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UN-Klimagipfel: Was kommt nach dem Kyoto-Protokoll?

Beim Cancún-Gipfel wird nicht mit einer Einigung auf ein neues Klimaschutzabkommen gerechnet

Von Wolfgang Pomrehn *

Insbesondere die USA, aber auch andere Industrieländer bremsen weiter den Klimaschutz aus. Die Erwartungen an den Gipfel in Cancún sind daher gering.

Es ist mal wieder soweit. Von heute an wird im mexikanischen Cancún über Klimaschutz verhandelt. In dem Badeort an der Karibikküste sind Diplomaten aus 193 Ländern sowie Vertreter der EU zum jährlichen UN-Gipfel zusammengekommen, um über die Fortschreibung der Klimaschutzverträge zu debattieren. Die Erwartungen sind allerdings gering. Bestenfalls dürfte es gelingen, die stockenden Gespräche wieder in Gang zu bekommen, sodass vielleicht ein Jahr später in Südafrika endlich ein neues Abkommen unterschrieben werden kann.

Um was geht es? 1993 hatte sich die Mehrheit der Staaten auf einem großen UN-Gipfel für Umwelt- und Entwicklung auf eine Rahmenkonvention geeinigt, deren Ziel es ist, einen »schädlichen Klimawandel« zu verhindern. Die Staaten, so heißt es in dem Text, haben eine gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortung. Auf Deutsch: Die Industriestaaten, auf deren Konto der allergrößte Teil der bisher in der Atmosphäre angereicherten Treibhausgase geht, sollen vorangehen, während die Entwicklungsländer zusehen, dass sie bei ihrer Industrialisierung möglichst nicht die Fehler des reichen Nordens wiederholen.

Vier Jahre später folgten mit dem Kyoto-Protokoll sozusagen die Ausführungsbestimmungen – erste Schritte zur Verminderung der Treibhausgasemissionen wurden darin festgelegt. Die Industriestaaten sollen in den Jahren 2008 bis 2012 ihre Emissionen um durchschnittlich 5,2 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 reduziert haben. Inzwischen sind so gut wie alle Staaten Konvention und Protokoll beigetreten. Die USA sind der einzige größere Staat, der das Kyoto-Protokoll nicht ratifiziert hat. Die große Frage ist derzeit: Was kommt nach 2012, wenn das Kyoto-Protokoll ausläuft?

Eigentlich hatte spätestens im vergangenen Dezember in Kopenhagen ein Folgeabkommen unterschrieben werden sollen, um eine vertragslose Zeit zu vermeiden. Doch der Klima-Gipfel ist seinerzeit grandios gescheitert, weil die US-Regierung nicht über ihren eigenen Schatten zu springen vermochte und auch weil die meisten anderen Industriestaaten ganz froh waren, strengere Verpflichtungen vermeiden zu können, ohne dafür diplomatische Prügel einstecken zu müssen.

Nun werden sich die Staaten wohl irgendwann auf eine formale Fortgeltung des Kyoto-Protokolls einigen, bis ein Nachfolgevertrag steht. Nach wie vor offen ist dabei, ob dieser ein vollkommen neues Abkommen sein wird, wie von den USA gefordert, oder ob das Kyoto-Protokoll ergänzt und fortgeschrieben wird, wie es die Mehrheit der Entwicklungsländer verlangt. Ansonsten geht es in den Verhandlungen um zwei Hauptthemenkomplexe: Finanzen und Reduktionsverpflichtungen. Bereits vor zwei Jahren wurde beschlossen, einen Fonds für die Entwicklungsländer einzurichten, in den die Industriestaaten einzahlen. Aus dem sollen Anpassungsmaßnahmen an den unvermeidlichen Teil des Klimawandels sowie der Transfer »grüner« Technologien finanziert werden. Die EU schätzt den jährlichen Bedarf auf 100 Milliarden Euro, hat aber bisher selbst nur 7,2 Milliarden, verteilt über drei Jahre, angeboten. 1,26 Milliarden davon hat Deutschland übernommen, wobei die Bundesregierung sofort klarstellte, dass dies kein neues Geld, sondern lediglich umgewidmete Entwicklungshilfe sein werde.

Enttäuschend sind für die Entwicklungsländer auch die Gespräche über weitere Emissionsminderung. Vor allem die USA erweisen sich hier immer noch als großer Bremser. Präsident Barack Obama hat angeboten, den Treibhausgas-ausstoß seines Landes bis 2020 ausgehend vom Niveau von 2005 um 17 Prozent zu reduzieren, aber nur wenn auch China und Indien bindende Verpflichtungen eingehen. Das ist jedoch für die meisten Entwicklungsländer vollkommen inakzeptabel. Zum einen, weil selbst Chinas Pro-Kopf-Emissionen noch immer lediglich ein Viertel der US-Emissionen ausmachen. Zum anderen, weil das Angebot der USA darauf hinausläuft, dass jenseits des Atlantiks der Treibhausgasausstoß gerademal auf das Niveau von 1990 zurückgefahren wird.

* Aus: Neues Deutschland, 29. November 2010


UN-Klimagipfel: Bausteine eines Abkommens

Chef des Wuppertal Instituts setzt auf Politik der kleinen Schritte **

Der Ökonom Prof. Dr. Uwe Schneidewind ist Präsident und wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Steffen Schmidt befragte ihn für das Neue Deutschland (ND) nach Erfolgsaussichten der am Montag (29. Nov.) beginnenden UN-Klimakonferenz in Cancún und nach den notwendigen Zielen einer erfolgversprechenden Klimaschutzpolitik.

ND: Erwarten Sie von den Verhandlungen in Cancún ein verbindliches Abkommen zur Treibhausgasreduzierung?

Schneidewind: Ein umfassendes verbindliches Abkommen wohl nicht, aber hoffentlich erste Bausteine, die in den nächsten Runden zu verbindlichen Abkommen führen. Die Hoffnung ist, auch nachdem die Biodiversitätskonferenz in Nagoya so gut ausgegangen ist, dass man nun mit einem etwas positiveren Elan nach Cancún fährt.

Anders als in Nagoya sind diesmal allerdings die USA mit von der Partie. Und trotz aller Bekenntnisse von Präsident Barack Obama ist dessen Bewegungsfreiheit ja begrenzt ...

Das ist richtig. Vor allem nach dem Ergebnis der jüngsten Wahlen in den USA sind die Verhandlungsspielräume der amerikanischen Administration in Cancún ziemlich eng.

In Kopenhagen ist man sich ja wenigstens einig geworden, dass die Klimaerwärmung unter zwei Grad bleiben muss. Dafür dürften noch rund 700 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre geblasen werden. Wie könnte man diese Menge denn gerecht aufteilen?

Es ist eine der Schlüsselfragen, ob man sich auf das von der Bundesregierung unterstützte Konzept des Pro-Kopf-Kontingents einigen kann. Je nach Berechnung läge das bei ein bis zwei Tonnen pro Kopf und Jahr. Wenn das die Leitlinie würde für die Festlegung der nationalen Kontingente, wäre das natürlich ein großer Schritt weiter.

Für die Industriestaaten würde das eine ganz erhebliche Reduktion bedeuten. Und auch die Entwicklungspotenziale einiger dynamischer Schwellenländer würde es begrenzen, denn China ist ja heute schon bei reichlich vier Tonnen pro Kopf. Man muss sich also über Anpassungen und Spielräume im Rahmen dieses Grundmusters verständigen.

Was würde denn eine solche Pro-Kopf-Regelung für Deutschland praktisch bedeuten?

Wir liegen heute bei gut 10 Tonnen pro Kopf und Jahr. Das wäre also eine Minderung um 80 bis 90 Prozent, eine ganz erhebliche Reduktion der CO2-Emission bis 2050. An diesen Größenordnungen orientiert sich derzeit durchaus die deutsche Politik, auch das Energiekonzept der Bundesregierung.

Bei den Reduktionszielen ja. Doch an konkreten Maßnahmen fehlt es.

Bei allem, was über 2020 hinausgeht, haben Sie natürlich recht. Ich hatte eher an die Zwischenschritte bis 2020 gedacht.

Die Reduktionsverpflichtungen der Staaten laufen darauf hinaus, dass frühestens 2020 der Höhepunkt der Treibhausgasproduktion erreicht würde. Wenn man das begrenzte CO2-Budget der Zwei-Grad-Grenze zu Grunde legt, müsste die Menschheit dann innerhalb von 20 Jahren ihre Treibhausgasproduktion auf Null fahren. Das hört sich wie ein Wirtschaftskollaps an?

Die »Zero-Carbon-Society« ist sicher eine sehr weitgehende Vision. Aber schauen Sie sich Deutschland an. Wie wir hier mit der ökonomischen Dimension der Wiedervereinigung fertig geworden sind, zeigt doch, dass sehr weitgehende ökonomische Kraftakte dann möglich sind, wenn es ein starkes Einvernehmen über eine Zielstellung gibt und diese in einem stabilen politischen Rahmen umgesetzt werden kann. Und die Aufgabe, das zeigen ja auch die Analysen im Stern-Report (2006 vom ehemaligen Weltbank-Chefökonomen Nicholas Stern vorgelegt – d. Red.), scheint volkswirtschaftlich leistbar, aber eben nur dann, wenn sie mit einer hohen Berechenbarkeit politisch umgesetzt wird. Darin liegt auch die Bedeutung internationaler Rahmenvereinbarungen. Solange ohne diese immer wieder die Möglichkeit besteht, dass ein einmal gesetztes Ziel mitten auf dem Weg wieder aufgegeben wird, fehlt vor allem für die wirtschaftlichen Akteure die nötige Investitionssicherheit. Es muss also keineswegs im Kollaps enden. Dem kämen wir näher, auch das rechnet Stern vor, wenn wir Investitionen in den Klimaschutz verzögern oder gar auf sie verzichten würden.

Wenn sich die Staaten auf einen Verteilungsschlüssel für CO2-Emissionsrechte geeinigt haben, müsste es auch eine Möglichkeit des Handels mit diesen Rechten geben. Hat ein Handelssystem überhaupt Sinn, solange China und die USA da nicht mitmachen?

Es ist wichtig, eine Architektur zu schaffen, in der nicht alle von Anfang an im gleichen Umfang dabei sein müssen. Im ersten Schritt gilt es, wichtige große Länder außerhalb der EU für ein Abkommen zu gewinnen. Ich denke, dass jene, die argumentieren, das Ganze könne erst funktionieren, wenn wirklich alle ganz verbindlich dabei sind, den Fortschritt der Verhandlungen aufs Spiel setzen. Da bin ich ein ganzes Stück optimistischer und überzeugt, dass durchaus einiges erreicht wäre, selbst wenn noch nicht alle großen Länder mit dabei sind.

** Aus: Neues Deutschland, 29. November 2010

Klimaschutz

Von heute bis zum 10. Dezember treffen sich Wissenschaftler, Umweltschützer und Politiker aus über 190 Staaten im mexikanischen Badeort Cancún zum UN-Klimagipfel. Die stockenden Klimaschutzverhandlungen sollen wieder in Schwung kommen.

Das Problem: Der hohe Ausstoß an Kohlendioxid und anderen Klimagasen infolge der Industrialisierung sorgt für eine steigende Konzentration in der Erdatmosphäre. Dies ist Auslöser des Treibhauseffektes, der die Temperaturen ansteigen lässt. Klimaforscher rechnen bis 2100 mit einer durchschnittlichen globalen Erwärmung um bis zu 6,4 Grad Celsius. Dadurch drohen vielerorts massive Überschwemmungen, Dürren und Extremwetterereignisse wie Wirbelstürme und Starkregen. Um diese Probleme einigermaßen bewältigen zu können, fordern Klimaforscher, die Erwärmung auf 2 °C zu beschränken. Andere halten 1,5 °C für das Maximum.

Die UN-Verhandlungen: Die Staatengemeinschaft verhandelt über eine verbindliche Begrenzung der Erwärmung und über Maßnahmen, wie dies zu erreichen ist. Im Kyoto-Protokoll verpflichteten sich einige Industrieländer, ihre Treibhausgasemissionen bis 2012 um im Schnitt 5,2 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Seit Jahren wird über einen Nachfolgevertrag verhandelt, der eine Reduzierung der Emissionen um 85 Prozent bis 2050 beinhalten soll. Weitere Eckpunkte sind Finanzhilfen für Anpassungsmaßnahmen in armen Ländern und Transfer grüner Technologien. Allerdings streiten Industrieländer untereinander und mit Schwellen- und Entwicklungsländern über die jeweiligen Emissionsbegrenzungsverpflichtungen oder die Höhe der Finanzhilfen. Da die UN bisher eine Gesamtlösung anstrebten, blockierte der Streit über bestimmte Details auch eine Einigung zu weniger strittigen Punkten.

Die Cancún-Agenda: Statt über ein Gesamtpaket für ein Klimaabkommen wird nur noch über Details verhandelt. Beobachter rechnen mit Fortschritten beim Waldschutz und beim Transfer umweltfreundlicher Technologien in arme Staaten. KSt




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