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Kabinett beschließt längere Atomlaufzeiten

Proteste von Greenpeace-Aktivisten *

Die Atomkraftwerke in Deutschland sollen im Schnitt 12 Jahre länger am Netz bleiben. Das beschloss das Bundeskabinett am Dienstag in Berlin. Nach dem Willen von Union und FDP sollen die sieben vor 1980 ans Netz gegangenen Meiler acht Jahre länger laufen; die übrigen zehn Atomkraftwerke bekommen 14 Jahre mehr. Damit würde der letzte Atommeiler nicht vor dem Jahr 2036 vom Netz gehen. Wird ein Akw früher abgeschaltet, dürfen dessen Reststrommengen auf jüngere Anlagen übertragen werden.

Der Atomkompromiss ist Teil des Energiekonzeptes, das eine weitgehende Umstellung auf Öko-Energien bis 2050 vorsieht. Allerdings bleiben darin viele Ziele vage und ein Zwang zum energetischen Sanieren aller Gebäude wurde wieder gestrichen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht das Konzept als Revolution an, weil damit eine langfristige Energiepolitik gemacht werde.

SPD und Grüne hatten vor acht Jahren im Atomgesetz einen Ausstieg bis 2022 vereinbart. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sprach von einem schlechten Tag für Deutschland. An den Atomkraftwerken demonstrierten Greenpeace-Aktivisten am Morgen gegen die Kabinettsentscheidung. Die Koalition von Union und FDP hält längere Laufzeiten für nötig, um den Strompreis stabil zu halten und um den Umstieg auf erneuerbare Energien zu schaffen. Umstritten ist, ob der Bundesrat dem Laufzeit- Plus zustimmen muss. Schwarz-Gelb hat in der Länderkammer keine Mehrheit mehr und hält die im Schnitt 12 Jahre längeren Laufzeiten für nicht zustimmungspflichtig im Bundesrat. Die Opposition hat deshalb Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt.

Von den zusätzlichen Gewinnen der Betreiber will die Regierung im Gegenzug rund 30 Milliarden Euro abschöpfen. Knapp die Hälfte soll in den Haushalt und zur Sanierung des maroden Atomlagers Asse fließen, der Rest in den Ausbau der erneuerbaren Energien.

Bis 2050 soll der Ökostrom-Anteil auf 80 Prozent steigen. Ein Schwerpunkt liegt im Energiekonzept bei der drastischen Einsparung von Energie, etwa durch das Dämmen von Gebäuden. In diesem Bereich wird 40 Prozent der Energie in Deutschland verbraucht. Statt mit Zwangs- oder Strafmitteln wie Steuernachteilen soll das massive Sanierungsprogramm nun nur über Anreize verwirklicht werden. Allerdings hält das Bauministerium zum Erreichen der Ziele mindestens drei Milliarden Euro pro Jahr für notwendig; für 2011 gibt es aber nur 950 Millionen Euro.

Die Regierung setzt beim Ausbau der Öko-Energien weniger auf Solarkraft, sondern vor allem auf Windparks in Nord- und Ostsee. Um die Offshore-Windleistung bis 2030 auf 25 Gigawatt auszubauen, sollen insgesamt etwa 75 Milliarden Euro investiert werden. Um das alles zu beschleunigen, werden Genehmigungsverfahren vereinfacht.

Die Regierung will bis 2020 eine Million Elektrofahrzeuge und bis 2030 sechs Millionen auf die Straße bringen. Bei der klimaschädlichen Stromgewinnung aus Kohle setzt sie auf das CCS-Verfahren zur Abscheidung von Kohlendioxid und seiner Verpressung unter der Erde. Dagegen gibt es aber in den Ländern großen Widerstand. Kritisiert wird auch, dass bei der Kohlekraft Klimaschutzvorhaben gegenüber dem ersten Entwurf für das Energiekonzept aufgeweicht worden sind und die Regierung weiterhin stark auf diesen klimaschädlichen Energieträger setzt.

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sagte im SWR: "Das ist ein schlechter Tag, weil im Ergebnis wird eine boomende Branche, die Branche der erneuerbaren Energien in Deutschland, ausgebremst." Das führe dazu, dass am Ende im Jahre 2050 25 Prozent des Stroms aus dem Ausland importieren werden müssten. "Heute, zu den Zeiten der von Grün-Rot eingeleiteten Energiewende, sind wir noch Netto-Stromexporteur. Wir kriegen also weniger Erneuerbare und weniger Energiesicherheit."

An allen zwölf Standorten von Atomkraftwerken in Deutschland projizierten Greenpeace-Aktivisten am frühen Morgen den Slogan "Atomkraft schadet Deutschland" an die Reaktoren und Kühltürme der Kraftwerke. Greenpeace forderte Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) auf, seine Zustimmung zu den Novellen des Atomgesetzes zu verweigern. Greenpeace-Energieexperte Tobias Münchmeyer sagte: "Die Gefahr der radioaktiven Verseuchung durch einen schweren Reaktorunfall ist nicht gebannt. Es wird immer mehr hoch radioaktiver Atommüll produziert, für den es kein Endlager gibt." Das Energiekonzept sei "nicht mehr als die Verpackung für ein milliardenschweres Geldgeschenk an die Atomkonzerne".

* Aus: Neues Deutschland, 29. September 2010


Klimaschutz mit Vorbehalt

Das Energiekonzept der Bundesregierung - Geschenke für Konzerne und viel Nebulöses / Regierung ist bei der Energie überwiegend Lobbywünschen gefolgt

Von Steffen Schmidt **


Mit dem heute (28. Sep.) im Bundeskabinett beschlossenen Energiekonzept der Bundesregierung ist der unverdiente Ruf von Angela Merkel (CDU) als Klima-Kanzlerin wohl endgültig Geschichte. Denn das Konzept bietet kaum Zukunftsweisendes. Sinnvolle Forderungen aus dem Umweltministerium scheiterten an Finanz- und Wirtschaftsminister.

Am Montag (27. Sep.) pries die Kanzlerin das Energiekonzept der Bundesregierung als den Königsweg an, um ohne wirtschaftliche Einschnitte bis zum Jahr 2050 einen Anteil der erneuerbaren Energiequellen von 80 Prozent zu erreichen. Der am Dienstag im Kabinett verabschiedete Text allerdings bleibt gerade bei den Maßnahmen zum Ausbau der Erneuerbaren und bei der Förderung der Energieeffizienz merkwürdig unkonkret. So hatte Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) in einem früheren Stadium noch eine zügige Verbesserung der Wärmedämmung im Altbaubestand gefordert. Immerhin werden 40 Prozent der Energie im Gebäudesektor - hauptsächlich für Heizung bzw. Kühlung - verbraucht. Doch die Hauseigentümer-Lobby fand bei Bauministerium und FDP ein offenes Ohr. Bauminister Peter Ramsauer (CSU) lobt sich denn auch, diesen Eingriff in die Eigentumsrechte verhindert zu haben. Der Sanierungszwang für alle Gebäudebesitzer wurde wieder gestrichen. Wie viel Geld es für die geplanten Anreizmaßnahmen geben wird, steht allerdings nicht im Programm. Dort findet sich bei allen Maßnahmen, die Geld kosten, der Verweis auf einen »Energie- und Klimafonds«. Der soll ab 2011 als Sondervermögen des Bundes geführt werden und sich hauptsächlich aus Förderbeiträgen der Kraftwerksbetreiber speisen, ab 2013 zusätzlich durch Mehrerlöse aus der Versteigerung der CO2-Emissionszertifikate. Für 2011 und 2012 stehen je 300 Millionen Euro zu Verfügung, ab 2013 plant die Regierung mit über 2,5 Milliarden Euro.

Auch die deutsche Autoindustrie hat sich erfolgreich gegen konkrete Effizienzvorgaben gewehrt. Hieß es in früheren Entwürfen noch, der durchschnittliche CO2-Ausstoß eines Neuwagens solle bis 2040 von 160 auf 35 Gramm pro Kilometer gesenkt werden, fehlt ein solches Ziel nun. Das wurde gestrichen.

Gänzlich zweifelhaft wird der deklarierte Klimaschutz, wenn man sich die Passagen zur Rolle der Kohle bei der Stromproduktion ansieht. Da gibt es nach dem Konzept auch für den Neubau »hocheffizienter und CCS-fähiger fossiler Kraftwerke« Fördermittel aus dem Fonds. Dabei dürfte die CCS-Technik (CO2-Abscheidung und Deponie) nicht vor 2020 verfügbar sein. Die faktische Förderung neuer Kohlekraftwerke unterminiert ebenso wie die Laufzeitverlängerung für AKW den Ausbau der Erneuerbaren, weil diese Großkraftwerke ungeeignet sind die Schwankungen bei Wind und Sonne auszugleichen.

Auch in den Passagen zur Förderung der Erneuerbaren stecken einige Minen. So heißt es: »Wir werden die erneuerbaren Energien schrittweise an den Markt heranführen, wachsende Anteile aus der EEG-Förderung in das Marktgeschehen überführen und Anreize zur bedarfsgerechten Stromerzeugung schaffen.« Der Verweis auf den Markt lässt vermuten, dass Einspeisevorrang und höhere Vergütung gekippt werden sollen.

Dass es der Regierung kaum noch um Klima und Umwelt geht, sie statt dessen auf kurzsichtige »Standortsicherung« setzt, verdeutlicht der Auftritt der Kanzlerin auf einer Veranstaltung des Industrieverbandes BDI in Berlin. Die Koalition hatte in ihrem Sparpaket Ausnahmen von der Ökosteuer für energieintensive Unternehmen kappen wollen. Doch nun verkündet Angela Merkel: »Es ist nicht unser Ansinnen, die guten Arbeitsmarktzahlen zu verschlechtern, indem wir an dieser Stelle etwas tun, was Arbeitsplätze kostet.«

Eckpunkte

Am Dienstag (28. Sep.) hat die schwarz-gelbe Bundesregierung ihr Energiekonzept beschlossen. Erstmals in der Bundesrepublik wird damit die Energieversorgung für die nächsten Jahrzehnte konkret skizziert. Bis 2050 soll der Ökostrom-Anteil auf 80 Prozent steigen, ebenso sollen die klimaschädlichen Treibhausgasemissionen um 80 Prozent sinken. Einige Punkte wurden in den Koalitionsberatungen aber noch aufgeweicht und bei der Förderung der Erneuerbaren bleibt vieles vage oder wurde als Prüfauftrag formuliert. Deshalb ist völlig unklar, wie realistisch die Ziele sind. Die Eckpunkte des Konzeptes im Überblick.

Atom: Die Laufzeiten der sieben vor 1980 ans Netz gegangenen Meiler werden um acht, die der anderen zehn AKW um 14 Jahre verlängert. Dafür will die Regierung im Gegenzug rund 30 Milliarden Euro von den zusätzlichen Gewinnen der Betreiber abschöpfen. Die Endlagersuche in Gorleben soll forciert werden; dafür sind als letztes Mittel auch wieder Enteignungen möglich. Die Kernenergie soll eine Brücke sein, weil nach Meinung der Regierung nur so der Umstieg auf mehr Öko-Energien möglich ist.

Erneuerbare Energien: Die Regierung setzt weniger auf Solarenergie, dafür mehr auf Windparks in Nord- und Ostsee. Um die Offshore-Windleistung bis 2030 auf 25 Gigawatt auszubauen, sollen insgesamt etwa 75 Milliarden Euro investiert werden. Um das zu beschleunigen, werden Genehmigungsverfahren vereinfacht. An Land sieht die Regierung geringe Ausbaukapazitäten; vor allem sollen alte Anlagen gegen leistungsstärkere Windkrafträder ausgetauscht werden. Die Biomasse soll auch eine wichtige Rolle bekommen.

Netze und Speicher: Der Ökostrom-Ausbau geht so rasant vonstatten, dass die Regierung bis 2020 mit einem Anteil von 35 bis knapp 40 Prozent rechnet. Dafür sind mehr als 1000 Kilometer neuer Leitungen notwendig, vor allem um den Windstrom von der Küste in den Süden zu bekommen. Da Wind- und Sonnenstromproduktion je nach Wetter stark schwanken, sind dringend Stromspeicher notwendig, zum Beispiel Pumpspeicherwerke.

Energieeinsparung: Weniger Verbrauch bedeutet auch, dass weniger Strom und Wärme notwendig sind; deshalb liegt ein Schlüssel im Konzept bei mehr Effizienz. Die Sanierungsquote für Gebäude soll von derzeit jährlich weniger als 1 Prozent auf 2 Prozent des gesamten Gebäudebestands verdoppelt werden. Durch bessere Dämmung soll bis 2050 rund 80 Prozent des heutigen Wärmebedarfs eingespart werden. Im Verkehrsbereich soll der Endenergieverbrauch bis 2020 um rund 10 Prozent und bis 2050 um rund 40 Prozent gegenüber 2005 zurückgehen.

Klimaschutz: Die Regierung will bis 2020 eine Million Elektrofahrzeuge und bis 2030 sechs Millionen auf die Straße bringen. Bei der klimaschädlichen Stromgewinnung aus Kohle setzt sie auf das CCS-Verfahren zur Abscheidung von Kohlendioxid und Verpressung unter der Erde. Dagegen gibt es aber vor Ort großen Widerstand. dpa/ND



** Aus: Neues Deutschland, 29. September 2010


Gefährlich

Von Kurt Stenger ***

Das Energiekonzept der Bundesregierung skizziert grobe Leitlinien, wie die deutsche Energieversorgung bis zum Jahr 2050 aussehen soll. Man könnte meinen, dass die Politik endlich mal langfristig über die laufende Legislaturperiode hinausdenkt und auch das Schielen auf den nächsten Wahlkampf unterlässt. Dennoch ist das Konzept nicht einmal das Papier wert, auf dem es gedruckt ist. Es verstärkt den Vorrang fossiler Technologien, die Energiewende bleibt aus. Schwarz-Gelb stellt sich nicht den Herausforderungen des Klimawandels, wie behauptet, sondern ignoriert diese.

Aber das Energiekonzept ist nicht nur fachlich eine Nullnummer, die Bundesregierung unterminiert damit auch die ohnehin morschen Pfeiler der demokratischen Grundordnung. Selten klaffte zwischen offizieller Ankündigung und legislativer Realität eine dermaßen große Lücke. Schwarz-Gelb kündigt den massiven Ausbau der Erneuerbaren an - tatsächlich behindert man diesen massiv. Offenbar dient das ganze Energiekonzept-Brimborium nur dazu, den fatalen Beschluss der AKW-Laufzeitverlängerung in eine grüne Hülle zu verpacken. Heimlich finden Mauscheleien mit der Atomlobby statt, die selbst die Vertragsbedingungen bei den Kosten der Sicherheitsnachrüstung und der Gewinnabschöpfung festlegen konnte. Die Laufzeitverlängerung ist eine Rundum-Gefahr: für die Erneuerbaren, den Klimaschutz, die Stromkunden, die Anwohner - und auch für die Demokratie.

*** Aus: Neues Deutschland, 29. September 2010 (Kommentar)


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