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Extreme Zeiten

Rückblick 2010. Der Klimawandel

Von Wolfgang Pomrehn *

Das ausgehende Jahr war aller Voraussicht nach das wärmste in der Geschichte der Wetteraufzeichnungen. Für Mitteleuropäer, die gerade einen außergewöhnlich kalten und schneereichen Dezember mehr oder weniger hinter sich haben, ist das wahrscheinlich nicht besonders einsichtig. Doch Europa ist nur ein ziemlich kleiner Fleck auf dem Globus und Mitteleuropa ein noch kleinerer. Es geht um die globale, über alle Kontinente und Ozeane gemittelte Temperatur, und zwar, um ganz genau zu sein, die in zwei Metern Höhe über dem Boden gemessene. Diese ist nicht nur ein in vielen Weltgegenden ziemlich gut dokumentierter Parameter, sondern auch ein guter Indikator für die im Klimasystem der Erde gespeicherte Energie. Steigt letztere, so ist mit heftigeren Unwettern, einer Ausdehnung der Meere wegen wärmeren Wassers und abtauender Eisschilde, mit größerer Variabilität des Wetters und in wichtigen Agrarzonen mit ausgedehnteren Dürren zu rechnen.

Genau davon bekamen wir in diesem Jahr mal wieder einen Vorgeschmack: In China lösten im August Regenfälle in der Provinz Gansu die schwersten Überschwemmungen seit Jahrzehnten aus und verursachten Schlammlawinen, denen über tausend Menschen zum Opfer fielen. Hierzulande wurden schon Anfang Juli weite Teile West- und Mitteleuropas von einer extremen Hitzewelle heimgesucht. In Berlin und einigen anderen Städten kletterten die Temperaturen auf etwas über 38 Grad Celsius. Anders als 2003 zog die Hitzewelle allerdings relativ schnell weiter ostwärts. Dort hielt sie längere Zeit an und beutelte den europäischen Teil Rußlands. In der Folge kam es dort zu den schwersten Waldbränden seit Menschengedenken, mitverursacht durch die verbreitete Trockenlegung der Moore, deren Torfböden zum Teil ebenfalls Feuer fingen. Der russische Wetterdienst berichtete, daß Hitze und Trockenheit einmalig waren, nicht in den letzten 130 Jahren, aus denen es Wetteraufzeichnungen gibt. Anhand von Baumringen, Pollenablagerungen und anderen Parametern läßt sich sagen, daß es seit mindestens dem 11. Jahrhundert kein vergleichbares Ereignis gegeben hat. Auch der russische Ferne Osten sowie Teile Kanadas wurden im Juli von schweren Waldbränden heimgesucht.

Die Konstellation der Luftströmungen, die das Hochdruckgebiet wochenlang über Westrußland festhielten, sorgte auch dafür, daß sich der indische Monsun nach Westen verlagerte. Wolkenbruchartige Niederschläge ergossen sich im Juli über das Bergland im Norden Pakistans und sorgten entlang des Indus für die schwerste Überschwemmungskatastrophe seit Beginn der dortigen Aufzeichnungen.

Das von Paschtunen bewohnte Swat-Tal war sozusagen eines der Epizentren der Flutkatastrophe. Hier radierten Lawinen aus Geröll und Bäumen sowie Unmengen Wasser ganze Dörfer aus. Illegal geschlagene Bäume, die in den Tälern auf den Abtransport gewartet hatten, sollen ihren Teil zur Zerstörung beigetragen haben. Der Holzhandel, so berichtete die pakistanische Journalistin Zofeen T. Ebrahim im britischen Guardian, werde von einer regelrechten Mafia betrieben, die sowohl zu den Taliban als auch zu den Behörden beste Beziehungen unterhalte.

In Pakistan zeigte sich mit dieser Flut auch, daß Naturkatastrophen oft durch staatliche Unfähigkeit verschlimmert werden. Ähnlich wie 2005 vor und während des Hurrikans »Katrina«, der New Orleans verwüstete, oder auch im Mai 2009 nach dem Tropensturm »Nargis« in Myanmar (Burma) der über 100000 Menschen das Leben kostete, wurde das Leid erheblich durch eine unfähige Regierung verschlimmert. Im Vorfeld hatte die Nachlässigkeit der Behörden dafür gesorgt, daß in den Überflutungszonen der Flüsse zahlreiche Gebäude errichtet wurden, was die Schäden erheblich erhöhte. Im nachhinein zeigten sie sich nicht in der Lage, für schnelle und ausreichende Hilfe zu sorgen.

Bleibt die Frage, ob diese Extrem­ereignisse des Jahres 2010 dem vom Menschen gemachten Klimawandel zuzuschreiben sind. Im Spätsommer machte die sonst eher zurückhaltende Weltmeteorologie-Organisation darauf aufmerksam, daß die Häufung der Ereignisse, die zudem oft mit regionalen Wetterrekorden einhergingen, dies nahelegt. Ein vermehrtes Auftreten solcher Extremereignisse sei genau das, was Forscher von einem im globalen Mittel wärmeren Klima erwarten.

An der Erwärmung ist nicht mehr zu zweifeln. Hinter uns liegt gerade der wärmste November, der je gemessen wurde. Besonders stark stiegen die Temperaturen in den letzten Jahren unter anderem in der Arktis. Dort, im hohen Norden, setzt sich der Schwund des Meereises ungemindert fort. In diesem Sommer wurde ein neuer Minimum-Rekord nur knapp verfehlt.

Eine der Folgen bekommen wir eventuell gerade zu spüren. Wissenschaftler des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung haben kürzlich eine Studie veröffentlicht, die den Zusammenhang zwischen einer eisfreien Barentssee – das sind die Gewässer nordöstlich der Nordspitze Norwegens – und dem Wetter in Mitteleuropa untersucht. Ihr Ergebnis: Durch den Einfluß des im Vergleich zu einer Eisoberfläche warmen Meeres auf die atmosphärische Zirkulation könnte es vermehrt zu sogenannten Blockaden kommen, die atlantische Tiefdruckgebiete davon abhalten, über den Kontinent zu ziehen. Statt dessen würde vom Norden oder Nordosten kalte polare Luft nach Mittel- und teilweise auch Westeuropa strömen. Genau das, was wir seit Wochen erleben.

* Aus: junge Welt, 30. Dezember 2010


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