Für einen gerechten Frieden statt einen "gerechten Krieg"
Die Evangelische Kirche Deutschland (EKD) veröffentlicht neue Friedensdenkschrift
Aus Gottes Frieden leben - für gerechten Frieden sorgen
24. Oktober 2007
Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten das fordert der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Er widerspricht damit dem alten politischen Grundsatz, dass man den Krieg vorbereiten müsse, wenn man den Frieden wolle. Wirksame Friedenspolitik beruht in der Gegenwart, so der Rat der EKD, auf dem Abbau von Gewalt, dem Ausbau der internationalen Rechtsordnung und der Förderung weltweiter sozialer Gerechtigkeit. Der Dreiklang von Frieden, Recht und Gerechtigkeit wird in der Kurzformel vom "gerechten Frieden" zusammengefasst.
Wie muss unter den gegenwärtigen politischen Bedingungen und zumal nach den Ereignissen des 11. September 2001 das Eintreten für den Frieden aus evangelischer Perspektive aussehen? Vor diesem Hintergrund hatte der Rat der EKD im Jahr 2004 einen entsprechenden Auftrag an die Kammer für Öffentliche Verantwortung erteilt. Der Rat nahm die Ausarbeitung der Kammer, die ihm im Herbst dieses Jahres vorgelegt wurde, einstimmig an und gab sie zur Veröffentlichung frei. Am Mittwoch, 24. Oktober stellten der Vorsitzende des Rates der EKD, Bischof Wolfgang Huber, und der Vorsitzende der Kammer für Öffentliche Verantwortung, Professor Wilfried Härle, in Berlin die Denkschrift vor. Ihr Titel "Aus Gottes Frieden leben für gerechten Frieden sorgen" macht das christliche Selbstverständnis deutlich, dass, wer aus dem Frieden Gottes lebt, für einen gerechten Frieden in der Welt eintreten wird.
Die Denkschrift gliedert sich nach einer Einleitung in vier Teile. Der 1. Teil ("Friedensgefährdungen") analysiert die Ursachen, die derzeit zu einer Gefährdung des politischen Friedens beitragen; neben den sozioökonomischen Problemen werden dabei insbesondere der Zerfall politischer Gemeinschaften ("Staatsversagen"), die Schwächung des Multilateralismus und kulturelle bzw. religiöse Faktoren behandelt. Der 2. Teil wendet sich dem " Friedensbeitrag der Christen und der Kirche" zu: wie sie, aus Gottes Frieden lebend, diesen Frieden bezeugen, für den Frieden bilden, die Gewissen schützen, für Frieden und Versöhnung arbeiten und vom gerechten Frieden her denken. Der 3. Teil ("Gerechter Friede durch Recht") beschreibt die Anforderungen an eine globale Friedensordnung als Rechtsordnung und die Grenzen rechtserhaltenden Gebrauchs militärischer Gewalt. Der 4. Teil schließlich skizziert die "politischen Friedensaufgaben": Die universalen Institutionen müssen gestärkt werden, Europa muss seine Friedensverantwortung wahrnehmen, und es ist notwendig, die Waffenpotenziale abzubauen, hingegen die zivile Konfliktbearbeitung auszubauen.
Klare Leitgedanken verbinden sich in der Denkschrift mit konkreten Handlungsoptionen. So ist etwa mit einer rechtsverbindlichen, internationalen Friedensordnung der Anspruch verknüpft, dass diese Rechtsordnung dem Vorrang ziviler Konfliktbearbeitung verpflichtet ist. Außerdem bindet sie die Anwendung von Zwangsmitteln an strenge ethische und völkerrechtliche Kriterien. Auch die Herausforderung durch den modernen internationalen Terrorismus rechtfertigt keine Wiederbelebung der Lehre vom "gerechten Krieg". Vielmehr bewährt sich gerade in einer solchen Situation die Ausrichtung aller friedenspolitischen Überlegungen an der Leitidee des "gerechten Friedens".
In der neuen Denkschrift wird die Auffassung vertreten, die Drohung mit dem Einsatz nuklearer Waffen sei in der Gegenwart friedensethisch nicht mehr zu rechtfertigen. Doch konnte die Kammer über die friedenspolitischen Folgerungen aus dieser Aussage keine volle Übereinstimmung erzielen.
Der Rat der EKD würdigt die friedenspolitische Rolle Europas und der Europäischen Union (EU). Zugleich warnt er ausdrücklich vor einer Ausweitung der Auslandseinsätze der Bundeswehr. Der Prozess der "Transformation" der bundesdeutschen Streitkräfte in eine Armee im Einsatz wird kritisch betrachtet. Der "Schutz Deutschlands und seiner Bürgerinnen und Bürger" ist eine Aufgabe, die vor allem politisch wahrgenommen werden muss.
Durchgängig hebt die Denkschrift die Notwendigkeit der Prävention hervor; sie erkennt gewaltfreien Methoden der Konfliktbearbeitung einen Vorrang zu; sie betont die wichtige Rolle der zivilen Friedens-, Freiwilligen- und Entwicklungsdienste für die Bewahrung und Förderung eines nachhaltigen Friedens. Mit dieser Grundorientierung bringt die Evangelische Kirche in Deutschland ihre Stimme in die politische und in die ökumenische Diskussion ein. Sie versteht ihre Denkschrift auch als einen Beitrag zu der vom Ökumenischen Rat der Kirchen ausgerufenen Dekade zur Überwindung von Gewalt (2001-2010).
Hannover / Berlin, 24. Oktober 2007
Pressestelle der EKD
Christof Vetter
Im Folgenden dokumentieren wir Vorwort, Einleitung und Schlussteil der Friedensdenkschrift. Der gesamte Text erscheint im November 2007 im Gütersloher Verlagshaus (ISBN 978-3-579-02387-8). Die Denkschjrift kann von der Website der EKD als pdf-Datei heruntergeladen werden:
www.ekd.de
Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen
Eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland
Vorwort
(S. 7-10)
Für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) bildet der Friede
von Anfang an ein herausragendes Thema öffentlicher Verantwortung.
Die Erschütterung über die Verwüstungen des Zweiten
Weltkriegs, Beginn und Verlauf des Ost-West-Konflikts, die Auseinandersetzungen über Wiederbewaffnung und allgemeine Wehrpflicht,
die wechselseitige Abschreckung mit atomaren Waffen und
die wachsende Aufmerksamkeit für den Nord-Süd-Konflikt – all
das waren wichtige Gegenstände kirchlicher Urteilsbildung. Zum
Teil stellten sie die kirchliche Einheit auf harte Proben, wie
insbesondere die Debatte über die Atomwaffen in den ausgehenden
fünfziger Jahren und dann noch einmal in den frühen achtziger Jahren
zeigte. Die Arbeit an diesen Themen führte zu kirchlichen Friedensbeiträgen von bleibender Bedeutung; aus ihnen ragt nach wie
vor die »Ost-Denkschrift« der EKD von 1965 mit ihrer Ermutigung
zu Schritten der Versöhnung heraus. Die auf diesem Weg gewonnenen
Einsichten wurden 1981 in der Denkschrift »Frieden wahren,
fördern und erneuern« zusammenfassend festgehalten.
Seitdem hat sich die weltpolitische Situation grundlegend gewandelt.
Nach dem Ende des Kalten Krieges, der Überwindung
der europäischen Teilung und der Vereinigung der beiden deutschen
Staaten in den Jahren 1989/1990 stellten sich zahlreiche neue
friedensethische und friedenspolitische Herausforderungen. Die
Hoffnung, aus der Überwindung des globalen Konflikts zwischen
den USA und der Sowjetunion ergebe sich eine »friedenspolitische
Dividende«, erfüllte sich nicht. Gewaltsame Auseinandersetzungen
auf dem Balkan, der Zerfall staatlicher Autorität in verschiedenen
Regionen Afrikas und Asiens sowie die Privatisierung der Gewalt
in Händen von Warlords und Bürgerkriegsparteien stellten mit neuer
Dringlichkeit die Aufgabe vor Augen, die Gewalt der Herrschaft
des Rechts zu unterwerfen. Zu den großen Friedensgefährdungen
unserer Zeit zählt insbesondere auch der moderne internationale
Terrorismus. Die Frage ist, wie dieser und anderen akuten Gefahren
für den Weltfrieden auf rechtsförmige, wirksame und nachhaltige
Weise begegnet werden kann.
Die EKD hat auf die neuen friedensethischen Herausforderungen
nach der Wende von 1989/90 mit Orientierungshilfen reagiert,
deren vorläufiger Charakter beabsichtigt war. »Schritte auf dem Weg
des Friedens« war der für eine Orientierungshilfe aus dem Jahr 1994
mit Absicht gewählte Titel. Als »Zwischenbilanz« wurde ein sich
daran anschließender Text »Friedensethik in der Bewährung« aus
dem Jahr 2001 bezeichnet. Ihn verabschiedete der Rat der Evangelischen
Kirche wenige Tage vor den Terroranschlägen des 11. September.
An Beispielen aus Afrika wurde 2002 das Verhältnis von
gewaltsamen Konflikten und ziviler Intervention erörtert. »Richte
unsere Füße auf den Weg des Friedens« hieß der Titel dieser von
der Kammer der EKD für Entwicklung und Umwelt verantworteten
Studie.
Nach dem 11. September 2001 mehrten sich in der kirchlichen
und gesellschaftlichen Öffentlichkeit die Stimmen, die von der EKD
einen neuen grundlegenden Beitrag zur friedensethischen und friedenspolitischen Orientierung erwarteten. Daher beauftragte der Rat
der EKD im Jahr 2004 die Kammer für Öffentliche Verantwortung,
eine solche neue Friedensschrift zu entwerfen. Die Kammer
widmete sich dieser Aufgabe mit großem Engagement, mit Sorgfalt
und Sachkunde. Dabei entstand ein Text, den sich der Rat der
EKD in seiner nüchternen Analyse, seiner fundierten biblisch-theologischen Argumentation und seinem durchgängigen Bezug auf den Leitgedanken des gerechten Friedens gern zu Eigen gemacht hat.
Ich danke den Mitgliedern der Kammer für Öffentliche Verantwortung,
allen voran ihrem Vorsitzenden, Prof. Dr. Wilfried Härle,
und ihrer stellvertretenden Vorsitzenden, Prof. Dr. Eva Senghaas-
Knobloch, sehr herzlich für die geleistete Arbeit.
In Denkschriften soll nach Möglichkeit ein auf christlicher Verantwortung beruhender, sorgfältig geprüfter und stellvertretend für
die ganze Gesellschaft formulierter Konsens zum Ausdruck kommen.
Es ist daher von großer Tragweite, dass die Kammer der EKD
für Öffentliche Verantwortung den Entwurf des vorliegenden Textes
einstimmig verabschieden konnte und dass auch der Rat der
EKD ihn einstimmig bejaht hat. Eigens hervorzuheben ist, dass in
ihm – abweichend von den Heidelberger Thesen des Jahres 1959 –
die Auffassung vertreten wird, die Drohung mit dem Einsatz nuklearer Waffen sei in der Gegenwart friedensethisch nicht mehr zu
rechtfertigen. Über die friedenspolitischen Folgerungen aus dieser
Aussage konnte die Kammer für Öffentliche Verantwortung keine
letzte Übereinstimmung erzielen. Doch dass ein ethischer Konsens
unterschiedliche Abwägungen hinsichtlich seiner politischen Konsequenzen
zulässt, ist nicht ungewöhnlich. Umso bemerkenswerter
ist, in wie hohem Maß diese Denkschrift auch in den konkreten
Folgerungen zu gemeinsamen Festlegungen kommt.
Übereinstimmend werden in dieser Denkschrift Grundsätze und
Maximen vertreten, die ebenso einfach wie überzeugend sind: Wer
den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten. Wer aus dem Frieden
Gottes lebt, tritt für den Frieden in der Welt ein. Gerechter
Friede in der globalisierten Welt setzt den Ausbau der internationalen
Rechtsordnung voraus. Staatliche Sicherheits- und Friedenspolitik
muss von den Konzepten der »Menschlichen Sicherheit« und
der »Menschlichen Entwicklung« her gedacht werden.
Diese klaren Leitgedanken verbinden sich mit konkreten und
spezifischen Handlungsoptionen. So ist etwa mit der geforderten
Rechtsförmigkeit einer internationalen Friedensordnung der Anspruch
verknüpft, dass diese Rechtsordnung dem Vorrang ziviler
Konfliktbearbeitung verpflichtet ist und die Anwendung von
Zwangsmitteln an strenge ethische und völkerrechtliche Kriterien
bindet. Auch die Herausforderung durch den modernen internationalen
Terrorismus rechtfertigt deshalb keine Wiederbelebung der
Lehre vom »gerechten Krieg«. Vielmehr bewährt sich gerade in einer
solchen Situation die Ausrichtung aller friedenspolitischen Überlegungen
an der Leitidee des »gerechten Friedens«.
Durchgängig wird in der Denkschrift die Notwendigkeit der Prävention
hervorgehoben; gewaltfreien Methoden der Konfliktbearbeitung
wird der Vorrang zuerkannt; den zivilen Friedens- und
Entwicklungsdiensten wird für die Wiederherstellung, Bewahrung
und Förderung eines nachhaltigen Friedens eine wichtige Rolle zugeschrieben.
Mit dieser Grundorientierung bringt die Evangelische
Kirche in Deutschland ihre Stimme in die politische wie in die
ökumenische Diskussion ein. Sie versteht diese Denkschrift auch
als einen Beitrag zu der vom Ökumenischen Rat der Kirchen ausgerufenen
Dekade zur Überwindung von Gewalt (2001–2010).
»Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.«
Mit diesem biblischen Segenswort schließt der evangelische Gottesdienst.
Der Friede Gottes bildet Grund und Horizont allen
menschlichen Bemühens um den Frieden. Dieser Geist bestimmt
die vorliegende Denkschrift; in diesem Geist erhoffe ich für sie eine
breite öffentliche Aufnahme.
Hannover, im Oktober 2007
Bischof Prof. Dr. Wolfgang Huber
(Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland)
Einleitung
(S. 11-13)
(1) Friede ist keine Selbstverständlichkeit. Ihn zu wahren, zu fördern
und zu erneuern, ist eine immerwährende Aufgabe.[1] Nach
dem Ende des Ost-West-Konflikts und der militärisch aufgeladenen
Blockkonfrontation öffnete sich der Horizont für Verständigung
und Kooperation. Die großen Weltkonferenzen in den 1990er
Jahren zeugen von umfassenden Bemühungen um gemeinsame
normative und politische Grundlagen in verschiedenen Politikfeldern.
Der in der christlichen Ethik unauflösliche Zusammenhang
von Frieden und Gerechtigkeit, der sich im Leitbild des »gerechten
Friedens« begrifflich artikuliert, wurde und wird in vielfältigen Foren
diskutiert und politisch formuliert. An diesem Leitbild orientiert
sich die Hoffnung auf einen dauerhaften irdischen Frieden.
(2) Zugleich sind seit 1989/90 aber auch neue Friedensgefährdungen
und Konfliktlinien sichtbar geworden: Es bilden sich nicht nur
neue globale Strukturen heraus; gleichzeitig zerfallen Staaten. Weltweite Netze werden aufgebaut; gleichzeitig erhöht sich die Verletzlichkeit von Menschen, Staaten und Gesellschaften. Die Machtkonstellationen auf der internationalen Ebene verschieben sich und
militärische Mittel erfahren erneut Bedeutungszuwachs; gleichzeitig
zeigt sich militärische Ohnmacht angesichts politischer Aufgaben
einer dauerhaften Friedenssicherung.
(3) Vermehrte globale Verflechtungen erhöhen – wenn auch meist
auf asymmetrische Weise – wechselseitige Abhängigkeiten. Politische
Steuerung bedarf gesteigerter Abstimmung und Umsicht. Einfache
Vorstellungen von friedenspolitischer Machbarkeit erweisen
sich als unrealistisch. Sie prallen an der Eigenart je besonderer Konfliktsituationen ab und müssen sich zudem mit nicht beabsichtigten
Folgen von Interventionen auseinandersetzen. Umgekehrt hat
auch unterlassene Hilfeleistung Folgen, die die wohlhabenden Länder
zum Beispiel in Gestalt von Migration aus verarmten Zonen
und neuen Gewaltkonflikten einholen.
(4) Nie zuvor in der Geschichte sind räumliche Entfernungen durch
Kommunikationsmedien und Technologien so stark relativiert worden,
doch bilden sich neue gewaltträchtige Konflikte entlang kultureller
und religiöser Begegnungslinien. In dieser komplexen Situation
ist das institutionelle Geflecht der Vereinten Nationen (sowie
anderer internationaler Organisationen und zivilgesellschaftlicher
Initiativen) von großer Bedeutung, ihr Potenzial wird aber durch
ein an partikularen Interessen orientiertes Denken und entsprechendes
politisches Handeln geschwächt.
(5) Diese Schrift geht davon aus, dass in einer dichter vernetzten
Welt kooperatives Handeln zwischen Staaten und Gesellschaften
unabdingbar geworden ist. Im ersten Kapitel werden die Friedensgefährdungen der Gegenwart knapp skizziert. Sie bilden die Folie, auf der im zweiten Kapitel der biblisch begründete Beitrag der Christenmenschen und Kirchen für den Frieden in der Welt entfaltet
wird. Dazu gehören der Verkündigungsauftrag ebenso wie Bildung
und Erziehung, Schutz und Beratung der Gewissen, Arbeit für Versöhnung
und eine Entfaltung des Leitbildes vom gerechten Frieden.
(6) In der ökonomisch zerklüfteten sowie politisch und kulturell
pluralen Weltgesellschaft bedarf die Annäherung an eine dauerhafte
Friedensordnung mehr denn je solcher Instrumente und Prinzipien
des Rechts, die ihrerseits orientiert sind an der Vorstellung
eines gerechten Friedens. Die aus dem Leitbild des gerechten Friedens
folgenden Anforderungen an eine globale Friedensordnung
als Rechtsordnung werden im dritten Kapitel entwickelt. Dies
schließt eine Ethik rechtserhaltender Gewalt für die internationale
Sphäre ein, welche auch die Grenzen militärischen Gewaltgebrauchs
markiert. Indem sich die christliche Kirche die Perspektive der Friedensordnung als Rechtsordnung aneignet, macht sie sich selbst zu
einer Anwältin des gerechten Friedens.
(7) Das vierte Kapitel widmet sich konkreten friedenspolitisch relevanten Gestaltungsfeldern, wie sie sich aus der Darstellung der
Friedensgefährdungen (Kapitel 1) und den friedens- und rechtsethischen
Anforderungen (Kapitel 2 und 3) ergeben. Hervorgehoben
werden die Aufgaben der Stärkung universaler multilateraler
Institutionen und – damit verbunden – der Wahrnehmung von
Europas friedenspolitischer Verantwortung. Orientiert an der Würde
des Menschen sind die konkreten Schritte auf dem Weg zu gerechtem
Frieden an den tatsächlichen Lebensbedingungen der einzelnen
Menschen auszurichten. Institutionen und Handlungsweisen
müssen sich daran messen lassen, ob sie einen Zugewinn für die
Sicherheit [2] der Menschen (im Sinne des Konzepts »Menschliche
Sicherheit«) vor Gewalt, Unfreiheit und Not darstellen, Entfaltungsmöglichkeiten der Einzelnen fördern, kulturelle Vielfalt anerkennen und damit zu friedensfördernden sozialen Beziehungen weltweit
beitragen. Dies sind die an Gewaltvorbeugung orientierten
Aufgaben, die mit einer weitsichtigen Friedenspolitik verbunden
sind und so dem Leitbild des gerechten Friedens dienen.
Fußnoten-
»Frieden wahren, fördern und erneuern« (Gütersloh 1981) lautet der Titel der bisher einzigen explizit als »Friedensdenkschrift« bezeichneten friedensethischen Grundsatzäußerung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
-
In ökumenischen Kontexten, etwa in neueren Dokumenten der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK), wird betont, dass aus christlicher Sicht eine umfassende und absolute Sicherheit niemals zu gewinnen sei. Das menschliche Leben sei vielmehr immer mit Verletzlichkeit und Verwundbarkeit (»vulnerability«) verbunden. Friede und Gewaltfreiheit müssten deshalb immer auch riskiert werden. Damit wird nicht dem Konzept der »menschlichen Sicherheit« widersprochen, es wird aber aus einer anderen, zusätzlichen Perspektive in den Blick genommen.
Schluss
(S. 124-125)
(194) Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten. Der
Wunsch nach Frieden ist stärker als je zuvor in den erklärten Zielsetzungen wichtiger Institutionen der internationalen Gemeinschaft
und in der deutschen Gesellschaft verankert. Die beobachtbare
Abnahme der Zahl und Opfer von Kriegen und Gewaltkonflikten,
insbesondere solcher von höchster Intensität, gibt Hoffnung, dass
eine erhöhte friedenspolitische Aufmerksamkeit und entsprechend
verstärkte Bemühungen tatsächlich Frieden auf der Welt befördern
können. Friede ist keine Selbstverständlichkeit, aber möglich und
kostbar.
(195) Wer aus dem Frieden Gottes lebt, tritt für den Frieden in der
Welt ein. Das christliche Friedenszeugnis konkretisiert sich in Verkündigung und Gottesdienst, in Bildung und Erziehung, im Eintreten
für das Grundrecht der Gewissensfreiheit, für Versöhnung
statt Vergeltung und für einen gerechten Frieden als Leitbild einer
kooperativen Weltordnung. Friede ist ein – immer erneut zu gewährleistender – Prozess der Förderung der Freiheit, des Schutzes
vor Gewalt, des Abbaus von Not und der Anerkennung kultureller
Verschiedenheit. Er basiert auf der Fähigkeit, unausweichliche Konflikte
konstruktiv bearbeiten zu können. Die Einübung in diese
Fähigkeit beginnt im alltäglichen Leben der Menschen. Vertrauensbildung
und Verständigungsversuche sind Wege dazu.
(196) Gerechter Friede in der globalisierten Welt setzt den Ausbau
der internationalen Rechtsordnung voraus. Sie muss dem Vorrang
ziviler Konfliktbearbeitung verpflichtet sein und die Anwendung
von Zwangsmitteln an strenge ethische und völkerrechtliche Kriterien
binden. Menschenrechte und Demokratie müssen in den lokalen
Traditionen verankert sein oder zumindest zwanglos mit ihnen
verbunden werden können. Jede noch so wohlgemeinte
Intervention in Gewaltkonflikte von außen muss das beachten. Auch
neue Herausforderungen wie der internationale Terrorismus rechtfertigen
keine Wiederbelebung der Lehre vom »gerechten Krieg«;
ihnen kann und muss vielmehr im Rahmen des Regelwerks der
UN begegnet werden.
(197) Staatliche Sicherheits- und Friedenspolitik muss von den
Konzepten der »Menschlichen Sicherheit« und der »Menschlichen
Entwicklung« her gedacht werden. Diese Konzepte sollten zu Prüfkriterien
auch für friedenspolitische Stimmigkeit und Folgenabschätzung
in verschiedenen Politikfeldern werden. Ohne Beachtung der
Sicherheitsbedürfnisse der Menschen jenseits der Konfliktlinien hat
Friedenspolitik keine Basis. Ohne Beachtung der Interessen der je
Anderen können sich Vertrauen und Zusammenarbeit nicht entwickeln.
Daher dürfen Sicherheitsvorkehrungen im Interesse eines
Landes – insbesondere militärische – nicht an die Stelle kooperativer
Bemühungen um Frieden treten. Auch bewaffneter Schutz für
Gruppen, die unter Gewaltkonflikten leiden, darf diese Perspektive
nachhaltigen Friedens nicht aus den Augen verlieren. Frieden
zu bezeugen und für Versöhnung auch dort zu arbeiten, wo Misstrauen,
Gewalt und Unterdrückung herrschen, gehört unabdingbar
zu den Aufgaben der Christen. Die Kirche Jesu Christi ist dazu
berufen.
Quelle: Website der EKD; http://www.ekd.de/download/ekd_friedensdenkschrift.pdf
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