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Sahara-Solarstrom für Europa?

Projekt in Tunesien soll 2016 liefern

Von Hans-Gerd Öfinger *

Im Wüstensand von Tunesien soll ab 2016 in großem Maßstab Solarstrom für Westeuropa erzeugt und über eine 700 km lange Höchstspannungsleitung durch das Mittelmeer nach Italien gelangen.

Dass August Bebel einmal ausgerechnet von Kapitalisten als Wegbereiter erneuerbarer Energien hochgehalten würde, hätte sich der 1913 verstorbene SPD-Veteran kaum träumen lassen. In seinem Buch »Die Frau und der Sozialismus« beschrieb Bebel nicht nur die Geschichte der Frauenunterdrückung, sondern entwarf auch kühne Alltagsvisionen einer demokratisch-sozialistischen Gesellschaft. Ihm imponierte, dass pfiffige Techniker die Sonne als potenzielle Energiequelle sahen: »Einige Quadratmeilen in Nordafrika würden für den Bedarf eines Landes wie das Deutsche Reich genügen.«

Die damaligen Solar-Pioniere wurden allerdings im real existierenden Kapitalismus durch Weltkrieg und Erdöllobby jäh ausgebremst. Erst die Erkenntnis, dass die fossilen Brennstoffe ausgehen und regenerative Energiequellen ebenso unendlich wie profitabel sind, hat im späten 20. Jahrhundert wieder den Blick auf die Solarenergie und die Wüsten Nordafrikas gelenkt.

Zu den modernen Wegbereitern solcher Projekte gehört die 2009 gegründete gemeinnützige Stiftung Desertec Foundation, hinter der neben Privatpersonen auch Firmen wie der Versicherungskonzern Munich RE, Banken, Technologiekonzerne und Beratungsfirmen stehen. Desertec will in Zusammenarbeit mit Bundesregierung, EU und Investitionsbank Schleswig-Holstein allein in Marokko rund 20 Solaranlagen, Windparks und Wasserkraftwerke errichten lassen.

»Wir sind jetzt in der konkreten Umsetzungsphase«, beschrieb Till Stenzel, Vizechef von TuNur, einem Joint Venture zwischen dem Solarunternehmen Nur Energie und tunesischen Investoren, den Entwicklungsstand eines Projekts, das Sahara-Solarstrom nach Mitteleuropa liefern soll. Dies sei auch »ohne signifikante Investitionen in das italienische Netz« möglich, erklärte Stenzel dieser Tage bei einer Projektpräsentation in Frankfurt am Main. Die Anlage soll ab 2016 jährlich zwei Gigawatt Strom erzeugen, etwa die doppelte Menge eines durchschnittlichen Kernkraftwerkes. Das Projekt nütze auch der lokalen Wirtschaft und Bevölkerung, beteuerte Stenzel. An den guten Beziehungen zu den Behörden in Tunis und den sonnenreichen Sahara-Provinzen hätten auch die Veränderungen im Zuge das »Arabischen Frühlings« nichts geändert, so Stenzel.

Ob sich Bebel über solche Aussichten freuen würde? »Solarstrom aus Nordafrika für Europa hat nichts mit sozialökologischem Umbau oder Klimagerechtigkeit zu tun, sondern ist nur eine weitere Form der neokolonialen Ausbeutung von Ressourcen der arm und abhängig gehaltenen Länder«, kritisiert Michael Aggelidis von der Linksfraktion in NRW die Desertec-Pläne. Im Zusammenhang mit dem Protest der Sahrauis in der besetzten Westsahara lehnt auch der LINKE-Parteivorstand das Projekt Desertec ab. Dieses werfe »neben umweltpolitischen vor allem auch außenpolitische, menschenrechtlich und entwicklungspolitische Fragen auf, die auch mit der von Marokko völkerrechtswidrig besetzten Westsahara zusammenhängen«, heißt es in einem Beschluss von 2010.

* Aus: neues deutschland, 30. Januar 2012


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