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Wohlstand ohne Fossile - ein Experiment

Germanwatch-Geschäftsführer Christoph Bals über Chancen des UN-Klimagipfels in Durban *


Christoph Bals ist Politischer Geschäftsführer von Germanwatch, einer deutschen Nichtregierungsorganisation, die sich für Nord-Süd-Gerechtigkeit und den Erhalt der natürlichen Umwelt engagiert. Steffen Schmidt sprach mit ihm über die Aussichten weitergehender Klimaschutzvereinbarungen beim heute (29. Nov.) beginnenden UNO-Klimagipfel in der südafrikanischen Hafenstadt Durban.


ND: Sie haben schon an etlichen Klimagipfeln teilgenommen. Hat man da überhaupt noch Erwartungen auf konkrete Ergebnisse?

Bals: Ja. Ich glaube, dass die Verhandlungen im Rahmen der UNO seit 1992 der wohl wichtigste Faktor für internationale Fortschritte beim Klimaschutz gewesen sind. Ich hoffe, dass die jetzige Krise überwunden wird.

Die letzten beiden Gipfel in Kopenhagen und Cancún brachten aber kaum konkrete Fortschritte ...

Da muss man ein bisschen weiter ausholen. Der Verhandlungsprozess zwischen den Gipfeln in Bali 2007 und Kopenhagen 2009 war in mancher Hinsicht durchaus erfolgreich. Er hat das Thema auch in Ländern auf die Agenda gesetzt, wo es vorher kaum diskutiert worden ist. Nehmen Sie China: 2007 hatten nur rund 20 Prozent der Chinesen schon mal vom Klimawandel gehört, Ende 2009 waren es 90 Prozent. Auch auf Regierungsebene kam das Thema in vielen Ländern erst durch diesen Prozess auf die Agenda. Im arabischen Raum führte die Klimadebatte zu einer Neuorientierung, es kam dort erstmals zu Regierungsstrategien für eine Diversifizierung im Energiebereich. All das wäre ohne den Gipfel in Kopenhagen nicht passiert. Und in Cancún wurde die Grundlage dafür gelegt, dass man in den Jahren bis 2015 eine beschleunigte Senkung der Treibhausgasemissionen hinbekommen kann. Es wurden Reduktionsziele für praktisch alle großen Akteure festgelegt. Das Problem: Sie müssten doppelt so ambitioniert und zudem rechtlich verbindlich sein. Für diese großen Aufgaben, die bis 2015 zu lösen sind, müssen jetzt die Weichen gestellt werden. In Cancún hat man immerhin Instrumente geschaffen, die jenen Ländern, die gemeinsam vorangehen wollen, das ermöglichen. Es wurde geklärt, wie die Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen aussehen kann, wenn Industrieländer Entwicklungsländer unterstützen wollen. Auch ein Mechanismus für die technologische Kooperation ist im Entstehen. Wir würden also viel schlechter dastehen ohne die Verhandlungsergebnisse der letzten vier Jahre.

In Kopenhagen einigte man sich darauf, die Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Die Selbstverpflichtungen der Vertragsstaaten reichen aber bei weitem nicht aus. Erwarten Sie in Durban weitergehende Vereinbarungen?

Nein, das ist ein Prozess. Im Jahr 2015 wird man sehen, ob und in welchem Ausmaß es zu völkerrechtlich verbindlichen Vereinbarungen kommt - jetzt muss der Verhandlungsprozess gestartet werden. Erst 2015 liegen die Ergebnisse des sogenannten Review-Prozesses vor, der die Lücke zwischen den Selbstverpflichtungen und dem Zwei-Grad-Limit beziffern und schließen soll. Wenn die bisher eingegangenen Reduktionsverpflichtungen alle umgesetzt würden, kommen wir auf eine Klimaerwärmung von 3,5 bis vier Grad. Und wenn man die realen Emissionsentwicklungen im Moment anschaut, ist man sogar eher in Richtung fünf Grad Temperaturanstieg in diesem Jahrhundert unterwegs. Hier ist also eine gewaltige Lücke zu schließen. Der internationale Verhandlungsprozess ist einer, aber nur einer der Wege, um das zu erreichen. Zusätzlich müssen einzelne Staaten vorangehen und zeigen, dass es möglich ist, aus Kernkraft und Kohle auszusteigen und ein neues Wohlstandsmodell jenseits dieser Risikotechnologien zu entwickeln. In dieser Richtung ist die deutsche Energiewende weltweit eines der meistbeachteten Experimente. Wie das Experiment ausgeht, ist offen. Aber Deutschland ist das einzige große Industrieland, das diesen Versuch ernsthaft - wenn auch mit vielen Widerständen - unternimmt.

Sie sagen, dass weitere Schritte nicht vor 2015 kommen werden. Aber bereits 2012 läuft die erste Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls aus. Ist das Abkommen damit nicht tot?

Ich erwarte, dass eine Gruppe von Staaten, unter anderem die EU, in Durban eine zweite Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls beschließt und dass so nach 2012 keine Lücke entsteht. Aber in dieser zweiten Verpflichtungsperiode wird wohl nur eine kleine Anzahl von Industriestaaten dabei sein. Das wird wohl nur zehn bis 20 Prozent der Emissionen abdecken. Deswegen ist parallel ein Mandat für alle Staaten wichtig, bis 2015 ein rechtlich verbindliches Abkommen zu beschließen. Ob es gelingt, die Schwellenländer auf der einen und die USA auf der anderen Seite in so ein Abkommen mit hineinzubekommen, wird jetzt eine der großen Fragen sein. Letztlich werden wir das in der Tat erst 2014/2015 sehen.

Die USA und China sind also einstweilen nicht mit im Boot?

Die USA sind aufgrund ihrer außenpolitischen Selbstblockade derzeit in der internationalen Klimapolitik nicht wirklich politikfähig. Bei China rechne ich damit, dass in den nächsten drei Jahren die Entscheidung fällt, ob man sich auf ein rechtlich verbindliches Abkommen einlässt, vielleicht sogar die Führung dabei übernimmt. Und wenn China sich hier positiv entscheidet, dann entsteht eine ganz neue Dynamik. Dafür stehen die Chancen gar nicht mal so schlecht.

* Aus: neues deutschland, 29. November 2011


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