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Gipfel der Zauderer

Viele Bremser: Von der UN-Klimakonferenz in Doha erwartet niemand konkrete Ergebnisse. Entwicklungsländer verlangen Mittel zur Bewältigung der Folgen des Wandels

Von Jana Frielinghaus *

Selbst die Weltbank hat dieser Tage mit großer Eindringlichkeit vor den Folgen des Klimawandels gewarnt und ein Abkommen gefordert, das alle Staaten verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, mit denen die globale Erwärmung auf zwei Grad Celsius begrenzt werden soll. Noch wäre das möglich. Wird das Zwei-Grad-Ziel nicht erreicht, dann ist der Wandel nicht mehr beherrschbar, die Kosten von immer mehr Extremwetterlagen wie Stürmen, Fluten, Dürre, Dauerregen und Umsiedlungen wegen des sich erhöhenden Meeresspiegels steigen ins Unermeßliche. Laut Weltbank-Prognose wird die durchschnittliche globale Temperatur schon bis zum Jahr 2060 um vier Grad steigen, wenn nicht endlich gehandelt wird.

In Doha, der Hauptstadt des Golfstaates Katar, wo am Montag der 18. Klimagipfel der Vereinten Nationen begonnen hat, deutet bislang jedoch nichts darauf hin, daß es auf dem zweiwöchigen Treffen zu konkreten Übereinkünften kommen wird. Ignoranten und Blockierer bestimmen trotz aller Mahnungen der Versammlungsleitung weiter die Agenda, obwohl die Folgen des Wandels auch in den USA nach extremer Dürre diesen Sommer und Sturm »Sandy« im Oktober so stark im öffentlichen Bewußtsein präsent sein dürften wie noch nie.

Dabei läuft im kommenden Jahr das Kyoto-Protokoll aus, in dem im Dezember 1997 zum ersten und bisher einzigen Mal völkerrechtlich verbindliche Zielwerte für den Ausstoß von Treibhausgasen in den Industrieländern festgelegt wurden. Er sollte demnach bis zu diesem Jahr um 5,2 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 reduziert werden. Dieses Ziel wurde nicht erreicht, und global stiegen die Emissionen seither statt dessen weiter an, maßgeblich bedingt durch die rasante industrielle Entwicklung in Schwellenländern wie China, Indien und Brasilien. Einem vergangene Woche veröffentlichten UN-Bericht zufolge ist die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre allein seit dem Jahr 2000 um 20 Prozent gestiegen.

Das Kyoto-Protokoll trat erst am 16. Februar 2005, also mehr als sieben Jahre nach Verabschiedung, in Kraft. Die USA als damals noch größter Kohlendioxidemittent – heute stehen sie mit 5,4 Milliarden Tonnen CO2 (Stand 2010) nach China (7,3 Milliarden) auf Platz zwei – traten ihm nie bei. Kanada erklärte vor einem Jahr seinen Ausstieg. Das nordamerikanische Land ist der achtgrößte Verursacher von CO2-Emissionen (537 Millionen Tonnen) und macht durch die Forcierung der extrem klimaschädlichen und umweltvergiftenden Gewinnung von Erdöl aus Ölsanden von sich reden.

In Doha soll es um weitere Reduktionsziele für eine »zweite Verpflichtungsperiode« von 2013 bis Ende 2017 oder Ende 2020 im Rahmen eines »Kyoto 2«-Protokolls gehen. Weiter soll ein »Weltklimavertrag« vorbereitet werden, der 2015 verabschiedet werden und 2020 in Kraft treten soll. Das Problem: Auch Japan und Rußland, die mit 1,6 bzw. 1,14 Milliarden Tonnen jährlichen CO2-Ausstoßes Rang vier und fünf unter den größten Klimagas¬emittenten einnehmen, wollen sich an dem Fortsetzungsprotokoll nicht mehr beteiligen.

Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) versprach am Montag, in Doha entschlossen gegen den Klimawandel kämpfen zu wollen. Die Europäische Union sollte »baldmöglichst« ihr Ziel zur Minderung des Treibhausgasausstoßes von 20 auf 30 Prozent erhöhen und zugleich dafür sorgen, daß der europäische Emissionshandel funktioniere, sagte Altmaier dem ZDF. Der Präsident des Umweltbundesamts, Jochen Flasbarth, betonte, gebe es keine Erhöhung des EU-Reduktionsziels, müsse in den kommenden Jahren de facto »gar keine Minderung« mehr erfolgen. Altmaier forderte, die Bundesrepublik müsse weiter eine Vorreiterrolle bei den Klimazielen einnehmen. Zugleich warnte der CDU-Politiker davor, den Eindruck zu erwecken, »daß Deutschland nicht mehr mit einer Stimme spricht«. Hintergrund ist der Widerstand seines Kabinettskollegen Philipp Rösler (FDP) gegen eine Reform des europäischen Emissionshandels. Um den drohenden Preisverfall der Emissionszertifikate zu stoppen, will die EU-Kommission 900 Millionen Zertifikate später als bislang geplant versteigern. Am 12. Dezember soll darüber entschieden werden. Altmaier unterstützt den Vorschlag, der Bundeswirtschaftsminister ist dagegen.

Der Zertifikathandel ist auch global ein Streitpunkt. Viele osteuropäische Länder und Rußland haben ihr im ersten Kyoto-Protokoll festgelegtes Kontingent an CO2-Ausstoßerlaubnissen nicht ausgeschöpft. Diese wollen sie an andere Kyoto-2-Teilnehmerländer verkaufen, was dessen Wirkung enorm schwächen würde. Insbesondere die EU-Kommission lehnt dies ab.

Ein weiterer Streitpunkt ist der sogenannte Grüne Klimafonds, mit dem von den Folgen der Erderwärmung besonders betroffenen Ländern ab 2020 bis zu 100 Milliarden Dollar pro Jahr zur Verfügung gestellt werden sollen. Ob und wie es ihn geben wird, ist derzeit ebenso offen wie die Frage, in welchem Umfang sich welche Schwellenländer künftig an der Reduktion des CO2-Ausstoßes beteiligen sollen. Bisher hatten sie keine diesbezüglichen Auflagen.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 28. November 2012


Umkämpfte Ressource

Vor Doha wurde in Berlin über den Schutz des Bodens diskutiert **

Die Veranstalter der ersten »Global Soil Week«, die vom 18. bis 22. November in Berlin stattfand, wollten ihren Kongreß als eine Art Zuarbeit zum UN-Gipfel in Doha verstanden wissen. Thema war die ebenso umkämpfte wie vernachlässigte und rücksichtslos ausgebeutete Ressource Boden. Der Boden, ein ebenso komplizierter wie empfindlicher Quasi-Organismus, ist über Jahrtausende entstanden – und kann in wenigen Jahren unwiderruflich kaputtgemacht werden.

Initiiert wurde die mehrtägige Veranstaltung mit 300 internationalen Teilnehmern aus Politik, Wissenschaft und Nichtregierungsorganisationen vom Potsdamer »Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS)«. Dessen Gründungsdirektor ist Exbundesumweltminister Claus Töpfer (CDU), der 1998 bis 2006 Exekutivdirektor des UN-Umweltprogramms UNEP war. Unterstützt wurde das Treffen u.a. von der Welternährungsorganisation FAO, vom UN-Programm zur Bekämpfung der Wüstenbildung UNCCD, von UNEP, der EU-Kommission und dem Bundesentwicklungsministerium. Grund für das Expertentreffen: Die wichtigste Grundlage für die menschliche Ernährung ist gefährdet wie noch nie. Weltweit gehen jedes Jahr 24 Milliarden Tonnen Ackerland verloren. Durch Erosion, sogenannte Degradation, also dauerhaften Verlust der Fruchtbarkeit und der dafür verantwortlichen Mikroorganismen, infolge jahrelanger Monokulturen und massiven Einsatzes von Pestiziden, durch Wüstenbildung, durch Zubetonierung. Allein in Deutschland werden pro Tag 70 bis 100 Hektar Acker versiegelt – durch Straßenbau, für Wohn- und Industrieanlagen.

Nach Ansicht von Experten sind nur zwölf Prozent der Erdoberfläche landwirtschaftlich nutzbar. Zugleich kommt dem Boden die Schlüsselrolle für die menschliche Ernährung zu: Mehr als 90 Prozent aller Nahrungsmittel werden laut IASS noch immer direkt durch Ackerbau gewonnen, trotz der Zunahme des weltweiten Fleischkonsums. Darüber hinaus ist er der größte terrestrische Kohlendioxidspeicher. Er bindet vier Billionen Tonnen CO2, wirkt also dem die globale Erwärmung maßgeblich bedingenden Treibhauseffekt entgegen.

Ein Faktor, der die Tendenz zur Zerstörung von Ackerland durch Raubbaubewirtschaftung weltweit verstärkt, ist die steigende Nachfrage nach Soja und anderen Eiweißpflanzen als Tierfutter. Sie hat insbesondere Ländern wie Brasilien und Argentinien einen beispiellosen Boom beschert – auf Kosten von Mensch und Umwelt. Für die für Soja-Monokulturen genutzten Flächen werden Wälder abgeholzt, der Erhalt der Fruchtbarkeit durch humuserhaltende Fruchtfolgen als Voraussetzung für eine dauerhafte Nutzung spielt keine Rolle. Der Agrospritboom hat ähnlich verheerende Folgen.

Auf der Global Soil Week wurde eine »Agenda for Action« beschlossen, die den Teilnehmern des UN-Gipfels in Doha zugeleitet werden sollte. Die Frage, ob Ackerland nicht Gemeineigentum sein sollte, wird darin nicht gestellt. Dabei steht außer Zweifel, daß die zunehmende Spekulation mit Boden und seine Konzentration in immer weniger Händen wesentlicher Teil des Problems ist. (jf)

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 28. November 2012


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