Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kein "Big Bang" beim Klimaschutz

Auftakt des Weltklimagipfels war geprägt von Appellen der Gastgeber – und großer Skepsis

Von Andreas Knobloch, Cancún *

In den ersten Verhandlungstagen der 16. UN-Weltklimakonferenz versuchen die Delegationen aus aller Welt, auf Arbeitsebene die zumeist sehr konträren Positionen in Fragen wie Waldsterben, Finanzhilfen und Emissionsreduktion anzunähern. In der nächsten Woche sollen dann die Umweltminister und einige Staatschefs für Entscheidungen sorgen.

Der Start des Klimagipfels in Cancún war geprägt von Aufrufen zur Übereinkunft – und viel, viel Skepsis. Nachdem Mexikos Präsident Felipe Calderón zum Auftakt im Hotel Moon Palace, dem höchst exklusiven Ort der Verhandlungen, ein mögliches Scheitern als »Tragödie« bezeichnet hatte, schlug Mario Molina, mexikanischer Chemie-Nobelpreisträger von 1995, in dieselbe Kerbe. Es sei »nötig und dringend«, dass der Gipfel eine Einigung erziele und eine Nachfolgeregelung zum 2012 auslaufenden Kyoto-Protokoll beschließe. Und Rajendra Pachauri, der Vorsitzende des Weltklimarats, erinnerte an die Folgen einer Verzögerung: »Die Auswirkungen des Klimawandels werden größer und gravierender sein als das, was wir bisher erlebt haben. Und sie werden verheerender für die ärmsten Regionen der Erde sein. Dabei hat die Mehrheit jener Gemeinschaften kaum zu den Emissionen beigetragen.«

Ohne die wichtigen Regierungschefs

Wo man sich auch umhört – es überwiegen Zweifel, dass hier wichtige Eckpunkte eines neuen Klimaabkommens ausgearbeitet werden können. »Kein wichtiger Regierungschef ist da, höchstens Umweltminister. So wird es keinen Fortschritt geben«, sagte Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva in Brasilia, um zugleich seine Teilnahme abzusagen. Er bezeichnete die Kompromissvorschläge, wie der Kampf gegen die Entwaldung weltweit zu finanzieren ist, als äußerst »nebulös«. Brasilien dagegen halte seine Zusagen ein, den Kohlendioxid-Ausstoß um 39 Prozent und die Abholzung des Amazonas-Regenwaldes um 80 Prozent bis 2020 zu reduzieren – auch ohne internationale Einigung. Am Mittwoch stellte die brasilianische Regierung einen Bericht vor, der für 2009 den Abholzungsindex auf einem historischen Tief auswies. So waren in den vergangenen zwölf Monaten 6451 Quadratkilometer Regenwald abgeholzt worden; 14 Prozent weniger als im Jahr zuvor.

Mexikos Sondergesandter zum Klimawandel, Luis Alfonso de Alba Góngora, versucht derweil, überzogene Erwartungen zu vermeiden. Die Zusammenkunft sei Teil eines Prozesses und »wer einen ›Big Bang‹ erwartet, liegt falsch«.

Sein Kommen angekündigt hat derweil Boliviens Präsident Evo Morales, der auch mit Vertretern der Gegengipfel von Nichtregierungsorganisationen und sozialen Initiativen zusammentreffen will. Bolivien bezichtigt unterdessen die Industrienationen der Blockade. So habe Japan verkündet, eine Verlängerung des Kyoto-Protokolls nicht zu unterschreiben, und die USA »erpressen und drängen« andere Staaten in der Frage der Finanzhilfen, erklärte Boliviens UN-Botschafter Pablo Solón auf einer Pressekonferenz in Cancún. Es bestehe die Gefahr, dass wie in Kopenhagen eine von den USA und China angeführte kleine Gruppe von Staaten den anderen ein Dokument aufzuzwingen versuche, das dann wieder nur freiwillige Emissionsbeschränkungen enthalte, warnte Solón. Bolivien und andere Staaten dächten darüber nach, Industriestaaten, die ihren Kyoto-Verpflichtungen nicht nachkommen, vor dem Internationalen Gerichtshof zu verklagen. Zudem kritisierte der Botschafter den Emissionshandel, der Umweltschutz mit Mechanismen des Marktes regele.

Erfolg hängt von den USA und China ab

Der Erfolg der Verhandlungen in Cancún wird aber schließlich doch von den USA und China abhängen – die beiden größten Umweltsünder sind zusammen für knapp 40 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich. Chinas Verhandlungsführer Su Wie versprach »fruchtbare Ergebnisse« in Schlüsselfragen. Auch US-Verhandlungschef Jonathan Pershing äußerte sich zuversichtlich: Die Positionen beider Staaten seien dabei, sich anzunähern. Der Verhandlungsspielraum der USA jedoch scheint begrenzt. Nach der Niederlage bei den Kongresswahlen Anfang November ist Präsident Barack Obama innenpolitisch geschwächt. Ohne die oppositionellen Republikaner, die wirksame Klimaschutzmaßnahmen bislang blockierten, läuft in Washington nichts mehr. Es ist auch noch unklar, ob Obama nach Cancún kommen wird. Man darf gespannt sein.

* Aus: Neues Deutschland, 3. Dezember 2010


Zurück zur "Klima"-Seite

Zurück zur Homepage