Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Reduktion per Erlass

Der US-Senat blockiert das Gesetz - die Umweltbehörde geht voran

Von John Dyer, Boston *

Nach dem Ende der Ära Bush ist beim lange Zeit weltgrößten Treibhausgasemittenten, den USA, in Sachen Klimaschutz einiges in Bewegung geraten. Doch die Widerstände sind groß.

Die US-amerikanische Industrie und konservative Abgeordnete läuten die Alarmglocken. Die nationale Umweltschutzbehörde EPA hat zum ersten Mal Treibhausgase als eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit eingestuft. Die Umweltbehörde kann jetzt auf der Grundlage eines Gesetzes aus den 1960er Jahren u.a. für die Treibhausgase Kohlendioxid, Methan und Stickoxide Beschränkungen für alle Bundesstaaten auf dem Verwaltungswege aufstellen.

EPA-Leiterin Lisa Jackson beruft sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse. »Die große Mehrheit der Beweise zeigt, dass dies eine wirkliche Gefahr ist«, sagte sie. Nun stelle sich die US-Regierung der Herausforderung durch die Treibhausgas-Verschmutzung und ergreife die Möglichkeit einer Reform zu sauberer Energie.

Die neuen Vorgaben könnten insbesondere die Betreiber von Kraftwerken, Stahlwerken und anderer Industrieanlagen, die große Mengen an CO2 abgeben, zwingen, modernste Ausrüstungen anzuschaffen, um ihre Emissionen bereits bis zum nächsten Frühjahr zu reduzieren. Allein Kraftwerke produzieren rund 40 Prozent der Treibhausgase in den USA. Die neuen Regeln machen es auch leichter, das Ziel von Präsident Barack Obama zu erreichen, die Effizienz von Fahrzeugen beim Kraftstoffverbrauch bis 2016 um 40 Prozent zu steigern. Der Straßenverkehr ist für ein Viertel der Emissionen in den USA verantwortlich Allerdings hat die EPA bisher keine Details preisgegeben, welche Vorschriften sie erlassen wird. Die Behörde prüft Grenzwerte, die diese Emissionen um fast eine Milliarde Tonnen reduzieren sollen und etwa 1,8 Milliarden Barrel (je 160 Liter) Öl sparen würden.

Umweltschützer bezeichneten die EPA-Entscheidung als perfekte Nachricht an den Weltklimagipfel in Kopenhagen. Dagegen kritisierten konservative Republikaner, Präsident Obama wolle eine Behörde die Grenzwerte festlegen lassen, statt einen Konsens mit dem Parlament zu suchen. »Der Kongress wird zurückschlagen«, erklärte Mark Helmke, Sprecher des einflussreichen republikanischen Senators Richard Lugar. »Er kann die Geldmittel streichen und das Gesetz ändern.«

Die Industrie befürchtet, dass die EPA striktere Grenzwerte festlegt, als in Obamas Gesetzentwurf vorgesehen sind, den der Senat bislang blockiert. Die Verantwortlichen in der Industrie sähen es lieber, wenn die neuen Grenzwerte vom Kongress festgesetzt würden. Dort hätten sie mehr Einflussmöglichkeiten - in Anhörungen und hinter verschlossenen Türen mit der Hilfe gut bezahlter Lobbyisten.

Während die Politik noch debattiert, sorgt die Wirtschaftskrise für eine Trendumkehr bei den CO2-Emissionen. Laut dem Energieministerium ist der Ausstoß in den USA im vergangenen Jahr um fast drei Prozent zurückgegangen. Zuvor hatte es seit dem Kyoto-Referenzjahr 1990 einen Anstieg von jährlich etwa ein Prozent gegeben.

* Aus: Neues Deutschland, 9. Dezember 2009


EU ist längst kein Vorreiter mehr

Emissionshandelssystem bietet Schlupflöcher bei der Reduzierung des CO2-Ausstoßes

Von Kurt Stenger **


Auch wenn man es in Europa gerne verschweigt - die EU-Staaten gehören weiterhin zu den Hauptemittenten von Treibhausgasen.

Einen dampfenden Topf, in dem die Erdkugel kocht, stellten Greenpeace-Aktivisten am Dienstag (8. Dez.) vor der österreichischen Botschaft in Berlin ab. Umweltschützer von über 450 Nichtregierungsorganisationen küren während der Dauer des UN-Gipfels täglich den »Klimakiller des Tages«. Den Negativpreis erhielt diesmal Österreich, weil sich die Regierungsdelegation der Alpenrepublik in Kopenhagen dafür stark macht, dass die wachsenden Treibhausgasemissionen aus intensiver Waldnutzung künftig nicht mehr zum Ausstoß eines Landes hinzugezählt werden. »Österreich macht die EU zum Klimabilanzfälscher«, kritisiert Corinna Hölzel von Greenpeace.

Längst hat die Europäische Union ihren einstigen Anspruch aufgegeben, weltweiter Vorreiter in Sachen Klimaschutz zu sein. In Kopenhagen übt man sich, so zumindest die Ankündigungen im Vorfeld, vor allem im Däumchendrehen. Gefragt seien die anderen großen CO2-Emittenten, allen voran die USA und China, heißt es. Die Europäer verweisen auf das EU-Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 20 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. 30 Prozent könnten es werden, wenn andere Industrieländer mitziehen. Klimaschützer halten allerdings ein Reduktionsziel von 40 Prozent für notwendig, um die Erderwärmung unter der Zielmarke von plus zwei Grad Celsius zu halten.

Reduktionsziele sind eine Sache, ihre Umsetzung eine andere. Dass hierbei große Skepsis angebracht ist, zeigt eine Blick auf den Umgang mit den noch sehr moderaten Zielen des Kyoto-Protokolls. Das EU-Mitglied Spanien ist aktuell das Industrieland mit den größten Steigerungsraten beim Treibhausgasausstoß gegenüber 1990. EU-Hauptemittent Deutschland liegt mit seinem Ausstoß von aktuell rund einer Milliarde Tonnen CO2-Äquivalenten zwar im Plan, was aber zu einem Gutteil auf die Deindustrialisierung Ostdeutschlands zurückzuführen ist. Hinter der guten Gesamtbilanz versteckt sich ferner, dass die Bundesrepublik gigantische CO2-Schleudern beheimatet. Das RWE-Braunkohlekraftwerk Niederaußem im Rheinland ist mit knapp 25 Millionen Tonnen CO2 (etwa 2,5 Prozent der deutschen Emissionen) Europas zweitgrößter Klimasünder.

Als weitgehend wirkungslos entpuppt sich zumindest bislang ausgerechnet das europäische Emissionshandelssystem, das den Ausstoß eigentlich begrenzen soll. Die Zuteilung der Zertifikate war bislang kostenlos und darüber hinaus zu üppig. In der ersten Periode 2008 bis 2012 werden nach Schätzungen der Klimakampagne Sandbag 400 Millionen Zertifikate (à eine Tonne CO2) ungenutzt bleiben. Diese können verkauft werden, worauf vor allem Spanien dankend zugriff. Oder aber sie werden gehortet, wodurch spätere Reduktionsziele unterminiert werden. Insbesondere osteuropäische Länder, allen voran das stark auf Kohle setzende Polen, machen sich dafür stark, ihre ungenutzten Emissionsrechte nach dem eigentlichen Verfallsdatum 2013 weiterverwenden zu können.

Während die EU-Regierungen beim Klimaschutz wenig engagiert sind, wären die Bürger dazu bereit. Laut einer Meinungsfrage sind 92 Prozent der Europäer dafür, den Klimaschutz mit den Mitteln der Steuerpolitik stärker zu fördern.

** Aus: Neues Deutschland, 9. Dezember 2009


Zurück zur "Klima"-Seite

Zur USA-Seite

Zur EU-Europa-Seite

Zurück zur Homepage