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Mehr Kohlendioxid

Trotz aller Bekenntnisse erhöhter CO2-Ausstoß. Pro-Kopf-Verbrauch besorgniserregend

Von Wolfgang Pomrehn *

Die Internationale Energieagentur IEA zeichnet ein düsteres Bild. Es gebe wenig Anzeichen für den dringend erforderlichen Kurswechsel in der globalen Energieversorgung, heißt es im neuen Jahresbericht der Agentur. Der Weltenergieausblick wurde letzte Woche in London der Öffentlichkeit vorgestellt. Darin rechnet die IEA verschiedene Szenarien zur Entwicklung der nächsten 25 Jahre durch. Die Agentur ist in Paris ansässig und wird von den Industrienationen finanziert.

Obwohl sich die Regierungen Energiesparen und Energieeffizienz auf die Fahnen schreiben, passiert tatsächlich das Gegenteil. Die Subventionen für den Verbrauch von fossilen Energieträgern sind 2010 auf über 400 Milliarden US-Dollar (290 Milliarden Euro) gestiegen. Dazu gehören auch die 1,4 Milliarden Euro, die deutsche Privathaushalte über den Kohlepfennig im letzten Jahr an die frühere Ruhrkohle AG (heute RAG) gezahlt haben. Die holt im Ruhrgebiet mit viel Aufwand überteuerte Steinkohle aus dem Untergrund.

Die weltweite Energieeffizienz hat 2010 im zweiten Jahr in Folge abgenommen. Entsprechend stiegen die Treibhausgasemissionen. Bei der Verbrennung von Kohle und Erdöl wird Kohlendioxid (CO2) freigesetzt, ein Spurengas, das Wärmestrahlen absorbiert und so die untere Atmosphäre aufheizt. 2010 kam es zum stärksten Anstieg der Emissionen seit den 50er Jahren, obwohl die Ressourcen endlich sind. Dafür war nicht nur die wirtschaftliche Erholung verantwortlich, die sich besonders in Lateinamerika, Asien und dem subsaharischen Afrika bemerkbar machte. Vielmehr ist der erhöhte Ausstoß darauf zurückzuführen, daß die anteiligen CO2-Emissionen pro Euro Wirtschaftsleistung um 0,6 Prozent zugenommen haben.

Mit anderen Worten: Die Energierohstoffe werden knapper, das Klimaproblem drängender, aber die Menschen gehen verschwenderischer mit den Rohstoffen um. Regional gibt es erhebliche Unterschiede. Australien war bisher einer der größten Energieverschwender und Treibhausgassünder, am Verbrauch pro Einwohner gemessen, hat diesen aber 2010 um gut zehn Prozent senken können. Auch eine ganze Reihe von Schwellenländern wie die Türkei, Indien, Mexiko und Argentinien hat ähnliche Erfolge erzielt, wenngleich in geringerem Ausmaß. Industriestaaten wie Japan, Rußland, USA, Südkorea und Großbritannien wiederum haben Kohle und Erdölprodukte viel ineffizienter als in der Vergangenheit eingesetzt. Die größten Verschwender sind Saudi-Arabien und Brasilien. Deutschland und China bewegen sich im Mittelfeld, weil sie ihr Effizienzniveau 2010 zumindest halten konnten.

Fragt sich, wie lange dieser Energiehunger noch mit den herkömmlichen Quellen gesättigt werden kann. In Sachen Erdgas ist die IEA sehr optimistisch und spricht von einem aufziehenden »goldenen Zeitalter« für den Energieträger. Allerdings besteht die Hälfte der verfügbaren Ressourcen aus Schiefergas und ähnlichen Vorkommen, die mit großem Aufwand von Energie und Chemikalien aus dem Boden gepreßt werden müssen. Der englische Fachbegriff dafür ist »­Fracking«. Das Gas ist in Gesteinsporen eingeschlossen, die erst aufgebrochen werden müssen. Aufgrund der damit verbundenen Gefahren für das Grundwasser ist diese Fördertechnik höchst umstritten, sowohl in den USA, wo sie bereits vielfach zur Anwendung kommt, als auch hierzulande, wo gerade die ersten Erkundungen laufen. Zuletzt regte sich in Vorpommern Protest gegen örtliche Fracking-Projekte.

Über die Verfügbarkeit von Kohle schweigt sich die IEA in ihrem Bericht aus. Sie geht jedoch davon aus, daß der Verbrauch noch deutlich ausgeweitet werden kann. Einige Geologen sprechen indes davon, daß Kohle knapp werde. Eine vergleichbare Diskussion wird im Zusammenhang mit den Welterdölreserven geführt. Eine ganze Reihe von Fachleuten spricht inzwischen davon, daß sich die Förderung nicht mehr weiter steigern lassen werde. Anders die IEA: Sie geht davon aus, daß die Nachfrage von 87 Millionen Barrel pro Tag im vergangenen Jahr auf 99 Millionen im Jahre 2035 steigen wird und auch bedient werden kann.

Lohnend ist ein Blick auf die Quellen, aus denen dieser zusätzliche Verbrauch laut IEA gedeckt werden soll. Konventionelle Vorkommen können nur noch im Irak, in Saudi-Arabien, Brasilien und Kasachstan erweitert werden. Nach Schätzungen der IEA sind das 14 bis 15 Millionen Faß pro Tag. In anderen Ländern wird die Förderung jedoch um neun bis zehn Millionen Barrel zurückgehen. Per Saldo bleibt nur eine Ausweitung der täglichen Ölproduktion um vier bis sechs Millionen Faß.

Neuer Treibstoff soll daher entweder aus Agrarprodukten hergestellt oder unkonventionell erschlossen werden. Damit ist der Abbau von Teersänden gemeint, die nicht sonderlich energie­intensiv sind. In Kanada geschieht das im Tagebau, große Landstriche sind bereits verwüstet. Venezuela beginnt derzeit, im Orinoco-Delta Schwerstöl abzubauen. Die beiden Länder verfügen über die mit Abstand weltgrößten Lagerstätten des schmutzigsten aller verfügbaren fossilen Brennstoffe.

* Aus: junge Welt, 15. November 2011


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