meier *

Knapp 20 Jahre nach Verabschiedung der UN-Klima-Rahmenkonvention hat die Weltgemeinschaft sich noch immer nicht auf substanzielle Ziele zum Schutz des Klimas geeinigt. Woran liegt's?

Und wieder einmal ist ein Klimagipfel gescheitert. In Durban stellte sich die Weltgemeinschaft lediglich die Lizenz zum Weiterschwätzen aus. Einige wollen das Lichtlein der Hoffnung trotz allem noch nicht gänzlich verloschen sehen. Bundesumweltminister Norbert Röttgen beispielsweise sprach von einem »Riesenerfolg«. Schließlich will der globale Diplomaten-Tross ab 2014 über ein neues Klimaabkommen verhandeln, das 2020 in Kraft treten soll. Wenn denn alles nach Plan verlaufen wird – ausnahmsweise.

Warum finden eigentlich Klimagipfel statt?

Auch 1992, auf der mit viel pomp and circumstance abgehaltenen UN-Umweltkonferenz in Rio, hatten sich die Staats- und Regierungschefs auf wenig geeinigt, aber immerhin die UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC) verabschiedet. Sie betont (wenigstens das!), »dass angesichts des globalen Charakters der Klimaänderungen alle Länder aufgerufen sind, so umfassend wie möglich zusammenzuarbeiten und sich an einem wirksamen und angemessenen internationalen Handeln... zu beteiligen«.

Artikel 7, Absatz 4 der UNFCCC legt fest, dass alljährlich Konferenzen der Vertragsstaaten abzuhalten seien. Entgegen anders lautenden Gerüchten finden die Klimagipfel also nicht deshalb regelmäßig statt, weil die Mächtigen der Welt sich enorm Wichtiges zu sagen hätten.

Der globale Norden ignoriert seine Verantwortung

Der »größte Teil der früheren und gegenwärtigen weltweiten Emissionen von Treibhausgasen«, heißt es in der UNFCC zu recht, stamme »aus den entwickelten Ländern«. Entsprechend weist das völkerrechtliche Dokument den Industriestaaten eine besondere Verantwortung zu. Sie müssten ihren Treibhausgas-Ausstoß drastisch vermindern, wenn sie den Klimaschutz ernst nähmen.

Seitdem wird darüber verhandelt, was das konkret bedeuten würde. Und zwar Jahr für Jahr für Jahr für Jahr. Doch Gipfel um Gipfel um Gipfel scheitert. Es gilt das Motto aus dem Sylvester-Sketch: »Same procedure as last year?« – »Same procedure as every year!«

Erwartbare Ergebnisse, gelegentliche Überraschungen Nach jeder dieser bisher 17 Konferenzen pflegten Spötter zu betonen, für das Klima wäre es besser gewesen, wenn sie nicht stattgefunden hätte. Denn durch die Flugreisen der Konferenzteilnehmer werde das Klima zusätzlich be-, durch die Verhandlungsergebnisse hingegen kaum entlastet.

Natürlich gibt es gelegentliche Überraschungen – ein bisschen Abwechselung muss schließlich sein: Am Tag nach dem Ende der Durban-Konferenz verkündete Kanada, aus dem Kyoto-Protokoll auszusteigen. Kein Wunder: Das Land hat seine milden Verpflichtungen bewusst ignoriert, musste deswegen mit Strafzahlungen in Milliarden-Höhe rechnen und will an der Förderung von Öl und Ölschiefer verdienen, die sich dank steigender Weltmarktpreise trotz hohen Aufwandes rentieren.

Schon spekuliert unsere Quälitätspresse, ob nun der Ausstieg weiterer Kyoto-Staaten drohe.

Vorbild Ozonschicht-Diplomatie?

Nein, das – in Politologen-Sprech: – Internationale Klimaregime kommt einfach nicht voran. Ganz im Gegensatz zum Ozonschicht-Regime, dem erklärten Vorbild: Auch dort gab es zunächst einen Rahmenvertrag, der durch Zusatz-Protokolle mit Leben erfüllt wurde. So wurde, in den Worten des renommierten Klimaforschers Hans Joachim Schellnhuber, »knapp vor der Wand eingebremst«.

Das Ozonschicht-Regime gilt als absolute Erfolgsstory. Kann es auch ein Vorbild für die Klimadiplomatie sein? Beim Schutz der Ozonschicht galt es, einige wenige Gase, insbesondere FCKWs zu substituieren, auf dass Kühlschränke und Haarsprays umweltfreundlicher werden. Eine vergleichsweise geringe Herausforderung. Beim Spaziergehen bewältigt wurde sie dennoch nicht.

Derweil eilte das Schicksal der Menschheit zur Hilfe: So hatten die USA ein Interesse am Schutz der Ozonschicht, weil der Chemieriese DuPont Ersatzstoffe für die ozonschichtschädlichen FCKW entwickelt hatte und daran verdienen wollte. Ist nun alles gut? »Wenn die internationale Kooperation nachlassen sollte«, betont Wissenschaftler Schellnhuber, »sind wir schnell wieder im Roten Bereich.«

Klimaschutz: Vier Revolutionen

Beim Schutz des Weltklimas indes würde es um mehr gehen als ein paar Ersatzstoffe: Die Art, wie wir produzieren, konsumieren, transportieren, kurz: unser gesamter Lebensstil müsste verändert werden. Wir wären gezwungen, unsere Zivilisation einem umfassenden Update unterziehen. Und das würde eine vierfache – mit Verlaub: – Revolution voraussetzen. Der status quo ante:
  • Energie: Die energiebedingten Treibhausgasemissionen haben sich zwischen 1970 und 2004 knapp verzweieinhalbfacht. Betrachtet man die 20 laut Forbes umsatzstärksten Konzerne der Welt, so stellt man fest: Acht verdienen an Öl und Gas.
  • Verkehr und Transport: Im Vierteljahrhundert nach 1970 stieg die Klimabelastung durch den Verkehr auf das 2,2-Fache zu. Auch in den bisherigen »Entwicklungsländern« strebt man nach umfassender Automobilisierung. Und mit der Internationalisierung der Produktion geht eine »Transportinflation« (Winfried Wolf) einher.
  • Industrie: Mag die Zahl der Skeptiker auch steigen – die Wirtschaft soll wachsen, wachsen, wachsen, das ist breiter Konsens. Und sie muss es auch: Stagnation ist Ausdruck und Ursache von Krise – zumindest in marktwirtschaftlich verfassten Ökonomien. Manch einer träumt nun von »grünem«, einem von Umwelt- und Klimabelastung »entkoppelten« Wirtschaftswachstum. Die Realität schaut anders aus: Immer mehr, immer neue, meist pseudo-innovative Produkte, immer schnellere Produktzyklen, immer höherer Schadstoffausstoß, Rohstoff- und Energieverbrauch. Und mag gelegentlich ein Produkt oder ein Produktionsverfahren auch energie-effizienter und daher klimafreundlicher sein: Die schiere Masse frisst alle diese Fortschritte auf (»Rebound-Effekt«).
  • Landwirtschaft: Sie ist längst globalisiert, die Fleischproduktion steigt, denn Steaks und Braten gelten als Wohlstandsindikator. Das verschärft nicht nur den Hunger derjenigen, deren potenzielles Brotgetreide in den Futtertrögen des Schlachtviehs landet. Auch das Klima wird durch Methan rülpsende Rinder belastet. Die industrielle Landwirtschaft schädigt das Klima zudem mit Lachgas – der Preis für synthetische Düngung. Das Perfide: »Die Brennpunkte des Hungers sind auch die Brennpunkte des Klimawandels«, analysiert Thomas Hirsch, Klimabeauftragter von »Brot für die Welt«. Will meinen: »Dort, wo die Menschen jetzt schon hungern, wird der Klimawandel besonders früh besonders brutale Folgen haben.«
Gegen ADAC, BDI und Co. anregieren?

Was folgt daraus? Wenn Angela Merkel eine echte »Klimakanzlerin« wäre, müsste sie sich heftigst mit mächtigen Lobbygruppen anlegen: Dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), den Industrie- und Handelskammern (DIHK), dem Allgemeinen Deutschen Automobil-Club (ADAC), dem Deutschen Bauernverband (DBV) und natürlich der Energie-Industrie (E.ON, RWE, EnBW, Vattenfall) – um nur die wichtigsten zu nennen. Fetzen müsste Merkel sich mit allen Lobbies gleichzeitig. Ist das realistisch? Mancher ahnt, manchem schwant: Wir brauchen noch eine fünfte Revolution.

* Aus: neues deutschland, 16. Dezember 2011


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