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Leeres Paket aus Doha

Umweltschützer kritisieren Ergebnisse der Klimakonferenz der Vereinten Nationen

Von Nick Reimer, Doha *

Die Beschlüsse der UN-Klimakonferenz in Doha sind bei Umweltschützern und Entwicklungsorganisationen auf Kritik gestoßen. Nach einer langen Hängepartie hatten sich die Teilnehmer unter anderem auf eine neue Verpflichtungsperiode für das Kyoto-Protokoll verständigt.

Als dann alles geklärt schien, meldete Russland Widerspruch an. Man kennt das schon von vergangenen Klimakonferenzen: Kurz vor Toresschluss kommen Moskaus Emissäre gern noch einmal mit einem Gegenvorschlag, der nicht selten den ganzen mühsamen Kompromiss wieder gefährdet.

Diesmal aber ging alles glatt: Konferenzpräsident Abdullah bin Hamad Al-Attiyah, der Vizepremier Katars, verlas einfach stur die Dokumente. Blatt für Blatt setzte er einen völkerrechtlich bindenden Vertrag in Kraft, der die Verlängerung des Kyoto-Protokolls, die Finanztransfers in den Süden und ein Verhandlungsmandat für einen neuen Weltklimavertrag beinhaltet. Den Einspruch Russlands hatte Al-Attiyah glatt übersehen.

Die Welt tritt damit in ein neues Zeitalter. Das Verhandlungsmandat sieht vor, einen Vertrag auszuarbeiten, der erstmals alle Staaten der Welt mit Reduktionspflichten belegt. In der Klimapolitik entfällt damit ab sofort die Unterscheidung in Industrie- und Entwicklungsländer. Im Kyoto-Protokoll sind bislang nur die Industriestaaten verpflichtet, ihre Emissionen zu reduzieren. Sie sollen so ihre Klimaschuld abtragen: 80 Prozent der menschgemachten Treibhausgase stammen aus Schloten der Industriestaaten. Seit aber China weltgrößter Emittent ist und Indien, Brasilien oder Indonesien in den Top Ten aufsteigen, ist klar, dass die Industrienationen das Problem nicht allein lösen können.

Neben dem Verhandlungsmandat wurde eine zweite Verpflichtungsperiode zum Kyoto-Protokoll beschlossen. Das dritte heikle Thema war auch auf dieser Konferenz das Geld. Die Entwicklungsländer – Hauptleidtragende des Klimawandels, aber kaum Verursacher – hatten 60 Milliarden Dollar für die nächsten drei Jahre gefordert. Außerdem wollten sie einen Fahrplan, der angibt, wie diese »Klimafinanzierung« auf jährlich 100 Milliarden Dollar im Jahr 2020 anwächst. Jährlich acht Milliarden Dollar hatten die Industriestaaten zugesagt. Doch weder Japan noch die USA waren bereit, Geld auf den Tisch zu legen.

Im Vertragstext heißt es jetzt wachsweich, die Industriestaaten werden dazu »ermutigt«, ihre Klimafinanzierung zu erhöhen. Außerdem sind sie angehalten, bei der nächsten Klimakonferenz 2013 in Polen »Informationen über ihre Strategien und Ansätze zur Mobilisierung der 100 Milliarden Dollar« vorzulegen.

Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) sprach dennoch von einem »guten Signal für den Klimaschutz«. Es sei positiv, dass das Kyoto-Protokoll weitergeführt werde und die »Weichen für ein neues weltweites Abkommen gestellt« seien, das nun bis 2015 ausgehandelt werden soll. Erstmals fallen Unterschiede zwischen Industrie- und Schwellenländern weg, künftig sollen alle Staaten Reduktionspflichten übernehmen. »Wir haben die Brücke vom alten System zu einem neuen Klimaregime überschritten«, so EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard. Sie erinnerte daran, dass die eigentliche Arbeit jetzt erst beginnt: Die Ausarbeitung des neuen Vertrages. Zuletzt waren die Klimadiplomaten damit 2009 in Kopenhagen gescheitert.

Umweltschützer reagierten ebenfalls erleichtert. »Es ist enorm wichtig, dass das Kyoto-Protokoll am Leben bleibt«, urteilte Sven Harmeling von Germanwatch. Schon allein wegen der Methodik: »Das Protokoll legt international rechtsverbindlich fest, wie der Treibhausgasausstoß in jedem einzelnen Land gemessen und vergleichbar wird. Wir brauchen diese Instrumente für den Zukunftsvertrag.«

Für das Weltklima selbst bringe das Ergebnis von Doha dagegen nichts. »Die Ambitionen der Vertragsstaaten sind viel zu gering, um das Zwei-Grad-Ziel noch schaffen zu können«, so der Experte. Wenn die Kyoto-Vertragsstaaten wie im zweiten Verpflichtungsvertrag beschlossen ihre Emissionen bis 2020 um 20 Prozent senken, entspräche dies etwa dem Emissionswachstum in China und Indien binnen weniger Jahre.

»Gemessen an den Erwartungen ist die Konferenzbilanz enttäuschend, gemessen an den Herausforderungen des Klimawandels ist sie vernichtend«, sagte Eberhard Brandes, Vorstand des WWF Deutschland. »Es wurde zwar ein Doha-Paket geschnürt, das den internationalen Klimaschutzprozess weiterführt, das Paket ist aber fast leer.«

* Aus: neues deutschland, Montag, 10. Dezember 2012

Zweites Kyoto-Protokoll

  • Für das Kyoto-Protokoll soll es von 2013 bis 2020 eine zweite Verpflichtungsperiode geben, die erste läuft 2012 aus. 2014 sollen die Ziele für die Minderung des CO2-Ausstoßes überprüft werden. Dann könnte die EU ihr Emissionsziel auf minus 30 Prozent bis 2020 verschärfen. Das scheiterte in Doha am Widerstand Polens.
  • Vor allem in Osteuropa dürfen reichlich vorhandene überschüssige Emissionsrechte aus der ersten Periode, sogenannte »Hot Air«, weiter genutzt werden. Mit Einschränkungen dürfen diese Staaten die Zertifikate auch verkaufen, sogar über 2020 hinaus.
  • Russland, Kanada, Japan und Neuseeland sind an der zweiten Verpflichtungsperiode nicht mehr beteiligt, übrig bleiben 27 EU-Staaten, einige weitere europäische Länder und Australien. Sie stehen künftig nur noch für etwa elf bis 13 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen, Tendenz sinkend.
  • Um die USA und China sowie langfristig alle Staaten in eine Klimaschutzvereinbarung einzubeziehen, soll bis 2015 ein neues Abkommen ausgehandelt werden und dann 2020 in Kraft treten.
  • Ein Weltgipfel für Klimaschutz ist für 2014 vorgeschlagen.
  • In einem Beschluss wird »tiefe Besorgnis« darüber ausgedrückt, dass die bisherigen Anstrengungen zur Emissionsminderung nicht ausreichen, um die Erderwärmung auf 1,5 bis zwei Grad zu begrenzen. Bislang ist bis 2100 laut wissenschaftlichen Prognosen eher eine Erwärmung um vier Grad oder mehr zu erwarten.
AFP/nd



Völlig unzureichend

UN-Klimagipfel in Doha

Von Wolfgang Pomrehn **


Die diesjährige UN-Klimakonferenz ist zu Ende, und ihr Ergebnis läßt sich je nach Gemütslage entweder als Scheitern interpretieren, wie es Beobachter der Linkspartei machen, oder auch als winziger, viel zu zaghafter Fortschritt. Je nach Sichtweise ist das Glas entweder zu 95 Prozent leer oder zu fünf Prozent gefüllt. Der Verhandlungsprozeß geht immerhin weiter, der Eklat ist wieder einmal um Haaresbreite vermieden, und das Kyoto-Protokoll wird bis 2020 verlängert. Damit ist zumindest dafür gesorgt, daß es auch in den nächsten sieben Jahren einen rechtsverbindlichen Klimaschutzvertrag geben wird.

Aber was in diesem steht, ist völlig unzureichend. Noch hätte die Menschheit die Chance, die globale Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen – ein Wert übrigens, der von Ländern wie Bolivien oder Fidschi mit gutem Grund als zu hoch angesehen wird –, doch dafür müßten die globalen Emissionen bis 2020 um rund 15 Prozent gesenkt werden. Danach sieht es allerdings im Augenblick nicht aus, denn Kyoto II wird nicht einmal einen Prozentpunkt dazu beitragen. Ansonsten beharren die Länder des Südens weiter – völlig zu recht – darauf, ihre Wirtschaft zu entwickeln, während die Industriestaaten sich ebenso beständig weigern, ihre Emissionen so rasch zu senken, daß sowohl Entwicklung als auch Klimaschutz möglich ist. Das geht nun schon seit über 20 Jahren so.

Die Motive für diese nachhaltige Blockade sind so banal wie die Folgen brutal: Treibhausgase entstehen vor allem beim Verbrennen von Kohle und Erdölprodukten, und mit diesen sind mächtige Interessen verbunden. Seien es die Öl- und Autokonzerne in den USA oder die Stromgiganten hierzulande: Alle zetern und zerren sie, um den längst überfälligen Umbau der Energieversorgung zu verhindern oder zumindest zu verzögern.

Natürlich wird derlei selten offen ausgesprochen. Hierzulande gehört es vielmehr trotz allen Bemühens, Sonnen- und Windenergie auszubremsen, immer noch zum guten Ton, dem Klimaschutz das Wort zu reden. Daher hat es nicht an blumigen Formulierungen gefehlt, die das Ergebnis beschönigen. Bundesumweltminister und Merkel-Intimus Peter Altmaier sprach davon, daß in Doha »das Tor in die Zukunft des internationalen Klimaschutzes geöffnet wurde«. Ausgerechnet Altmaier, der zu spät anreiste, seine vollmundigen Versprechen nicht einhielt und dessen Staatssekretärin Katherina Reiche die EU-Verhandlungsposition in Doha sozusagen vor laufender Kamera sabotierte.

Derweil ist der Klimawandel längst in vollem Gange. Seien es die verheerenden Waldbrände in Rußland im Sommer 2010, die anhaltend schwere Dürre im Getreidegürtel der USA oder zuletzt der schwere Taifun »Bopha«, der vergangene Woche den Süden der Philippinen verheerte und Hunderte Menschen tötete: Die Natur spart nicht mit Hinweisen darauf, was uns in einer wärmeren Welt blühen wird.

** Aus: junge Welt, Montag, 10. Dezember 2012


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