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Festungsgesellschaft

Christian Parenti hat ein Buch über die sozialen und politischen Folgen des Klimawandels geschrieben

Von Gerd Bedszent *

Wer in dem Buch »Im Wendekreis des Chaos. Klimawandel und die neue Geographie der Gewalt« von Christian Parenti einen erneuten Nachweis für die sogenannte Erderwärmung vermutet, wird enttäuscht sein. Die wird als bekannt und nachgewiesen vorausgesetzt. Parenti, Professor an der School for International Training Graduate Institute in Vermont/USA, außerdem Journalist und Buchautor, thematisiert die sozialen Folgen dieses Klimawandels etwa in Ostafrika, dem indischen Subkontinent, in Mittelasien, Mittelamerika und Brasilien. Sein Text ist irgendwo zwischen Reisereportage und historisch-sozioökologischer Analyse angesiedelt.

Parenti schildert mit Sympathie den antikolonialen Aufbruch und die Konstituierung neuer Staatswesen im 20. Jahrhundert, die allerdings schon damals vom Kampf der USA gegen jede Form sozialistischer Orientierung überschattet wurden. Das gipfelte in verschiedenen, in Asien und Afrika ausgefochtenen Stellvertreterkriegen mit der Sowjetunion. Militärische Aufstandsbekämpfung und Kriege haben schon damals einen Prozeß sozialer Zersetzung der traditionellen Gemeinschaften befördert. Die jetzt aufgrund des Klimawandels verstärkt auftretenden Dürrewellen entwurzeln in vielen dieser Regionen Bauern und vertreiben Nomadenstämme. Viehdiebstähle und Kampf um schrumpfende Wasservorräte führen zu immer neuen Flüchtlingsströmen und blutigen Auseinandersetzungen. Einstmals funktionierende Staaten brechen zusammen oder werden auf eine funktionslose Hülle reduziert. Milizen und Banden gewöhnlicher Krimineller können sich problemlos aus den Arsenalen sich auflösender Armeen bewaffnen. An die Stelle einer funktionierenden Ökonomie tritt zunehmend die kriminelle Schattenwirtschaft. Die Reste von Polizei und Militär nehmen im Zuge der Bandenkriege selbst immer mehr die Züge krimineller Vereinigungen an. Für große Teile der Bevölkerung bleibt als einzige Überlebensmöglichkeit oft nur die Flucht aus den betroffenen Regionen.

Kampfschrift

Ob die von dem Autor geschilderte Welle von »ethnischem Irredentismus, religiösem Fanatismus, Rebellion, Banditentum, Drogenhandel und kleinteiligen Ressourcenkriegen« nun ausschließlich auf das Konto des Klimawandels geht, mag zu Recht bezweifelt werden. Parenti meint, daß die »Krisen von Armut und Gewalt« auch ein spätes Erbe des Kalten Krieges sowie der neoliberalen Wirtschaftspolitik der letzten Jahrzehnte sind. Die bereits vorhandenen Szenarien gesellschaftlichen Zusammenbruchs überlagern sich mit sozialen Folgen des Klimawandels und verstärken diese.

Der Autor hat sein Buch auch als Kampfschrift wider die von westlichen Regierungen und Militärs betriebene Politik des »bewaffneten Rettungsbootes« konzipiert. Der Klimawandel gehe mit einem von westlichen Regierungen betriebenen »schmutzigen Krieg« einher. Anstatt etwas gegen den Treibhauseffekt und damit etwas gegen die Ölindustrie zu tun, verwandele die »US-amerikanische politische Sklerose« sich lieber in eine »Festungsgesellschaft« und schotte sich militärisch gegen Klimaflüchtlinge ab. Parenti nennt die Reaktion, auf die globale Erwärmung und deren Folgen ausschließlich mit »Bewaffnung, Ausschluß, Vergessen, Repression, Überwachung und Töten« zu reagieren, einen Versuch, »neofaschistische Inseln relativer Stabilität in einem Meer von Chaos« zu schaffen. Er zitiert konservative und grüne US-Politiker, die mit offen rassistischen Parolen für die ideologische Rechtfertigung des »grünen Autoritarismus« sorgen. Wie der Autor belegt, hat das US-Militär Regionen klimabedingten Zusammenbruchs schon als erneute Sicherheitsbedrohung registriert und entsprechende Strategien entwickelt. Eine neue »Repressionsökonomie« von Rüstungsunternehmen und privaten Söldnerfirmen hat sich ebenfalls bereits gierig auf die sich auftuende Marktlücke gestürzt.

Sozialreformismus

Der Autor tadelt die sozialen Auswirkungen neoliberaler Strukturreformen auf die Wirtschaft verschiedener Staaten entschlossen, ist aber ansonsten in seiner Kapitalismuskritik sehr zögerlich. Anerkennenswert ist, daß er am Ende des Buches die Einschätzung von Marx und Engels wiedergibt, die in ihren Werken den Widerspruch zwischen Natur und kapitalistischer Produktionsweise herausgearbeitet haben. Abweichend von dieser Erkenntnis meint Parenti allerdings, es bliebe angesichts des rasant fortschreitenden Klimawandels keine Zeit mehr, auf eine »sozialistische, kommunistische, anarchistische oder tiefenökologische Revolution« zu warten. Nach seiner Einschätzung könne die Klimakrise daher nur im Rahmen des Kapitalismus selbst gelöst werden. Ein solcher von ihm erhoffter plötzlicher Ausbruch von Vernunft und »Versöhnung mit der Natur« in der kapitalistisch strukturierten Welt wird in seinem Buch allerdings weder theoretisch begründet, noch enthält dieses irgendwelche Fakten, die auf eine derartige Umkehr zu einer Politik der Verantwortung schließen lassen. Einer der ganz wenigen Lichtblicke, die der Autor gelten läßt, ist bezeichnenderweise die mit unverhohlener Sympathie geschilderte Entwicklung in Bolivien unter der Präsidentschaft von Evo Morales.

Rosa Luxemburg hat die entscheidende Frage, um die sich Parenti herumdrückt, vor hundert Jahren gestellt: Sozialismus oder Barbarei? Ein Verdienst des Buches ist es, zahlreiche Fakten, die das belegen, zusammenzutragen und die bisherigen Reaktionen von Wirtschaft und Regierungen auf die selbstverschuldete Entwicklung als ebenfalls barbarisch zu charakterisieren. In seinen Schlußfolgerungen bleibt der Autor leider weitgehend im grünen Sozialreformismus stecken.

Christian Parenti: Im Wendekreis des Chaos - Klimawandel und die neue Geographie der Gewalt. Laika Verlag, Hamburg 2013, 305 Seiten, 19,90 Euro

* Aus: junge Welt, Montag, 18. März 2013


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