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Die Welt macht muh

Am Montag wird im mexikanischen Cancun mal wieder ein UN-Klimagipfel eröffnet

Von Ralf Ledebur *

Besonders viel erwartet niemand vom UN-Klimagipfel, der am Montag 29. Nov.) im mexikanischen Cancun eröffnet wird. Nach dem vorigen Gipfel in Kopenhagen war die Enttäuschung groß. Die Kooperationsbereitschaft der USA ist seitdem noch gesunken. Der US-Kongreß hat gerade dem American Way of Life seine Treue geschworen. Auf diesem Weg blasen vier Prozent der Weltbevölkerung ein Viertel der globalen Kohlendioxid­emissionen in die Atmosphäre und haben damit mehrheitlich kein Problem. Ihre Vertreter in Cancun sind angehalten, auf einen Paradigmenwechsel zu drängen: gleiche Verpflichtungen für alle (wir machen nicht mehr Klimaschutz als die Schwellenländer). In Cancun stehen sie damit auf verlorenem Posten. Allzu ungemütlich dürfte es auf diesem Posten nicht werden.

Gut möglich, daß auch der große Gegenspieler China in Mexiko nichts unterschreibt. Die KP wird ausführen, was sie für ein ausgewogenes Vertragswerk hält. Gemessen daran, wird sich die Weltgemeinschaft als zu unvernünftig erweisen. China ist kaum auf Rechenspielchen mit irgendwelchen Selbstverpflichtungen angewiesen. Es kann darauf jedenfalls sehr viel besser verzichten als die EU. Im Vergleich zur Bundesregierung, die sich am liebsten hehre Ziele steckt, um dann mit Wärmedämmplatten aus Konjunkturpaketen ein paar tausend Fassaden zu verschandeln und den Rest durch Aufhübschen der Zahlen überzuerfüllen, macht China noch halbwegs verläßliche Fünfjahrespläne. Und sollten große Worte darum gemacht werden, dringen sie jedenfalls nicht nach Europa. Das tun kaum die Zahlen. Oder wußten Sie, daß 2009 im Reich der Mitte Stätten zur Produktion erneuerbarer Energien im Umfang von 37 Gigawatt neu gebaut wurden? Das war fast die Hälfte der neuen weltweiten Kapazität (80 GW).

Sich auf ein verschärftes Kyoto-Protokoll zu einigen, ist dabei dringlicher denn je. Da gibt es alle möglichen Erhebungen. Drei seien hier aufgeführt. Aller Voraussicht nach endet in der Silvesternacht das weltweit wärmste Jahr, seit 1880 die Aufzeichnungen der Nationalen Wetter- und Ozeanographiebehörde der Vereinigten Staaten (NOAA) begannen. Im World Energy Outlook (WEO) der Internationalen Energieagentur vom 9.November steht, daß es bereits eine Billion US-Dollar mehr kosten würde als vor einem Jahr, das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen (»As many lack ambition, the cost of achieving the 2° C goal has increased by $1 trillion in 2010–2030 compared with WEO-2009.«) Oder man nimmt den World Overshoot Day. Das ist der Tag des Jahres, an dem der Ressourcenverbrauch die jährlich dauerhaft nutzbare Kapazität der Erde übersteigt. Er wird schon länger mit einiger Akribie von der Organisation Global Footprint Network errechnet. Mit etwas Galgenhumor könnte auf dem zwölftägigen Gipfel in Cancun an den 20. Jahrestag des Overshoot Day 7.Dezember erinnert werden. Er liegt seit 1990 immer früher im Jahr. 2010 war es der 21. August.

Vom American Way of Wachstum wird sich die Welt in Cancun deshalb nicht verabschieden. Und mit der Unterzeichnung eines einigermaßen aktualisierten Kyoto-Protokolls ist auch in den kommenden Jahren nicht zu rechnen. Die grünsten Optimisten setzen, was diesen Durchbruch angeht, inzwischen auf den 5. Bericht des Internationalen Klimarats IPCC. Dessen Veröffentlichung ist für 2014 geplant.

Nimmt man die Dinge im großen Ganzen, taugt Hu Jintao natürlich besser zum Hoffnungsträger als Renate Künast. Sozialistischer Pragmatismus ist auch in Sachen Klimaschutz zielführender als grünes Lebensgefühl. Neulich erzählte der Spiegel dazu die Geschichte von Henning Steinfeld (»Das Rülpsen der Rinder«, Ausgabe vom 18. Oktober), der in der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN die Abteilung Viehzuchtpolitik leitet. Steinfeld hat ausgerechnet, daß 18 Prozent der vom Menschen verursachten Treibhausgase in der Viehzucht anfallen – manche Kollegen halten das für entscheidender als den Verkehr. Von zentraler Bedeutung in dieser Rechnung sind Methan-rülpsende Kühe. Die vegetarische Lebensqualität mag es in Deutschland von den WG in die Reihenhäuser geschafft haben; statistisch ist das unerheblich. Im Jahr 2000 wurden weltweit 229 Millionen Tonnen Fleisch gegessen, bis 2050 wird sich die Menge etwa verdoppeln. Der Lösungsansatz von Steinfeld lautet: Die Kühe dieser Welt sollten möglichst kein Gras mehr fressen. Der Klimakiller Methan entsteht in der Kuh durch die Spaltung von Zellulose, also Gras. Ihre Klimabilanz ist um einiges besser mit dem Kraftfutter aus der Massentierhaltung, das auch Wachstumshormone enthält.

Im Spiegel las sich das so, als würde der ranghöchste Viehzuchtpolitiker der Vereinten Nationen am liebsten sämtliche Ökobauernhöfe verbieten. Sollte ihm das eines Tages gelingen, müßte Genosse Hu Jintao nur noch auf irgendeinem Klimagipfel die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften durchsetzen, und die Rettung der Welt wäre in greifbarer Nähe.

* Aus: junge Welt, 25. November 2010


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