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"Monsteranstieg"

CO2-Emissionen erreichen Rekordwerte, auch wegen der Ineffizienz der USA

Von Wolfgang Pomrehn *

In der vergangenen Woche veröffentlichte das US-Energieministerium eine Schätzung der globalen Kohlendioxidemissionen für 2010. Im Vergleich zum Vorjahr stieg der Ausstoß des wichtigsten Treibhausgases um nicht ganz sechs Prozent. Von einem »Monsteranstieg« sprach Gregg Marland, der als Geologe an der Universität der Appalachen in den USA seit Jahren mit der Ermittlung der globalen Emissionsdaten befaßt ist. Seine Zahlenreihen reichen bis ins vorletzte Jahrhundert zurück und nie zuvor hat es von einem Jahr aufs andere eine derart starke Zunahme gegeben. Abgeleitet wurden die Zahlen aus dem Verbrauch von Kohle, Erdöl und Erdgas. Dazu kam in den letzten Jahrzehnten die Zementproduktion als weitere Quelle des Treibhausgases.

Der Anstieg kommt nicht ganz unerwartet. 2009 waren die Emissionen erstmals seit Beginn der 1950er Jahre zurückgegangen; ein deutliches Zeichen des starken Einbruchs der wirtschaftlichen Aktivitäten in Folge der Finanzkrise 2008. Da sich 2010 in vielen Teilen der Welt die Wirtschaft bereits wieder erholt hatte und namentliche die Schwellenländer wie auch das subsaharische Afrika erfreulich stark wachsen, war ein gewisser Nachholeffekt zu befürchten. Verglichen mit 2008 wuchsen die Emissionen um 4,5 Prozent, umgerechnet auf zwei Jahre ergibt sich ein jährliches Wachstum von knapp 2,3 Prozent.

Das hört sich nicht mehr ganz so dramatisch an, wie es in einigen Medien dargestellt wurde, ist aber dennoch kein Grund, sich zurückzulehnen. Schon jetzt sind genug Treibhausgase in der Atmosphäre, um die globale Mitteltemperatur um etwas mehr als ein Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu erhöhen. In vollem Umfang werden die Folgen der Treibhausgase, die wir in den letzten Jahrzehnten in die Luft geblasen haben, erst in den kommenden Jahrhunderten wirksam. Soll der Klimawandel im noch einigermaßen erträglichen Rahmen gehalten, sprich: die Umsiedlung von Millionenstädten wie Shanghai, Alexandria oder New York noch verhindert werden, muß der Anstieg der Treibhausgasemissionen noch in diesem Jahrzehnt gestoppt und danach bis 2050 rasch abgebaut werden. Das werden die Klimaforscher seit einigen Jahren nicht müde zu betonen.

Die internationalen Klimaverhandlungen verlaufen allerdings schleppend. In wenigen Wochen beginnt im südafrikanischen Durban die diesjährige UN-Klimakonferenz und die meisten Entwicklungs- und Schwellenländer wollen, daß dort zumindest eine Art Kompromiß beschlossen wird. Sie wollen eine Verlängerung des Kyoto-Protokolls, damit die Weltgemeinschaft 2013 nicht ganz ohne Klimaschutzvertrag darsteht. Die EU scheint dieser Position ebenfalls zuzuneigen, doch Länder wie Japan, Rußland oder die USA sperren sich mit unterschiedlichen Argumenten. Zuletzt signalisierten Moskau und Tokio, daß sie bis 2018 oder noch länger über einen Vertrag weiterverhandeln wollen. »Vollkommen unverantwortlich« findet das Joseph Gilbert, Umweltminister von Grenada und Sprecher der Vereinigung kleiner Inselstaaten, von denen einige schon in den nächsten Jahrzehnten vom steigenden Meeresspiegel akut in ihrer Existenz gefährdet werden könnten.

Durchaus passend zu den Grabenkämpfen in den langwierigen Verhandlungen über internationalen Klimaschutz war auch die Präsentation der neuen Emissionsdaten. In vielen Zeitungen und Onlinemedien wurden China, Indien und die USA als Hauptverursacher von Treibhausgasen benannt. Auf der Internetseite des US-Energieministeriums wird gar hervorgehoben, daß der globale Anstieg der Emissionen 2010 vor allem auf das Konto Chinas gehe. Das sind die bekannten Muster, die immer wieder zur Rechtfertigung herangezogen werden, wenn sich eine Industriestaat, der seit 60 oder noch mehr Jahren im großen Umfang Treibhausgase in die Luft entläßt, vor der Verantwortung drücken will. US-Präsident Obama ließ den UN-Klimagipfel vor zwei Jahren in Kopenhagen mit dem Argument platzen, China müßten ebenfalls verbindliche Emissionsbeschränkungen auferlegt werden.

Schaut man nun auf die neuesten Emissionswerte, ging etwas weniger als die Hälfte des Zuwachses auf das Konto Chinas, nämlich rund 733 Millionen Tonnen. Die USA steigerten ihren Ausstoß um 220 Millionen Tonnen. In der Volksrepublik liegen die Pro-Kopfemissionen inzwischen bei 6,2 Tonnen CO2 pro Jahr. Zum Vergleich: In Deutschland sind es rund zehn Tonnen pro Einwohner und Jahr und in den USA 17,72.

Interessant ist auch ein Blick auf die Effizienz der Volkswirtschaften, das heißt, auf den CO2-Ausstoß pro Wirtschaftsleistung. Eine ebenfalls letzte Woche veröffentlichte Studie der internationalen Beratungsfirma PwC zeigt, das im globalen Mittel 2010 erstmals seit längerem der Wert wieder gestiegen ist, und zwar um 0,6 Prozent. Indien konnte den Wert allerdings um 0,5 Prozent senken, andere Schwellenländer wie Südafrika, Mexiko, Argentinien und die Türkei sogar noch deutlich stärker. China schaffte es hingegen immerhin, wie auch Deutschland, den Wert zu halten. Dort spiegelt die Zunahme der Emissionen einfach das starke Wirtschaftswachstum wieder. Die USA, Japan und Rußland schafften es hingegen, den Treibhausgasausstoß pro Wirtschaftsleistung noch weiter zu steigern, und zwar um 1,2, 1,6 und zwei Prozent. Die Länder, die sich in den Verhandlungen mit vollem Gewicht auf die Bremse stellen und mit dem Finger auf andere zeigen, glänzen also zugleich mit besonderer Ineffizienz im Energieeinsatz und deshalb vermehrten CO2-Emissionen.

* Aus: junge Welt, 10. November 2011


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