Politik muß Vorrang vor militärischen Maßnahmen zur Konfliktlösung haben
Rat der EKD legt Zwischenbilanz "Friedensethik in der Bewährung" vor
Am 17. Oktober 2001 legte die Evangelische Kirche Deutschland (EKD) eine "Zwischenbilanz" ihrer Diskussion um friedensethiasche Grundpositionen vor, die wir im Folgenden nach dem Text der EKD-Pressemitteilung dokumentieren.
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) zieht eine
Zwischenbilanz ihrer nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation
entwickelten friedensethischen Grundpositionen und betont dabei
nachdrücklich den Vorrang der Politik vor militärischen Maßnahmen
zur Konfliktlösung. Die vom Rat der EKD heute (17. Oktober)
vorgelegte Schrift „Friedensethik in der Bewährung“ knüpft an die
Orientierungspunkte „Schritte auf dem Weg des Friedens“ von 1994
an. In dem wenige Tage vor den massiven Terroranschlägen gegen
die Vereinigten Staaten von Amerika verabschiedeten Text
kommen auch die sich in den nächsten Jahren stellenden friedens-
und sicherheitspolitischen Herausforderungen in den Blick.
Während Kriege zwischen Armeen von Staaten weiter an Bedeutung
verlieren, nehmen gewaltsame innerstaatliche Konflikte an Zahl,
Dauer und Intensität stark zu. In ihrer Stellungnahme bezweifelt
die EKD, ob militärische Gewalt geeignet ist, solche Konflikte zu
beenden, die Beachtung grundlegender Menschenrechte zu
gewährleisten „und eine dauerhaft friedensförderliche politische
Ordnung zu schaffen“. Eine technisch noch so hervorragend
ausgestattete Armee erreiche dabei keine nachhaltigen Erfolge.
„Das gilt insbesondere dann, wenn sie es mit kleinen beweglichen
Widerstandsgruppen (Rebellen, Terroristen) und mit einer
Auseinandersetzung zwischen verfeindeten Ethnien zu tun hat.“
In der Konsequenz dessen schreibt der EKD-Ratsvorsitzende Präses
Manfred Kock in seinem nach den Terrorattacken vom 11.
September verfassten Vorwort, der Vorrang der Politik vor dem
Einsatz militärischer Gewalt sei „auch für die Abwehr der
terroristischen Gefährdung von Bedeutung“. Die
Terrorismusbekämpfung müsse sich nicht in erster Line auf
militärische Mittel, sondern auf „eine Kombination politischer,
wirtschaftlicher, polizeilicher, geheimdienstlicher und möglicherweise
auch militärischer Maßnahmen“ stützen. Das gesamte politische
Handeln sei auf die Überwindung friedensgefährdender Konflikte,
wie vor allem in Israel und Palästina, und die Schaffung einer
gerechteren internationalen Ordnung auszurichten. Dies biete
„immer noch die besten Aussichten, Hass und Fanatismus als den
gefährlichsten Brutstätten für terroristische Bewegungen das Wasser
abzugraben“, erklärt Präses Kock.
Der Anstoß zur Erarbeitung von „Friedensethik in der Bewährung“
durch die Kammer der EKD für Öffentliche Verantwortung war nach
dem Kosovo-Krieg 1999 gegeben worden, der die veränderte
friedenspolitische Lage offenkundig machte. Die politischen
Konsequenzen der Terrorangriffe gegen die Vereinigten Staaten
von Amerika sind nach den Worten des EKD-Ratsvorsitzenden Kock
„noch in keiner Weise absehbar“. Daher sei es „erst recht
geboten“, der Stellungnahme den Charakter einer Zwischenbilanz
zu geben. Erst die nächsten Jahre könnten zeigen, „ob die
bisherigen friedensethischen Grundsätze und Konzepte einer
tiefgreifenderen Veränderung bedürfen“.
Der neue Friedenstext der EKD gliedert sich in drei Teile:
1. Ein kurzer einleitender Teil skizziert die wichtigsten
Veränderungen in der friedenspolitischen Lage und der
friedensethischen Diskussion seit 1994. Darin wird die Einschätzung
zurückgewiesen, die friedensethischen Orientierungspunkte von
1994 hätten sich im Kosovo-Krieg als unergiebig erwiesen. „Der
damalige friedenspolitische Ansatz ist weiterhin tragfähig und
überzeugend. Die friedensethischen Grundsätze verdienen es, auch
jetzt zur Geltung gebracht zu werden.
2. Der Text knüpft im zweiten Teil ausdrücklich an die 1994
aufgestellten ethischen Grundsätze an und nimmt in fünf Punkten
notwendige Unterstreichungen und Verdeutlichungen vor.
-
Die EKD orientiert sich ebenso wie die römisch-katholische
Kirche am Leitbild eines gerechten Friedens. Dem entspricht
ein erweiterter Sicherheits- und Friedensbegriff, der unter
anderem rechtsstaatliche, ökonomische, soziale und
kulturelle Komponenten beinhaltet.
- Nicht-militärische Instrumente haben bei der Aufgabe der
Friedenssicherung Vorrang gegenüber militärischen Mitteln.
Dabei ist etwa an politische und diplomatische Maßnahmen
ebenso zu denken wie an Bemühungen um gerechtere
weltwirtschaftliche Verhältnisse, den Schutz der natürlichen
Lebensgrundlagen oder wirtschaftliche, soziale und kulturelle
Kooperation.
- Die Institutionen der zivilen Konfliktbearbeitung sind
auszubauen. Deshalb werden die christlichen zivilen
Friedensdienste durch die EKD gefördert und begleitet.
Die internationale Friedensordnung bedarf einer Stärkung
als Rechtsordnung. Das Statut eines Ständigen
Internationalen Strafgerichtshofes ist dafür ein wichtiger
Schritt. Es signalisiert, dass bei schwersten internationalen
Verbrechen niemand mehr auf Straffreiheit setzen kann.
- Der Einsatz militärischer Gewalt bleibt im Rahmen einer als
Rechtsordnung zu verstehenden internationalen
Friedensordnung eine "äußerste Möglichkeit" („ultima
ratio“).
3. Der Text geht schließlich auf notwendig gewordene Ergänzungen
und Weiterführungen der evangelischen Friedensethik ein.
-
So setzt er sich zum Beispiel für eine Reform der Vereinten
Nationen ein, damit diese im Blick auf die Ausübung eines
allseits respektierten übernationalen „Gewaltmonopols“ zur
Sicherung des Friedens leistungsfähiger werden.
- Die EKD beleuchtet auch das neue strategische Konzept der
NATO. Es enthält nach ihrer Auffassung eine Reihe zu weit
gefasster und unbestimmter Aussagen über
„Sicherheitsinteressen des Bündnisses“ und „Risiken
umfassender Natur“.
- Ferner rechnet die EKD mit der Möglichkeit eines Wegfalls
oder eines Aussetzens der Wehrpflicht. Sie fordert dazu auf,
die spezifischen Aufgaben der Bundeswehr vor diesem
Hintergrund zu überdenken.
- Bedenken äußert der Text im Blick auf die
verfassungsrechtliche Situation: Die Bundeswehr, vom
Grundgesetz als „Streitkräfte zur Verteidigung“ definiert,
darf eigentlich nur ausnahmsweise im Rahmen eines
Militärbündnisses anderweitig eingesetzt werden. Dieser
Ausnahmefall sei jedoch zum Regelfall geworden. Die
Unterschiede „zwischen einem System kollektiver
Verteidigung und kollektiver Sicherheit“ werden verwischt.
Hannover, den 17. Oktober 2001
Pressestelle der EKD
Der Text „Friedensethik in der Bewährung“ ist als Anhang zu der Schrift
„Schritte auf dem Weg des Friedens“ konzipiert und deshalb Bestandteil
der 3., erweiterten Auflage dieser Schrift (EKD-Texte 48).
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