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EKD: Gegen Irak-Krieg - Für Frieden im Nahen Osten - Gegen Antisemitismus

Im Wortlaut: Bericht des Rates der EKD für die Synode in Timmendorfer Strand

Im Folgenden dokumentieren wir den friedenspolitischen Teil eines Berichts, den der Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) für die 7. Tagung der 9. Synode der EKD (3.-8. November 2002) in Timmendorfer Strand vorgelegt hat. Der ganze Bericht besteht - neben der Einleitung - aus vier Teilen:
  1. In der einen Welt verantwortlich leben
  2. Im Frieden miteinander leben
  3. Mehr Gemeinschaft wagen
  4. Orientierung am Grund des Glaubens
Der Teil 2 gliedert sich selbst wieder in drei Abschnitte:
  1. In 2.1 geht es um die "Gewalt im Alltag"
  2. Abschnitt 2.2 ist überschrieben mit "Internationale Gewalt eindämmen"
  3. In Abschnitt 2.3 geht es um die Begegnung mit dem "Fremden", um die Frage der Integration und des Dialogs mit dem Islam.
Im Folgenden also Teil 2.2 im Wortlaut.



2.2 Internationale Gewalt eindämmen

Die Attentate auf die Synagoge in Djerba und die Vergnügungsviertel auf Bali, die Geiselnahme von Moskau, die Serie der schweren Ausschreitungen gegen internationale Entwicklungs-Einrichtungen in Pakistan, die Übergriffe auf christliche Gemeinden in einigen islamischen Staaten, der fortgesetzte Terror in Nordirland, die Morde der ETA und gewaltsame Übergriffe gegen Minderheiten in vielen Ländern zeigen, wie verwundbar die Welt geblieben ist.

2.2.1 Den Terrorismus bekämpfen - die Freiheit schützen

Der Krieg gegen das Talibanregime in Afghanistan hat zwar partielle Fortschritte im Kampf gegen das Terror-Netzwerk gebracht, aber keinen eindeutigen Erfolg.

Der Versuch, die Drahtzieher der Terroranschläge vom 11. September 2001 dingfest zu machen und ihr unmittelbares Umfeld zu bekämpfen, hat weitere Tausende unschuldiger Opfer unter der Zivilbevölkerung gefordert. Das Ende des Schreckens ist noch nicht in Sicht. Die Terrororganisation Al Qaida ist offenbar noch nicht zerschlagen. Das Taliban-Regime in Afghanistan scheint zwar vertrieben, aber das Land selber wie auch seine miteinander verfeindeten Nachbarn Pakistan und Indien sind von innerer Stabilität weit entfernt. Die blutigen Kämpfe einzelner Gruppen in Afghanistan, die stockende internationale Hilfe für die notleidende Bevölkerung hemmen den Wiederaufbau des kriegszerstörten Landes. Immerhin scheinen sich in Afghanistan mit dem Ende des alten Regimes die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verbessert zu haben, doch die Lockerungen für Frauen sowie bei den Informations- und Unterhaltungsangeboten verdecken nur notdürftig, wie instabil die Lage ist. Gegenwärtig verhindert die Präsenz internationaler Friedenstruppen einen direkten Rückfall Afghanistans in den Bürgerkrieg. Aber ein Erfolg im Kampf gegen den Terror ist das nicht.

Wenn vor Jahresfrist unsere Bedenken gegen ein militärisches Vorgehen groß waren, so scheinen sie im Rückblick eher gerechtfertigt als ausgeräumt. Es liegt in der Natur von Terror-Netzwerken, dass sie durch militärische Aktionen nicht besiegt werden können. Zudem habe ich den Eindruck, dass militärische Terrorbekämpfung den Terroristen eher weiteren Zulauf aus radikalisierten Schichten verschafft.

Es wird vor allem auf eine breite internationale Zusammenarbeit ankommen und darauf, das Bündnis im Kampf gegen den Terror zusammenzuhalten. Wer sich dabei auf den Primat der militärischen Option fixiert, wird mehr zerstören als schützen.

Angesichts der tatsächlichen Bedrohung durch den Terrorismus können wir uns nicht in völliger Sicherheit wiegen. Doch dürfen um der Sicherheit willen weder die Freiheit aufgegeben noch die Grundrechte und die Menschenrechtskonventionen ausgehöhlt werden. Wenn der Kampf gegen Terrorismus und Kriegsverbrechen glaubwürdig bleiben soll, darf keine einzelne Nation für ihre Soldaten und Geheimdienstmitarbeiter Immunität beanspruchen.

Die Menschenrechte haben universale Geltung. Das richtet sich auch an die eigene, westliche Adresse. Auf dem amerikanischen Militärstützpunkt Guantanamo auf Kuba werden etwa 600 verdächtige Al-Qaida- und Talibankämpfer unbefristet als Gefangene festgehalten. Gegen sie wurde bisher weder eine Anklage erhoben noch wird ihnen hinreichend rechtlicher Beistand gewährt. Das ist nach Auffassung vieler internationaler Menschenrechtsgruppen mit der Rechtsordnung nicht in Einklang zu bringen. So richtig es ist, dass die an den Ereignisse des 11. September 2001 Schuldigen verfolgt und bestraft werden müssen, so unerlässlich bleibt, dass dies nach den Prinzipien der allgemeinen Menschenrechte geschieht und dass dabei Gerechtigkeit im Vordergrund steht und nicht der Eindruck aufkommt, es gehe dabei um Rache.

Ein Krieg gegen den Irak - erst recht ohne UNO-Mandat - wäre ein Rückschlag für den gesamten Mittleren Osten. Antiwestliche Tendenzen in islamischen Ländern würden sich verstärken.

Das Regime Saddam Husseins, das die ihm bei der Vereinbarung des Waffenstillstands nach dem Golfkrieg 1991 auferlegten Bedingungen bis heute nur teilweise erfüllt hat, ist für gravierende Menschenrechtsverletzungen gegenüber der Bevölkerung des Irak verantwortlich. Geheimdienstquellen zufolge soll Saddam Husein sich - möglicherweise mit Erfolg - bemüht haben, Massenvernichtungswaffen zu entwickeln. Rufen, nach denen die vom Irak ausgehende Gefahr eine präventive Selbstverteidigung mit militärischen Mitteln notwendig mache, ist der Rat der EKD jedoch entschieden entgegengetreten. Wenn überhaupt, dann darf diese nur in Situationen in Betracht gezogen und angedroht werden, in denen ein Angriff unmittelbar bevorsteht. Hierfür bestehen im Fall des Irak keine verlässlichen Anhaltspunkte.

Ein militärisches Einschreiten der USA gegen den Irak hätte keine völkerrechtliche Legitimität. Ein Militärschlag ist nur dann im Einklang mit dem Völkerrecht, wenn er entweder als Maßnahme der kollektiven Sicherheit nach Art. 42 bzw. Art. 53 der UN-Charta, d.h. aufgrund eines Beschlusses des UN-Sicherheitsrates, oder durch das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 UN-Charta gerechtfertigt ist. An diesen beiden Möglichkeiten bestehen in Bezug auf den Irak nicht nur Zweifel in Europa, sondern auch in den USA selber, wie die dortige parlamentarische Diskussion, wie aber auch die zahlreichen öffentlichen Proteste zeigen. Wir wissen uns in dieser Frage in Übereinstimmung mit unseren ökonomischen Partnerkirchen in den USA und der Mehrzahl der amerikanischen und englischen Kirchen.

Insbesondere müssen wir uns die Frage stellen, ob nicht die Androhung von Waffengewalt gegen den Irak die Schwelle für die Rechtfertigung des Einsatzes von Waffengewalt überhaupt herabsetzt. Dies hätte auch Bedeutung für die Zukunft: Konsequenz wäre eine Aushöhlung des Aggressionsverbotes und damit eine Schwächung dessen, was wir schützen wollen. Der Aufruf zur Einhaltung von UN-Charta und UN-Resolutionen wird erheblich entkräftet, wenn der Aufrufende selbst die UN-Charta nur selektiv anwendet. Das friedliche Zusammenleben der Staatengemeinschaft und die Geltung des Völkerrechts kann man am effektivsten dadurch unterstützen, dass man sich selbst an diese Regeln hält. Deshalb ist eine deutsche Beteiligung an einem Präventivkrieg auch aus Gründen der Verfassung und des Strafrechts nicht möglich.

2.2.2 Israel und Palästina: Zukunft gibt es nur gemeinsam

Auch im letzten Jahr hat sich in Israel und in den palästinensischen Autonomiegebieten die Spirale der Gewalt weiter gedreht. Selbstmordattentate auf die israelische Zivilbevölkerung und militärische Vergeltungsschläge der israelischen Armee haben Hunderte von unschuldigen Opfern gefordert. Trauer und Ratlosigkeit kämpfen mit der Hoffnung auf Frieden. Ein normales Leben in den Autonomiegebieten ist unmöglich. Der Schulunterricht fällt auf, die medizinische Versorgung ist katastrophal, Arbeitslosigkeit und der wirtschaftliche Zusammenbruch und damit einher gehend eine langfristige Perspektivlosigkeit sind unübersehbar. Viele der fähigen Köpfe resignieren und wandern aus. Sie werden beim Wiederaufbau fehlen. Auch in Israel sind die Auswirkungen auf das öffentliche Leben schwerwiegend. Viele verängstigte Menschen vermeiden es, so gut sie können, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen. Die wirtschaftlichen Folgen vor allem durch den weitgehenden Zusammenbruch des Tourismus sind katastrophal. Ein Ausweg ist nicht erkennbar. Die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit stumpft allmählich ab, weil sich die Schreckensbilder seit Jahren gleichen.

Beim Besuch der Ratsdelegation in Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten Anfang Februar ist uns von israelischen und palästinensischen Vertretern eindrücklich und überseinstimmend gesagt worden, dass eine Lösung aus eigener Kraft nicht mehr möglich sei. Nur durch den vereinten Druck der UNO, der USA, der Europäischen Union und von Russland sei es möglich, die Konfliktparteien an den Verhandlungstisch zurück zu zwingen.

Überrascht waren wir, dass trotz der materiellen Not, trotz der bedrückenden Besatzungssituation und trotz der täglichen Gewalt sowohl bei unseren palästinensischen als auch bei unseren israelischen Gesprächspartnern die Hoffnung und der Wille zur Versöhnung ungebrochen sind. "Das Wohlergehen des einen Volkes hängt vom Wohlergehen des anderen Volkes ab" - so der ev.-luth. Pfarrer Shehadeh aus Beit Jala. Diese Überzeugung wurzelt in der Vision, dass es nur eine gemeinsame Zukunft beider Völker im Heiligen Land geben kann und dass der Tag kommen wird, an dem das Existenzrecht gegenseitig garantiert und respektiert wird.

Auf diesem Hintergrund der Hoffnung setzen sich christliche Palästinenser ab von der abwegigen "Märtyrer"-Ideologie der Terroristen: "Wir haben dafür kein Verständnis. Für Selbstmordattentate gibt es keine Rechtfertigung", wurde uns gesagt. Getragen von der Vision von einer gerechten und gewaltfreien Zukunft versuchen israelische und palästinensische Menschen und Gruppen, Kontakt zueinander zu halten oder mitten im akuten Konflikt das Gespräch wieder aufzunehmen.

Diese Absicht wurde eindrucksvoll in einem Gespräch mit Prof. Dan Jacobson, einem Vertreter der israelischen Friedensbewegung "Peace Now", bestätigt. Er betonte übrigens, dass für das Überleben und die Sicherheit des israelischen Volkes die Kritik an der jetzigen Regierung und ihrer Politik gegenüber den besetzten Gebieten sowohl im Inland als auch vom Ausland lebensnotwendig sei.

Getragen von der Hoffnung des Glaubens wird an der Abrahamsherberge in Beit Jala (s. Beschluss der Synode von 2001) weitergebaut, werden die Zerstörungen durch das israelische Militär im Frühjahr dieses Jahres an der "Dar-al-Kalima" ("Haus des Wortes")-Schule und -Akademie in Bethlehem beseitigt und wird die Friedenserziehung in den Schulen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und der Westbank (ELCJ) und in der Mädchenschule "Talitha Kumi" konsequent weitergeführt. Übrigens wird die Evangelische Kirche im Rheinland den dortigen Schulleiter Wilhelm Goller und seine Frau für ihre Versöhnungsarbeit mitten im Krisengebiet mit dem diesjährigen Peter-Beier-Preis auszeichnen. Die EKD und ihre Gliedkirchen halten gerade solche Versöhnungsarbeit für besonders wichtig. Deshalb hat die Kirchenkonferenz im Dezember 2001 die Gliedkirchen um besondere finanzielle Unterstützung gebeten, um diesen kirchlichen Einrichtungen über die derzeitige Notsituation hinweg zu helfen.

Wie schnell bei uns angesichts der Konflikte im Nahen Osten die Wogen der Emotionen hochschlagen und alte Vorurteile eine neue Bühne bekommen können, hat der sogenannte Antisemitismusstreit in diesem Frühjahr gezeigt. Wir sind dankbar, dass es im Juli zu einem Gespräch zwischen dem Zentralrat der Juden in Deutschland und dem Rat der EKD gekommen ist, bei dem wir in großer Offenheit neben diesen und anderen innenpolitischen Fragen auch die Lage in Israel und in den palästinensischen Gebieten diskutiert haben. Mit den Vertretern des Zentralrats wissen wir uns nicht nur in der Besorgnis über die äußerst angespannte Situation und im Mitgefühl für alle Opfer in diesem Konflikt einig. Es ist auch gemeinsame Überzeugung, dass kritische Fragen und Widerspruch gegenüber der Politik der demokratisch gewählten israelischen Regierung selbstverständlich geäußert werden können. Doch kommt es dabei auf Sachlichkeit und Verhältnismäßigkeit an, und die Situation Israels in einer politischen Krisenregion und seine Bedrohung durch den Terrorismus müssen dabei besonders beachtet werden. Bei alledem muss aber ganz klar sein, dass Kritiker sich nicht offene oder latente antisemitische Einstellungen zunutze machen dürfen, um daraus im Parteienstreit politisches Kapital zu schlagen.

Antisemitismus ist eine europäische Krankheit, für die wir Deutsche besonders anfällig sind. Vor dieser Krankheit kann sich unsere Gesellschaft nur schützen, wenn sie die Erinnerung wach hält und der nachwachsenden Generation die Einsicht vermittelt, dass unsere freiheitliche Gesellschaft keine Selbstverständlichkeit ist. Barbarei ist nie für immer überwunden. Unsere humane, freie Gesellschaft ist nicht unverletzbar.

Wolfgang Clement hat neulich in seiner Dankesrede zur Verleihung der Josef Neuberger-Medaille gesagt: "Wir müssen (die Jüngeren) zur Erinnerung bewegen, nicht, um sie sprachlos zu machen oder um ihnen Schuldgefühle zu vermitteln. Um der Zukunft willen müssen wir ihnen die Vergangenheit zeigen; um der Zukunft willen müssen wir versuchen, ihre Bereitschaft zu wecken, dass auch sie aus vollem Herzen sagen: 'nie wieder'."


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