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"Zehn Millionen G3-Gewehre sind weltweit im Umlauf"

Anderthalb Millionen Menschen starben durch Waffen von Heckler & Koch. Deutsche Gewehre sind bei jedem Krieg dabei. Gespräch mit Jürgen Grässlin

Jürgen Grässlin ist Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK) und Vorsitzender des Rüstungsinformationsbüros (RIB).



Das georgische Militär ist illegal mit dem deutschen Sturmgewehr G36 versorgt worden - ein Einzelfall?

Nur, was den illegalen Charakter des Waffenexports angeht. 98 Prozent des deutschen Rüstungshandels erfolgen legal, und das hat noch wesentlich schlimmere Folgen.

Welche Rolle spielt dabei das Unternehmen Heckler & Koch als Produzent dieses Gewehres?

Diese Firma hat die halbe Welt mit Schnellfeuergewehren versorgt, vor allem mit dem G3, der früheren Standardwaffe der Bundeswehr. Direktexporte gingen völlig legal an mindestens 88 Staaten, praktisch an jeden, der während des Kalten Krieges westlich orientiert war. Darunter sind Diktaturen wie Uganda unter Idi Amin, aber auch Äthiopien, das ehemalige Zaire und Sudan, ebenso El Salvador und Kolumbien. Eigentlich gibt es nur in der Antarktis und im Gebiet des früheren Warschauer Vertrages keine G3-Gewehre.

Die Beschränkung auf »prowestliche« Regime hat offenbar nicht funktioniert ...

Schnellfeuergewehre haben eine Lebensdauer von gut einem halben Jahrzehnt, das ist länger als so manche Militärdiktatur. In Somalia habe ich G3 aus den 70er und 80er Jahren aus pakistanischer Lizenzfertigung gesehen, die jetzt von Milizen benutzt werden. Im Libanon wird von allen Bürgerkriegsparteien mit dem G3 geschossen, die kolumbianischen FARC haben Beutewaffen im Einsatz.

Warum halten Sie Kleinwaffen für schlimmer als Panzer oder Flugzeuge?

Kleinwaffen, also Maschinen- und Schnellfeuergewehre, Maschinenpistolen usw. verursachen die meisten Kriegstoten. Gewehre sind die Killerwaffe Nummer 1. Zwei von drei Kriegsopfern, überwiegend Frauen und Kinder, sterben durch Gewehrkugeln. Jede Waffe zählt: In Thailand sind Massen­exekutionen mit lediglich zwei Waffen von Heckler & Koch durchgeführt worden. Türkische Soldaten haben mir berichtet, daß im Bürgerkrieg zwischen 80 und 90 Prozent der Kurden mit dem G3 erschossen worden sind.

Welchen Anteil hat Heckler & Koch daran?

Weltweit sind heute ungefähr zehn Millionen G3-Gewehre im Umlauf. Hinzu kommen andere Waffentypen wie die MP5, die wohl meistverbreitete Maschinenpistole der Welt. Gemessen an den Empfängerländern hat sie eine ähnlichen Verbreitung wie das G3. H&K hält einen Marktanteil von acht Prozent aller Kleinwaffen. Man kann berechnen, daß seit der Firmengründung 1949 mehr als 1,5 Millionen Menschen durch H&K-Waffen getötet worden sind. Es gibt heutzutage praktisch keinen Krieg oder Bürgerkrieg, in dem nicht Waffen von H&K verwendet werden.

Wie kann ein kleines, mittelständisches Unternehmen weltweit so stark vertreten sein?

Die Bundesregierungen haben etliche Lizenzen zum Nachbau vergeben, zu den folgenschwersten zählen die Türkei, Saudi-Arabien, Mexiko und Pakistan. Mexiko hat G3 im Chiapas-Konflikt eingesetzt. Khomeini hat mit den Waffen, die der Schah von Persien in Lizenz hat fertigen lassen, den ersten Golfkrieg gegen Irak geführt. Von Pakistan und anderen Ländern aus sind sie zum Teil unkontrolliert weiterverkauft worden.

Dieser Weiterverkauf ist doch illegal.

Die Bundesregierung verlangt erst seit 1982 Endverbleibserklärungen. Diese sind aber bis heute oft nicht mehr als eine Formalie. Es gibt in Deutschland de facto keinen Regierungsbeamten, der ernsthaft prüft, ob nicht doch Waffen aus Exporten oder Lizenzproduktionen weiterverkauft werden. Das ist offenbar auch im Fall Georgien so.

Wie könnte die Bundesregierung klären, wie die Waffen nach Georgien gelangten?

Nichts leichter als das: Sie müßte sich mit der befreundeten georgischen Regierung in Verbindung setzen. Jedes G36-Gewehr trägt schräg oberhalb des Magazins das Kürzel des Produzenten, die Produktionsnummer und das Herstellungsjahr bzw. entsprechende Codebuchstaben. Damit läßt sich der Hersteller ermitteln, und der kann mittels seiner Exportbücher angeben, wer Erstempfänger gewesen ist. Die Schuldigen lassen sich ermitteln, und sie gehören inhaftiert. Die Frage ist nur, ob die Bundesregierung willens ist, internationale Verwicklungen auf höchstem Niveau in Kauf zu nehmen.

Interview: Frank Brendle

* Aus: junge Welt, 22. August 2008


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