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Mißtrauen wächst

Klimagespräche in Bonn enden im Streit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Bolivien prangert Tricks des Nordens an

Von Wolfgang Pomrehn *

Die Gräben zwischen Nord und Süd scheinen tiefer denn je. Mit einem heftigen Streit ging am Freitag in Bonn eine zweiwöchige Verhandlungsrunde zu Ende, mit der die nächste UN-Klimakonferenz vorbereitet werden sollte. Keine 24 Stunden vor Abschluß der Zusammenkunft hatte die Versammlungsleiterin Margaret Mukahanana-Sangarwe aus Simbabwe einen neuen Text vorgelegt, der die bisherigen Gespräche zusammenfassen sollte, aber auf wenig Gegenliebe stieß. Boliviens UN-Botschafter Pablo Solon gehörte zu den schärfsten Kritikern des Papiers, in dem er keine Basis für weitere Verhandlungen sah. Es würde die Industriestaaten bevorzugen und zu viele Elemente der Übereinkunft von Kopenhagen enthalten.

Bei letzterem handelt es sich um eine unverbindliche Vereinbarung, die in Kopenhagen zwischen den USA, China, der EU und einigen anderen ausgehandelt worden war. Inzwischen haben sich 120 Staaten diesem Dokument angeschlossen und dabei meist verschiedenerlei Zusagen in Sachen künftiger Klimaschutzpolitik gemacht. Diese sind allerdings weder völkerrechtlich bindend, noch reichen die Versprechen in der Summe aus, den Klimawandel im erträglichen Rahmen zu halten.

Propagandafrage

Solon kritisiert an dem von Mukahanana-Sangarwe vorgelegten Text unter anderem, daß er sich nicht auf das Kyoto-Protokoll bezieht. Bolivien fordert nämlich wie die meisten Entwicklungs- und Schwellenländer, daß das Kyoto-Protokoll weiter als Grundlage der Verhandlungen dient und entsprechend mit neuen Verpflichtungen aktualisiert wird. So war es eigentlich bereits 2007 auf einer UN-Klimakonferenz in Bali beschlossen worden. Vor allem die USA, die das Kyoto-Protokoll im Gegensatz zu fast allen anderen Staaten nicht ratifiziert haben, sperren sich dagegen.

Washington versucht auch den Bezugsrahmen zu ändern. Während sich alle Angaben über Minderung von Treibhausgasen auf das Basisjahr 1990 beziehen, zum Beispiel auch das deutsche Ziel von minus 40 Prozent bis 2020, möchte die US-Regierung als Bezugsjahr gerne 2005 etablieren. Der Hintergrund ist simpel und vor allem eine Frage der Propaganda. Die USA haben ihre Emissionen auch nach 1990 noch erheblich gesteigert. Die von US-Präsident Barack Obama zugesagte Reduktion von 17 Prozent bedeutet in Wirklichkeit nur, daß der Ausstoß bis 2020 in etwa auf das Niveau von 1990 zurückgeführt wird.

Dazu hatten sich die Industriestaaten jedoch schon 1992 in der UN-Klimarahmenkonvention für das Jahr 2000 verpflichtet. Die USA hatten, seinerzeit unter Präsident William Clinton und Vize Albert »Al« Gore, 1996 auf einer Konferenz durchgesetzt, daß die Verpflichtung nicht als bindend anzusehen ist.

Hintertüren

Vor diesem Hintergrund stieß Bolivien wie auch den anderen Mitgliedern der Gruppe der 77 und China an dem zuletzt vorgelegten Verhandlungstext in Bonn besonders auf, daß auf einmal das Basisjahr nicht mehr erwähnt wurde. Zwar war die Rede davon, daß die Industriestaaten ihre Emissionen um 25 bis 40 Prozent senken sollen, aber ohne Bezugsjahr macht das nicht viel Sinn.

Bolivien legte in Bonn gemeinsam mit der UNO Analyseergebnisse vor, welch große Hintertüren sich die Industriestaaten offenhalten. Demnach laufen die diversen Maßnahmen und Tricks, die die Industriestaaten in den Verhandlungen durchsetzen wollen, auf eine Steigerung ihrer Emissionen um acht Prozent hinaus. Zum Beispiel hat Rußland mit Unterstützung der EU gefordert, daß künftig zwar die Anpflanzung von Bäumen als CO2-Minderung angerechnet werden kann, gleichzeitig der Einschlag von Holz aber nicht mehr gegengerechnet wird.

Kein Wunder, daß das Mißtrauen zwischen Nord und Süd eher noch gewachsen ist. Bis zur nächsten UN-Klimakonferenz im Dezember wird es noch weitere zwei Vorbereitungsrunden geben.

* Aus: junge Welt, 14. Juni 2010


"Gegen Kohle- und Ölindustrie mobilisieren"

Umweltschützer sind von Verhandlungen frustriert, sehen aber positive Ansatzpunkte. Gespräch mit Martin Kaiser

Martin Kaiser ist Leiter der internationalena Klimapolitik bei Greenpeace.

Weshalb ist Greenpeace vom Bonner Verhandlungsergebnis enttäuscht?

Weil es kaum Bewegung gab. Der Verhandlungstext ist immer noch lückenhaft und weit davon entfernt, Beschlüsse vorzubereiten, die Ende des Jahres im mexikanischen Cancún auf der nächsten UN-Klimakonferenz verabschiedet werden könnten. Die Rahmenbedingungen, die im Dezember zum Scheitern der Gespräche in Kopenhagen geführt haben, sind unverändert. Die Entwicklungsländer haben weiter kein Vertrauen, daß die Industriestaaten die Treibhausgasemissionen deutlich reduzieren. Das hat sich insbesondere am letzten Verhandlungstag gezeigt, als sie den mangelnden Willen der Industriestaaten genutzt haben, um eine Totalblockade zu signalisieren: Die Verhandlungsleitung hatte einen neuen Vorschlag präsentiert, der von einigen Entwicklungsländern in der Luft zerrissen wurde.

Woran hapert es?

Bei fast allen Delegierten ist die Enttäuschung groß, daß US-Präsident Barack Obama bisher kein konkretes Klimaschutzgesetz durchgesetzt hat. Jetzt nach der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko und den schweren Stürmen, die die USA in den letzten Wochen heimgesucht haben, könnte er doch den damit verbundenen politischen Rückenwind nutzen.

Und die EU?

Europa verpaßt derzeit eine Chance. Würde es sein Reduktionsziel deutlich heraufsetzen, wäre das ein Signal an die Entwicklungsländer, das zugleich den Verhandlungen eine neue Dynamik gäbe. Auch ökonomisch wäre es durchaus sinnvoll. Dadurch würden die Weichen rechtzeitig in Richtung erneuerbare Energie und Energieeffizienz gestellt.

Das Kyoto-Protokoll läuft 2012 aus. Gibt es noch eine Chance, daß ein Anschlußvertrag rechtzeitig zustande kommt?

Die Zeit wird immer knapper, und je länger es dauert, bis ein Vertrag unterschrieben ist, desto schwieriger wird in den nationalen Parlamenten die fristgerechte Ratifizierung. Es gibt Länder wie die USA und China, die im Grunde auf Zeit spielen. Auf jeden Fall wird es ein Kraftakt: Deswegen sind wir auch so geschockt, daß Bundeskanzlerin Angela Merkel das Thema überhaupt nicht mehr aufgreift, obwohl sie um die wissenschaftlichen Zusammenhänge weiß. Ein neuer Vertrag müßte den Kohle- und Ölindustrien klar signalisieren, daß jede Investition in diese Felder eine in die Vergangenheit ist.

Gibt es jenseits der Verhandlungen Hoffnung?

Es geht darum, in den einzelnen Ländern Investitionen in neue Kohlekraftwerke, in Erschließung neuer Erdölfelder und ähnliches zu verhindern. Damit wird auch für die Regierungen der Boden bereitet, ein wirksames Abkommen zu verabschieden.

Hierzulande könnte man bei den jährlich zwei Milliarden Subventionen für den heimischen Steinkohlebergbau beginnen.

Nicht nur das. Greenpeace hat kürzlich eine Studie präsentiert, die zeigt, wie hoch das Potential für Einsparungen im Bereich umweltschädlicher Subventionen ist. Das liegt im zehnstelligen Milliardenbereich. Wenn man da streichen würde, könnte die soziale Schieflage der Sparpakete vermieden werden. Gleichzeitig würde eine Lenkungswirkung in Richtung einer grünen Ökonomie erzielt. Die Bundesregierung muß endlich Farbe bekennen, wenn sie die angekündigte Verminderung der Treibhausgase bis 2020 um 40 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 erreichen will.

Welche Subventionen sollten gestrichen werden?

Zum Beispiel werden immer noch Dienstwagen großzügig steuerlich gefördert. Daneben wird die Verstromung von Kohle begünstigt. Ein anderer Punkt ist, daß eine Steuer auf Finanztransaktionen die Verpflichtungen Deutschlands gegenüber Entwicklungsländern in der Frage der Bekämpfung von Armut und der Folgen des Klimawandels finanzieren könnte. Zusammen könnten solche Maßnahmen helfen, nicht nur die hiesige, sondern auch die internationale soziale Schieflage zu bekämpfen.

Wie geht es für Greenpeace mit dem Klimaschutz weiter?

Das Scheitern der Verhandlungen in Kopenhagen hat gezeigt, daß weltweit die Mobilisierung für den Klimaschutz weitergehen muß. Zum einen geht es um Widerstand gegen Investitionen in Kohle- und Ölindustrie, zum anderen muß aber auch gegenüber der Politik Druck gemacht werden.

Interview: Wolfgang Pomrehn

** Aus: junge Welt, 14. Juni 2010


Hintergrund: Klima in Zahlen ***

Temperatur: Obwohl es in Teilen Europas und dem Osten der USA in diesem Jahr mal wieder einen kalten Winter gegeben hat, war der Januar im globalen Mittel der drittwärmste seit Beginn der Aufzeichnungen. Der Februar war der zweitwärmste, und März, April und Mai waren jeweils die wärmsten. Die Zeit von Juni 2009 bis Mai 2010 war die wärmste je gemessene Zwölfmonatsperiode. Das bisher wärmste Jahr war 2006 mit 14,62 Grad Celsius. Die meisten Wissenschaftler gehen davon aus, daß die globale Erwärmung auf zwei Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau beschränkt werden muß, also auf durchschnittlich etwa 15,75 Grad Celsius, wenn die schlimmsten Folgen des Klimawandels vermieden werden sollen. Einige weisen jedoch darauf hin, daß schon bei dieser Marke die Stabilität der großen Eisschilde in der Antarktis und auf Grönland gefährdet werden könnte, was langfristig dramatische Folgen für den Meeresspiegel hätte.

Treibhausgase: Das wichtigste ist das Kohlendioxid (CO2), das global rund 60 Prozent des Problems ausmacht. Seit Beginn der Industrialisierung ist dessen Konzentration in der Atmosphäre von 270 Millionstel Volumenanteilen (ppm) auf derzeit knapp 390 ppm gestiegen. Die anderen Treibhausgase wie Methan, bodennahes Ozon oder Lachgas sind meist deutlich wirksamer als CO2, sofern Molekül mit Molekül verglichen wird, sie kommen jedoch in geringeren Mengen vor. Alle diese Effekte werden der Einfachheit halber in CO2-Äquivalente umgerechnet. Soll das Zwei-Grad-Ziel eingehalten werden, dürfen nicht mehr Treibhausgase in die Luft geblasen werden als einer CO2-Konzentration von rund 450 ppm entspricht. Das wären insgesamt 700 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente oder in etwa das 23fache der derzeitigen globalen Jahresemissionen. Es gibt allerdings auch Wissenschaftler und Klimaschützer, die 350 ppm für das sichere Ziel halten. Dazu müßte der Atmosphäre im großen Maßstab CO2 entzogen werden, etwa durch Aufforstung.

(wop)

*** Aus: junge Welt, 14. Juni 2010




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