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"Das Label Klimaschutz ist Etikettenschwindel"

"Grüne" Energien, Agrosprit- und Biogasproduktion stoppen nicht die Erderwärmung – im Gegenteil. Ein Gespräch mit Ulrich Eichelmann


Ulrich Eichelmann (51) lebt in Wien, arbeitete für Umweltschutzorganisationen und engagiert sich seit Jahren insbesondere gegen den Bau des Ilisu-Staudamms in der Türkei. »Climate ­Crimes« ist sein erster Dokumentarfilm.

Sie haben einen Film über den Mißbrauch des Begriffs Klimaschutz gedreht. Denen, die den Ausbau der sogenannten erneuerbaren Energien vorantreiben, stellen Sie darin ein denkbar schlechtes Zeugnis aus. Aber gibt es denn eine Alternative dazu, wenn man von Atomkraft und Verbrennung fossiler Energien wegkommen will?

Wenn der unregulierte Ausbau der sogenannten grünen Energie so weitergeht wie bisher, zerstört man genau das, was der Klimaschutz eigentlich erhalten will, nämlich Natur, Artenvielfalt und Lebensraum für den Menschen. Klimaschutz ist richtig und wichtig, aber was uns als mit dem Label Klimaschutz verkauft wird, ist Etikettenschwindel und beschleunigt die Zerstörung der letzten Naturgebiete, ohne tatsächlich was fürs Klima zu tun. Die Alternative wäre nur eine Veränderung unseres Lebensstils, eine drastische Reduzierung unseres Energie- und Ressourcenverbrauchs.

Eines der von Ihnen behandelten Probleme ist die massiv steigende Agrosprit- und Biogasproduktion. Welche Folgen dieser Entwicklung haben Sie beobachtet?

Wir haben uns vor allem die Folgen für die Natur angeschaut, denn die für die Verfügbarkeit von Nahrung sind ja inzwischen hinlänglich bekannt. Wir waren in Indonesien und zeigen, was die Biodieselproduktion dort anrichtet, und in Deutschland haben wir uns die Folgen der Biogaserzeugung mit Mais angeschaut. Insbesondere in Indone­sien werden irre Mengen von Landschaft »gefressen« – und damit Lebensraum für viele Tiere. Dort ist zum Beispiel der Orang Utan inzwischen extrem vom Aussterben bedroht, denn für Palmölplantagen wird immer mehr Urwald abgeholzt.

Ketzerisch könnte man sagen: Wenn eine Menschenaffenart oder andere Lebewesen aussterben, wäre das doch hinnehmbar, wenn so die Erderwärmung gestoppt und Lebensräume und Nahrungsgrundlagen für den Menschen erhalten würden...

Wenn es denn so wäre. Aber gerade auf Borneo wird für Palmöl in einem Umfang Regenwald abgeholzt, daß einem schlecht wird. Und gerade das heizt ja den Klimawandel an. Und die Biogaserzeugung in unseren Breiten ist auch völlig kontraproduktiv. Wenn ich alles einrechne, was für die Mais­produktion für Biogasanlagen nötig ist – Düngemittel, Pestizide, Transport, Traktorstunden – und den Umbruch mooriger Wiesen und anderer Biotope einrechne, dann ist die CO2-Bilanz negativ.

Auch Wasserkraft gilt immer noch als »saubere« Energiequelle. Daß ihre Nutzung zu Naturzerstörung, Vertreibung von Menschen – und Vernichtung von bäuerlichen Existenzen infolge Wassermangels führt, ist bekannt. Welche Wasserkraftprojekte nehmen Sie im Film aufs Korn?

Man muß zunächst wissen, daß 80 Prozent der erneuerbaren Energie weltweit aus Wasserkraft stammt – und eben nicht aus Windkraft- und Solaranlagen. Während noch in den 1990er Jahren kaum Wasserkraftwerke gebaut wurden, weil der Widerstand so groß war, sind im Moment weltweit sage und schreibe 5000 große Staudämme im Bau – allein in Amazonien sind es 60 Megadämme und 600 mittlere. Und das ist mit eine Folge des Klimaschutzgedankens, weil gesagt wird: Alles, was nicht CO2 ausstößt, ist gut. Im Film zeigen wir einmal das Belo-Monte-Staudammprojekt in Brasilien, durch das voraussichtlich 100 Fischarten aussterben, Regenwaldflächen zerstört und mehr als 30000 Menschen zwangsumgesiedelt werden. Und in Mesopotamien, das als Wiege unserer Kultur gilt, soll der Ilisu-Staudamm am Tigris die antike Stadt Hasankeyf überfluten.

Der Oberste Gerichtshof der Türkei hat am 7. Januar entschieden, daß der Bau des Ilisu-Staudammes den Umweltschutzgesetzen der Türkei widerspricht und einen sofortigen Baustopp angeordnet. Gibt das nicht Anlaß zur Hoffnung?

Die Hoffnung stirbt zuletzt, sagt man, aber sie ist gering. An diesem Bauwerk hängt viel Nationalstolz, und hier ist zu befürchten, daß Präsident Recep Tayyip Erdogan ein Dekret erlassen wird, in dem er erklärt, daß das Projekt von übergeordnetem nationalem Interesse ist und daß deshalb dafür die Gesetze nicht gelten.

Interview: Jana Frielinghaus

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 23. Januar 2013

Climate Crimes - Umweltverbrechen im Namen des Klimaschutzes

Ein Film von Ulrich Eichelmann

Climate Crimes ist die Geschichte von atemberaubenden Landschaften, seltenen Arten und Menschen, die mit der Natur leben. Sie alle werden bedroht, nicht vom Klimawandel, sondern vom Klimaschutz und das, was in seinem Namen geschieht.

Mehr als 2 Jahre lang hat sich Ulrich Eichelmann und sein team auf die Spuren von Klimaschutzprojekten und “grüner Energien” begeben. Er besuchte dazu die Mesopotamischen Sümpfe im Irak, die Urwälder Amazoniens und Indonesiens, den Südosten der Türkei sowie Schutzgebiete in Deutschland.

Climate Crimes ist eine Reise zu den Tatorten der grünen Energien mit erschreckendem Ergebnis. Wasserkraftwerke, Biodiesel- und Biogasproduktion drohen selbst die letzten Juwele des Planten zu vernichten. Und das wird zudem noch mit einem grünen Zertifikat “Klimaschutz” markiert. Tödlicher Etikettenschwindel.

Info zum Film auf: http://riverwatch.eu/climate-crimes




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