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"Weiblicher Dorn im Fleisch des Männerbiotops"

Am Montag tritt Uta Ranke-Heinemann in Freiburg bei den Gegnern des Papstes auf. Zuvor redete sie mit ND über dessen Kondomtheologie *


Uta Ranke-Heinemann (83) war die erste Frau der Welt, die eine Professur für katholische Theologie erhielt (1970), und die erste Frau der Welt, die sie wieder verlor (1987), weil sie an der Jungfrauengeburt zweifelte. Sie war Studienkollegin von Joseph Ratzinger. Ihr Vortrag in Freiburg (am 19. Sept.) trägt den Titel »Mit Ratzinger zurück ins Mittelalter«. Dirk Farke hatte Gelegenheit für ein Vorabgespräch.

ND: Ein bekanntes Zitat von Ihnen lautet: »Das einzige, das ich am Papst gut finde: Er raucht nicht und erzählt keine schmutzigen Witze«! Das ist aber nicht sehr viel Positives über den Stellvertreter Gottes auf Erden.

Ranke-Heinemann: Es ist sogar zu viel Positives, denn ich hatte es bezüglich Johannes Paul II. gesagt, der bei all seiner Sexualfeindlichkeit nie eine vulgäre Sprache redete, schon das Wort »Kondom«, geschweige denn das Wort »männnliche Prostituierte« nicht einmal in den Mund nahm. Papst Benedikt hingegen hat Jesu Frohbotschaft in den Schmutz gezogen: In seinem Buch »Licht der Welt« vom November 2010 erlaubt er zwar erstmalig Kondome, aber nur für »männliche Prostituierte«. Er hat damit Jesu Botschaft zu einer Bordell-Frohbotschaft gemacht. Der nichtprostituierten verheirateten Restbevölkerung predigt er das ewige Höllenfeuer bei Kondombenutzung: Bluterkranke Ehemänner, die durch Bluttransfusion HIV-infiziert wurden, dürfen lebenslang nicht mit ihren Frauen verkehren, nicht einmal nach deren Klimakterium – und wenn sie das nicht schaffen, ist es besser, dass sie ihre Frauen infizieren, als dass sie ein Kondom benutzen. Ehefrauen, die sich bei ihren HIV-infizierten Ehemännern anstecken, weil kein Kondom benutzt wurde, nannte Papst Benedikt am 7. August 2004 im Sender BBC World »Märtyrerinnen für den Glauben unseres Jahrtausends«.

Schon lange bevor Ihnen die Lehrtätigkeit entzogen wurde, weil Sie die Jungfrauengeburt öffentlich in Frage gestellt hatten, äußerten Sie sich kritisch zu vielen kirchlichen Positionen, zum Beispiel gegen die päpstliche Frauen- und Sexualfeindlichkeit, ohne dass sich dies negativ auf Ihre Karriere auswirkte. Warum ist gerade dieser vollendete Blödsinn der Jungfrauengeburt von so immenser Bedeutung?

Jesus hatte laut Neuem Testament vier Brüder, die namentlich genannt werden und »Schwestern«, die nicht einzeln genannt werden. Die katholische Kirche ist seit fast 2000 Jahren frauen- und sexualfeindlich. Jesus war es nicht. Um 400 hat der Kirchenvater Hieronymus erklärt: Es handele sich um Vettern und Cousinen Jesu: Weil Priester nicht heiraten sollten, machte er Maria zur Jungfrau. Seit Papst Benedikt höre ich im Vatikansender »Telepace« jeden Abend vorwiegend von der »Jungfrau Maria«. Katholisches Christentum ist Marientum geworden.

Wer an Marias Jungfräulichkeit »beharrlich zweifelt«, ist automatisch exkommuniziert gemäß Canon 1364 § 1 CIC und Canon 751 CIC. Dabei war es der Theologe Ratzinger, jetzt Papst, den ich seit 1953 sehr schätzte, der auf S. 225 seines Buches »Einführung in das Christentum« 1968 schreibt: »Die Gottessohnschaft Jesu beruht nach dem kirchlichen Glauben nicht darauf, dass Jesus keinen menschlichen Vater hatte ... Denn die Gottessohnschaft, von der der Glaube spricht, ist kein biologisches, sondern ein ontologisches Faktum, kein Vorgang in der Zeit, sondern in Gottes Ewigkeit.«

Heute als Papst würde Ratzinger das wohl nicht mehr so sagen?

Wohl nicht. Aber in allen Neuauflagen des Buches, deren letzte 2007 erschien, wurde es nicht korrigiert. Und in der letzten Fernsehsendung einer Reihe von Fernsehsendungen, in denen ich meine Aussage gegen die Jungfrauengeburt vom 17. April 1987 zurücknehmen sollte, am Samstag, den 13. Juni 1987, WDR 22.45 Uhr, sagte der Dominikaner Eckert, als ich dies aus Ratzingers Buch vorlas: »Was Ratzinger sagt, ist falsch, Sie dürfen sich nicht auf ihn berufen.« Am Montag 15. Juni hörte ich im Fernsehen, dass ich meinen Lehrstuhl verloren hatte. Hilfesuchend hatte ich mich am Sonntag 14. Juni brieflich an Ratzinger gewandt. Aber er hat mir nicht geholfen. Und inzwischen sind aus dem WDR-Film diese Worte des Dominikaners gegen Ratzinger entfernt und vernichtet, aber mir haben sie den Hals gebrochen. Ratzinger zu zitieren, hat mich den Lehrstuhl gekostet. Und die Beweise im WDR-Fernsehen wurden vernichtet.

Obwohl Sie so gut wie gegenüber allen kirchlichen Positionen in Opposition stehen, sind Sie bis heute nicht aus der katholischen Kirche ausgetreten. Was hält Sie davor zurück?

Am 17. Mai 2006 sagte Herr Matussek vom »Spiegel« in der SWR-Livesendung »War Jesus verheiratet?«: Frau Ranke-Heinemann, Sie haben hier überhaupt nichts zu sagen, Sie sind doch aus der Kirche ausgetreten. Eine Lüge. Ich werde der weibliche Dorn im Fleisch des Männerbiotops der katholischen Kirche bleiben.

* Aus: Neues Deutschland, 16. September 2011


Lieber hässlich

Von Uwe Kalbe **

Lob der Etikette. Weil der Papst kommt, müsse man ihm Respekt erweisen, fordern deutsche Bischöfe, nachdem Abgeordnete des Bundestages angekündigt haben, der Rede von Benedikt XVI. heute in einer Woche im Bundestag fernzubleiben. Nun wird an die Noblesse appelliert, nach der Kinderstube gerufen und Respekt gefordert. Die Verweigerung verfestige das Bild vom »hässlichen Deutschen«, das leider international noch immer existiere, klagt bitter Kurienkardinal Walter Brandmüller.

Ein solches Urteil aus dem Munde eines Deutschen weckt besondere Neugier. Das Bild vom hässlichen Deutschen, wenn es das überhaupt gibt, ist immer das vom Andersartigen. Nicht der Vorbehalt, dem man im Ausland begegnet, zeigt sich hier. Sondern der Vorbehalt gegenüber dem Andersdenkenden. Leichter ist der politische Gehalt des Papst-Auftritts im Bundestag kaum zu illustrieren. Wer es vermag, Botschaften zu tolerieren, die dem eigenen Weltbild widersprechen, zumal, wenn sie die Form von Verkündigungen anzunehmen versprechen, dem gebührt eigentlich der Respekt. Viele Abgeordnete haben dies angekündigt, werden allerdings keiner weiteren Aufmerksamkeit gewürdigt. Gefordert wird stattdessen die Geste der Verbliebenen, der Abtrünnigen, der Hartherzigen. Derjenigen, die von ihren Kritikern den Vorwurf der Intoleranz ernten, weil diese sich nicht mit ihrer Verweigerung abfinden können. Unterwerfung – das würde leichter hingenommen.

Natürlich kann man verlangen, dem Papst mit Freundlichkeit, auch mit Respekt zu begegnen. Ihm zu begegnen, kann man allerdings nicht fordern. Dies sollte auch Abgeordneten freigestellt bleiben.

** Aus: Neues Deutschland, 16. September 2011 (Kommentar)


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