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Vom Pfeifen der Lunge

Wie Dürren am Amazonas die Erderwärmung beschleunigen: Eine Studie aus Leeds

Von Stephen Leahy/IPS *

Eine extreme Trockenperiode ließ im vergangenen Jahr große Teile des Regenwalds am Amazonas verdorren. Millionen Bäume überstanden die Dürre nicht. Die 300 Jahre lang gespeicherten Treibhausgase, die sie nun freisetzen, können von nachwachsenden Bäumen nicht absorbiert werden. Der Klimawandel wird dadurch erheblich beschleunigt. Das besagt eine aktuelle Studie der britischen University of Leeds. Die Menge der dürrebedingten CO2-Emissionen wird von den Autoren mit acht Milliarden Tonnen angegeben. Nach der großen Dürre in der Region 2005 seien fünf Millarden Tonnen CO2 zusätzlich ausgestoßen worden, erklärt Studienleiter Simon Lewis. Rechne man beides zusammen, käme man auf die 13 Milliarden Tonnen CO2, die China und die USA im Jahr 2009 zusammen produziert hätten.

Die Folgen der Dürre von 2005 haben Lewis und sein brasilianischer Kollege Paulo Brando vom Amazonas-Umweltforschungsinstitut IPAM mit ihren Forschungsteams genauer untersucht. Zwar hielt sich das Waldsterben pro Hektar in Grenzen. Aber als grüne Lunge fiel das Amazonasgebiet aus. Zwei Jahr lang absorbierte es demnach überhaupt kein CO2. Vor der Dürre hatte es 1,5 Milliarden Tonnen jährlich aufgenommen. »Nach vier bis acht Jahren« hätte die Lunge wieder auf ihre ursprüngliche Betriebstemperatur kommen können, heißt es in der Studie. Nun ist die nächste Dürre dazwischengekommen. Deren Folgen schätzen Lewis und Brando angesichts der Größe der Waldverluste deutlich verheerender ein. Mehrere Millionen Quadratkilometer waren 2010 betroffen.

Noch folgen solch große Dürren am Amazonas selten so dicht aufeinander, aber wissenschaftliche Klimamodelle lassen für den Regenwald das Schlimmste befürchten. Angesichts der voranschreitenden Erderwärmung wird ein Rückgang der lokalen Niederschläge erwartet. Nach Ansicht von Lewis sind die dürrebedingten CO2-Emissionen Teil einer Rückkopplungsschleife, die die Region stärker austrocknen läßt. Er rechnet mit häufigeren und intensiveren Dürren.

Eine Studie führender Forschungseinrichtungen kam 2010 zu ähnlich alarmierenden Schlüssen. Ihr zufolge könnten Klimawandel, Entwaldung und Feuer bis 2075 zum Verlust von 66 Prozent der Amazonaswälder führen, die heute 53 Millionen Quadratkilometer bedecken. Regenwälder generieren in der Regel einen Teil ihrer Niederschläge selbst. Werden sie dezimiert, verlieren sie diese Fähigkeit, werden trockener. Es wächst die Feuergefahr. Ein Resultat ist weniger Regen.

Nach Einschätzung von Thomas Lovejoy, Wissenschaftler am »Heinz Centre for Science, Economics and the Environment« in Washington D.C., droht eine Verwandlung der Wälder in Cerrados, wie Brasiliens savannenähnliche Gebiete genannt werden. Lovejoy nennt vier Faktoren, die diese Entwicklung ganz wesentlich vorantreiben: menschliche Armut, Brände, rückläufige Artenvielfalt und die Zunahme von CO2-Emissionen.

Der IPAM-Tropenbiologe Da­niel Nepstad weist darauf hin, daß die Niederschläge im Südosten des Amazonasgebietes in den vergangenen vier Jahren bereits um 25 Prozent zurückgegangen sind. Dadurch sei es zu Bränden auf Flächen von bis zu 10000 Quadratkilometern gekommen. Der Qualm habe seinen Teil zur Austrocknung der Wälder beigetragen.

Immerhin, sagt Nepstad, wird in den Amazonaswäldern seit einigen Jahren deutlich weniger Holz geschlagen. Im westbrasilianischen Bundesstaat Mato Grosso sei ein Rückgang der Rodungen von 67 Prozent zu verzeichnen. Der Fall der Weltmarktpreise für Soja und Rindfleisch habe die Umwandlung von Wald- in Agrarflächen abgebremst. Dazu könnten Waldschutzprogramme wie REDD, sofern sie klug umgesetzt würden, Erstaunliches bewirken.

Nepstadt kennt noch andere Wälder, die sich zu Klimaemittenten entwickeln. Anlaß zur Sorge gebe der nördliche Nadelwaldgürtel, der noch größer als die Amazonaswälder ist. »Seuchen, Insektenplagen und Brände sorgen hier dafür, daß die Region ihr Grün einbüßt«, warnt Nepstad. Das weltweit zu beobachtende Waldsterben gehöre zu den »Indikatoren, die vermuten lassen, daß sich Klimawandel schneller als erwartet vollzieht«, sagt er. »Hingegen haben sich die Gegenmaßnahmen verlangsamt.«

* Aus: junge Welt, 10. Februar 2011


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