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Fortschritt, Stillstand oder Rückschritt?

UN-Klimagipfel einigt sich auf Abschlussdokument / Substanzielle Verringerung der weltweiten Treibhausgasemissionen beschlossen / Drei Kommentare


Wenigstens gab es noch ein Abschlussdokument des UN-Klimagipfels in Cancun (Mexiko). Schon das hatten nicht alle Beobachter für möglich gehalten. Doch wie Kompromisse manchmal sind: Es ist nicht leicht zu entscheiden, ob es ein wirklicher Fortschritt ist, oder ob die Weltklimapolitik weiter auf der Stelle tritt.

Im Folgenden dokumentieren wir die Ergebnisse des Schluss-Communiquées sowie drei Kommentare (Andreas Knobloch, Peter Clausing und Franz Alt).


Ergebnisse

Die UN-Klimakonferenz in Cancún hat nach zähem Ringen einige Entscheidungen getroffen, die – anders als das Kyoto-Protokoll – auch für die USA sowie China und weitere Schwellen- und Entwicklungsländer gelten.

Grundsätze: Alle Staaten bekennen sich zu dem Ziel, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Es wird festgestellt, dass die Erderwärmung »sehr wahrscheinlich« auf die von Menschen produzierten Treibhausgase zurückzuführen ist.

Emissionen: Verlangt wird eine substanzielle Verringerung der weltweiten Treibhausgasemissionen bis 2050. Ein konkretes Ziel dafür soll auf der nächsten Klimakonferenz Ende 2011 im südafrikanischen Durban festgelegt werden. In den Jahren 2013 bis 2015 soll eine Revision der Ziele erfolgen, mit der Option, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.

Finanzen: Zur Finanzierung von Klimaschutz und Anpassung wird ein »Green Climate Fund« errichtet. Er soll von einem Gremium verwaltet werden, dem jeweils zwölf Vertreter der Industrie- und der Entwicklungsstaaten angehören. Für eine Übergangszeit soll die Weltbank diesen Fonds treuhänderisch verwalten. In den Fonds sollen ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar fließen, sowohl aus öffentlichen Geldern als auch aus privaten und sonstigen Quellen.

Anpassung an Klimafolgen: Internationale Unterstützung soll Entwicklungsländer in die Lage versetzen, durch Anpassungsmaßnahmen die Auswirkungen von Folgen des Klimawandels zu mindern. Dazu soll eine neue Institution, das »Cancún Adaptation Framework« geschaffen werden.

Waldschutz: Die Entwicklungsländer werden aufgefordert, CO2-Emissionen durch Entwaldung und Waldzerstörung zu verringern. Industriestaaten werden aufgefordert, dies angemessen zu unterstützen. Die Interessen indigener Völker sollen ebenso berücksichtigt werden wie der Schutz der Artenvielfalt. Eine Einbeziehung in den Emissionshandel ist nicht vorgesehen.



Kleinster Nenner in Cancún

Klimagipfel brachte Kompromisspapier und wenig Konkretes zur CO2-Minderung

Von Andreas Knobloch, Cancún *


Am Ende gab es dann doch noch den Kompromiss, den niemand mehr für möglich gehalten hatte. Damit geht der UN-Klimagipfel in Cancún nicht ohne Abschlussdokument zu Ende.

Es war ein hartes Ringen bis zuletzt; aber einzig Bolivien lehnte die Schlussvereinbarung komplett ab. »Wir reden hier über eine Verringerung der Treibhausgasemissionen von 13 bis 16 Prozent, und das bedeutet eine Erwärmung von mehr als vier Grad Celsius«, sagte der Chef der bolivianischen Delegation, Pablo Solon.

Tatsächlich ist das Papier der kleinste gemeinsame Nenner der 194 verhandelnden Staaten. Zwar verpflichten sich zum ersten Mal alle großen Volkswirtschaften, ihren CO2-Ausstoß zu reduzieren, aber keinesfalls in ausreichendem Maße, um die globale Erwärmung unter zwei Grad Celsius zu halten. Zudem werden keine Mechanismen etabliert, wie das erreicht werden soll. Es bleibt bei Absichtserklärungen. Konkreter ist da schon die Gründung eines »Grünen Klimafonds«, über den bis zu 100 Milliarden US-Dollar jährlich eingenommen und an die Entwicklungsländer verteilt werden sollen. Das Geld soll zur Förderung umweltfreundlicher Technologien und der Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen dienen. Zunächst wird der Fonds unter dem Dach der Weltbank eingerichtet, was von vielen Nichtregierungsorganisationen abgelehnt wird. In Cancún wurde darüber hinaus zugestimmt, Bemühungen zur Verringerung der Entwaldung zu finanzieren. Die Entscheidung über eine Fortsetzung des Kyoto-Protokolls dagegen wurde verschoben.

Aber immerhin hat die Konferenz das Vertrauen in die UN als Verhandlungsrahmen wieder hergestellt. Nach dem Scheitern in Kopenhagen feiern Politiker das Ergebnis. »Das ist viel besser als das, was wir vor ein paar Wochen erwartet hatten«, sagte der britische Energieminister Chris Huhne. Und der deutsche Umweltminister Norbert Röttgen, sieht einen »bedeutenden Schritt zur Wiederbelebung des internationalen Klimaprozesses.«

Kritik kam jedoch von Nichtregierungsorganisationen. Die Abschlusserklärung von Cancún ist nur ein kleiner Schritt in richtige Richtung und bestenfalls Basis für die Verhandlungen nächstes Jahr im südafrikanischen Durban.

* Aus: Neues Deutschland, 13. Dezember 2010


Desaströses Ergebnis

Cancún: Einigung auf dem Klima-Gipfel ist »schlechter als gar kein Abkommen«

Von Peter Clausing **


Wer kleine Brötchen bäckt, kann frohlocken, wenn eines davon etwas größer ausfällt, selbst wenn es deformiert ist. So etwa könnte die Philosophie der offiziellen Politik mit Blick auf die Ergebnisse des Klimagipfels im mexikanischen Cancún, der am Samstag zu Ende ging, umschrieben werden.

Während ein Team des Potsdamer Instituts für Klimafolgeforschung unter Federführung des Physikprofessors Anders Levermann am 8. Dezember davor warnte, daß selbst eine Erderwärmung um nur 1,5 Grad Celsius Folgen für Jahrhunderte haben wird, betrachtet es Bundesumweltminister Röttgen als großen Erfolg, daß in Cancún eine Einigung auf zwei Grad Celsius als Obergrenze erreicht worden sei. Das Wort »Einigung« hat einen schalen Beigeschmack, denn die »Einigung« wurde unter Aushebelung des bei UN-Verhandlungen geltenden Konsensgebots erzielt – der Widerstand Boliviens – Verfechter eines 1,5-Grad-Limits – wurde übergangen. Boliviens Chefdelegierter Pablo Solón, der auf der Konferenz mehrfach vom UN-Sicherheitspersonal behindert wurde, kritisierte, daß eine Temperaturerhöhung um zwei Grad sehr viele Menschen schwer treffen wird und daß der Beschluß von Cancún nicht einmal geeignet sei, diese zwei Grad einzuhalten. Jüngste wissenschaftliche Berichte, so Solón, zeigten, daß schon heute 300000 Menschen jährlich an den Folgen klimabedingter Katastrophen sterben und daß der verabschiedete Text darauf hinauslaufe, diese Zahl in den kommenden Jahren auf eine Millionen zu erhöhen – etwas, womit sich Bolivien niemals abfinden werde. Anstelle des »Realismus« hohler Gesten, den die Industrieländer propagierten, sei die Verfolgung ambitionierter Ziele gefragt.

Die in Cancún gefaßten Beschlüsse ermöglichen zwar die Fortsetzung der Verhandlungen zum Klimaschutz unter dem Dach der Vereinten Nationen –die nächste Konferenz soll 2011 im südafrikanischen Durban stattfinden, doch in den Augen vieler Kritikerinnen und Kritiker erschöpft sich damit das reale Ergebnis der Konferenz. So kommt auch der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) zu der Schlußfolgerung, daß die Ergebnisse von Cancún keinen akzeptablen Beitrag zur Minderung der Treibhausgase geliefert haben. Der Großteil des 32seitigen Abschlußdokuments bedeutet nicht mehr als eine Formalisierung des Minimalkonsens von Kopenhagen. Die »Verpflichtungen« zur Reduzierung des Treibhausgasausstoßes sind nicht bindend, und eine abschließende Antwort über das weitere Schicksal des 2012 auslaufenden Kyoto-Protokolls fehlt ebenfalls.

An konstruktiven Vorschlägen mangelte es nicht. Doch selbst einer der wichtigsten, der Alternativvorschlag zum Schutz der Tropenwälder, den die »Weltkonferenz der Völker über den Klimawandel und die Rechte von Mutter Erde« im April dieses Jahres formuliert hatte, und der von der Delegation Boliviens eingebracht wurde, blieb unberücksichtigt. Statt dessen wurde ein 100 Milliarden Dollar schwerer »Hilfsfonds für arme Länder und einen besseren Schutz tropischer Regenwälder« verabschiedet – eine Mogelpackung, die einerseits die Exportmöglichkeiten für die Produzenten von Solarpanels und Windrädern verbessern und zum anderen die globale Ausweitung der hochspekulativen Kohlenstoffmärkte vorantreiben wird. Die Verwaltung dieses »Grünen Klimafonds« wurde der Weltbank angetragen.

Ein weiterer Punkt dieses Programms »technologischer Reparaturen« anstelle von gesellschaftlichen Lösungen war die befürchtete Aufnahme der CCS-Technologie (Abscheidung und Speicherung von CO2) in den »Clean Development Mechanism« des Klimaschutzprogramms. Trotz einiger formulierter Vorbehalte, ist diese Risikotechnologie nunmehr offizieller Bestandteil des Klimaschutzes, was von Interessenvertretern der Industriestaaten wie dem Direktor der zur OECD gehörenden Internationalen Energieagentur, Nobuo Tanaka, als Durchbruch begrüßt wurde.

Angesichts dieser desaströsen Bilanz des Klimagipfels verabschiedete das Alternative Forum für »Leben, Umwelt und soziale Gerechtigkeit«, eine Erklärung mit dem Titel »Kein Abkommen ist besser als ein schlechtes Abkommen« und unterstützte damit die Haltung Boliviens. Besonders heftig wurde von dem Forum das Abkommen für einen vermeintlich besseren Schutz tropischer Regenwälder kritisiert. Denn damit ist die ernsthaften Gefahr verbunden, daß viele Ländereien, die für indigene und andere marginalisierte Teile der Bevölkerung des Südens zur Zeit noch die Lebensgrundlage darstellen, in den Prozeß der großflächigen Bodenspekulation einbezogen werden, dem derzeit die landwirtschaftlichen Nutzflächen in Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas ausgesetzt sind.

** Aus: junge Welt, 13. Dezember 2010


Hoffnungszeichen aus Cancún

Von Franz Alt ***

In der Schlussphase gab es dann doch noch eine positive Überraschung: Der Klimagipfel in Cancun fasste in der letzten Nachtsitzung drei wichtige Beschlüsse: Alle 190 Teilnehmerstaaten sind sich erstmals einig, dass die globale Temperatur nicht mehr als zwei Grad ansteigen darf. Außerdem wurde ein globales Waldschutzprogramm beschlossen und ein „grüner Fonds“ mit dem die Wald-Rettung finanziert werden soll und die armen Länder ihre Klimaschutz-Maßnahmen bezahlen können.

Ab 2020 sollen sie von den Industriestaaten dafür 100 Milliarden Dollar erhalten – jährlich! Das wäre ein gewaltiger Fortschritt. Bei der nächsten Konferenz, 2011 in Südafrika, soll ein Nachfolge-Protokoll zum Kyoto-Prozess beschlossen werden.

Diesen überraschenden Kompromiss hatten die meisten Konferenzbeobachter und vor allem die kritischen Umweltverbände nicht mehr für möglich gehalten.

Die UNO hat sich in Cancún in letzter Minute als handlungsfähig erwiesen und der Welt gezeigt, dass wenigstens kleine Fortschritte beim „Überlebensthema der Menschheit“ (Angela Merkel) im Kampf gegen den Klimawandel möglich sind.

Die Weltklimakonferenz hat erneut offenbart, dass der politische Fortschritt eine Schnecke ist, aber immerhin bewegt sich die Schnecke jetzt in die richtige Richtung.

Entscheidend wird – wieder einmal – sein, ob und wie die Beschlüsse umgesetzt werden und ob den schönen Worten künftig auch Taten folgen.

Immerhin: Schon Ende Oktober hat die UNO-Artenschutzkonferenz große Fortschritte erzielt und jetzt der Klimagipfel wiederum kleinere.

Das Trauma von Kopenhagen 2009, der totale Desaster der letzten Weltklimakonferenz, scheint überwunden. Jetzt müssen BürgerInnen und Bürgermeister, nationale Regierungen und Firmen konkret und praktisch umsetzen, was die UNO in Cancún beschlossen hat.

Neue Wohlstandsformen jenseits der alten Wachstumsideologien müssen ausprobiert und realisiert werden. Wenigstens noch eine Hoffnung und eine Gnadenfrist für das Leben auf unserem Planeten.

*** Aus: www.sonnenseite.de, 12. Dezember 2010 (Kommentar)


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