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Kindersoldaten: keine Verbesserung der Situation

Kinder und Jugendliche in mindestens 20 Ländern an der Front. Weltbericht 2004 vorgelegt

Eine Koalition führender Kinder- und Menschenrechtsorganisationen legte am 17. November den "Weltbericht 2004" über Kindersoldaten vor. Hierzu dokumentieren wir im Folgenden eine Presseerklärung der Organisation "terre des hommes" Deutschland (www.tdh.de) sowie ein Statement von Andreas Rister hierzu. Die deutsche Version des Berichts ist als pdf-Version hier herunterzuladen:

Weltreport 2004



Pressemitteilung

Neuer Weltbericht zu Kindersoldaten

Berlin, 17.11.2004 - Trotz internationaler Ächtung werden gegenwärtig in mindestens 20 Kriegen und bewaffneten Konflikten Kinder als Soldaten eingesetzt. Dies ist Ergebnis des »Weltreport Kindersoldaten«, der von einer Koalition führender Kinder- und Menschenrechtsorganisationen vorgelegt wurde.

In mindestens 20 Ländern, in denen zwischen 2001 und 2004 bewaffnete Auseinandersetzungen oder Kriege stattfanden, kämpften Kinder aktiv an der Front. Darunter sind Afghanistan, Angola, Burundi, Demokratische Republik Kongo, Kolumbien, Elfenbeinküste, Guinea, Indien, Irak, Israel/palästinensische Autonomiegebiete, Indonesien, Liberia, Myanmar (Burma), Philippinen, Russische Federation, Ruanda, Sri Lanka, Somalia, Sudan und Uganda.

Die meisten Kindersoldaten wurden von Rebellenarmeen für den Kampf gegen die Regierung rekrutiert. Allerdings unterstützen Regierungen häufig paramilitärische Gruppen und Milizen, die Kinder in den Kampf schicken oder sie zu Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung anstacheln. Auch scheuen einige Regierungen nicht vor der bewussten Anwerbung oder sogar Zwangsrekrutierung von Kindern und Jugendlichen zurück. Der UN-Sicherheitsrat hat zwar wiederholt den Missbrauch von Kindern als Soldaten verurteilt, doch wurden lediglich gegen sechs Staaten Maßnahmen ergriffen, fünf davon in Afrika.

Nach dem Ende der Kriege in Afghanistan, Angola und Sierra Leone wurden in den letzten drei Jahren schätzungsweise 40.000 Kindersoldaten demobilisiert. Gleichzeitig aber wurden Tausende Kinder in den Konflikten an der Elfenbeinküste, Sudan und Liberia neu rekrutiert.

Rasch wechselnde Konfliktsituationen und die Tatsache, dass viele Kinder in Gebieten kämpfen, die von Hilfsorganisationen aus Sicherheitsgründen nicht erreicht werden können, erschweren allerdings die Ermittlung exakter Zahlen der Kinder im Kriegseinsatz.

»Eine Welt ohne Kindersoldaten ist möglich, die ersten Schritte sind getan. Noch aber fehlt oft der politische Wille. Regierungen in aller Welt müssen den Mut aufbringen, für die internationalen Schutzbestimmungen einzutreten und sie auch selbst umzusetzen«, fordert Andreas Rister von terre des hommes, Sprecher der Deutschen Koordination Kindersoldaten, in der sich amnesty international, Deutsches Komitee für Unicef, Kindernothilfe e.V., Lutherischer Weltbund, medico international, Missio, terre des hommes Deutschland e.V., Netzwerk Afrika, World Vision Deutschland zusammen geschlossen haben.

Seit 2002 verbietet ein Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention den Kriegseinsatz von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren. Bis heute hatten 116 Staaten das Abkommen unterzeichnet, 87 hatten es ratifiziert. Trotz Unterschrift oder sogar Ratifikation werden aber in manchen Staaten weiter Kinder eingesetzt, zum Beispiel in der Demokratischen Republik Kongo, Liberia, Ruanda, Uganda in Afrika oder Afghanistan, Philippinen und Sri Lanka in Asien.

»Der Weltbericht weist nach, dass an fast jedem größeren aktuellen Konflikt Kinder beteiligt sind. Sie werden zu harter Arbeit, Plünderungen, Gewalt, Vergewaltigung und Mord gezwungen. Sie werden verletzt und getötet, Gegen diese eklatanten Kinderrechtsverletzungen muss entschiedener vorgegangen werden.« erläutert Barbara Dünnweller von der Kindernothilfe.

UNICEF-Sprecher Rudi Tarneden. »Kindersoldaten sind Opfer und Täter zugleich. Friedensvereinbarungen müssen grundsätzlich Hilfsprogramme zur Demobilisierung und Wiedereingliederung beinhalten. Hierzu ist mehr politischer Druck und finanzielle Unterstützung der internationalen Gemeinschaft nötig.«

Die Coalition fordert von der EU und dem UN-Sicherheitsrat eindringlich, das Verbot des Einsatzes von Kindersoldaten durchzusetzen. Darüber hinaus fordert Susanne Baumann von amnesty international: » Diejenigen, die Kinder rekrutieren, sollten vor dem Internationalen Gerichtshof angeklagt werden«.

Die Deutsche Koordination Kindersoldaten ist der Zusammenschluss deutscher Kinderhilfswerke, humanitärer und Menschenrechtsorganisationen innerhalb der internationalen »Coalition to Stop the Use of Child Soldiers«.

»Child Soldiers Global Report«

Statement von Andreas Rister

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich möchte mit einer Geschichte beginnen, die mir im Sommer dieses Jahres von einem 15-jährigen Mädchen in Bogotá geschildert wurde. Sie gehört zu den etwa drei Millionen internen Vertriebenen in diesem Land, die in den Elendsvierteln der großen Städte zu überleben versuchen, weil auf dem Land die bewaffneten Bürgerkriegsparteien das Leben zur Hölle machen. Getroffen habe ich sie in einem der von terre des hommes Deutschland seit Jahren unterstützten Projekte, die von Vertriebenen gegründet wurden, um anderen Vertriebenen zu helfen.

Die Familie von Christina kommt aus dem Bundesland Valle de Cauca. Die Familie hatte dort eine Finca, sie lebten in einer für kolumbianische Verhältnisse guten Situation: Jedes der Kinder hatte ein eigenes Zimmer, die Kinder waren in der Woche in der Kreisstadt auf dem Colegio, am Wochenende in der Finca.

Im Jahr 2000 kam eine bewaffnete Gruppe auf die Finca und verlangte unter Drohungen Lebensmittel, eine Kuh wurde geschlachtet. Danach kamen sie immer öfter, bis nichts mehr da war.

Als nächstes wollten sie, dass die beiden ältesten Kinder, also auch Christina, mitkommen sollten. Der Vater holte die Kinder sofort aus dem Colegio, sagte ihnen, sie würden nach Bogotá in die Ferien fahren und lieferte sie bei Verwandten ab. Er selbst kam einen Monat später nach und sagte, sie wären bankrott, er hätte die Finca und alles andere verkaufen müssen. Seitdem leben sie in dem Elendsviertel und der Vater muss sich als Nachtwächter durchschlagen. Ich habe in Kolumbien viele solcher Lebensgeschichten gehört. Man muss begreifen: Wenn in einem Land Kinder als Soldaten rekrutiert werden, trifft das alle Kinder. Familien werden in Angst und Schrecken versetzt, sodass sie lieber ihre gesamte Existenz aufs Spiel setzen, als dass sie ihre Kinder den bewaffneten Gruppen – oder auch dem Staat – überlassen.

Die internationale »Coalition to Stop the Use of Child Soldiers« veröffentlicht heute ihren zweiten Weltreport. Die wichtigsten Ergebnisse:
In mindestens 20 Ländern, in denen zwischen 2001 und 2004 bewaffnete Auseinandersetzungen oder Kriege stattfanden, kämpften Kinder aktiv an der Front. Der UN-Sicherheitsrat hat zwar wiederholt den Missbrauch von Kindern als Soldaten verurteilt, doch wurden lediglich gegen sechs Staaten Maßnahmen ergriffen, fünf davon in Afrika.

Nach dem Ende der Kriege in Afghanistan, Angola und Sierra Leone wurden in den letzten drei Jahren schätzungsweise 40.000 Kindersoldaten demobilisiert. Gleichzeitig aber wurden Tausende Kinder in den Konflikten an der Elfenbeinküste, Sudan und Liberia neu rekrutiert.

Rasch wechselnde Konfliktsituationen und die Tatsache, dass viele Kinder in Gebieten kämpfen, die von Hilfsorganisationen aus Sicherheitsgründen nicht erreicht werden können, erschweren die Ermittlung exakter Zahlen der Kinder im Kriegseinsatz.
In diesem Weltreport finden Sie die Ergebnisse von 18 Monaten Recherche, zu der viele hundert Partnerorganisationen der Coalition beigetragen haben.

Die Coalition wurde 1998 gegründet, um einen wirksamen völkerrechtlichen Schutz der Kinder vor Rekrutierung zu erreichen. Diese Ziel konnte im Jahr 2000 mit dem Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention über die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten erreicht werden. Der Weltreport zeigt, welche Staaten sich inzwischen zu diesem internationalen Standard bekennen, ob sie sich auch daran halten und welche Staaten noch zu überzeugen sind.

Das Zusatzprotokoll ist sehr wichtig für die Durchsetzung der Ziele der Coalition, aber nicht die einzige Methode, Kinder besser zu schützen. Ebenso wichtig ist die internationale Bewusstseinskampagne, die das weltweite Netzwerk durchführt.
Bei all dem darf nicht vergessen werden, wer eigentlich die Verantwortung trägt. Um es deutlich zu sagen: Schutz und Hilfe für Kinder, die in Gefahr sind, als Kanonenfutter in den Kriegen der Erwachsenen verheizt zu werden, muss von den Regierungen kommen. Dies heißt zunächst einmal, dass die Regierungen selbst keine Kinder mehr für ihre Armeen anwerben oder - wie es in einigen besonders krassen Fällen, zum Beispiel in Myanmar/Burma immer noch geschieht, sogar zwangsweise rekrutieren. Der Report listet mehr als 20 Kriege und Konflikte auf, in denen die Regierungen entweder nicht willens oder nicht in der Lage sind, diesen Missbrauch ihrer eigenen Kinder zu verhindern. Unser wichtigster Appell richtet sich daher an die Regierungen, die Rekrutierung von Kindern in ihrem Land zu verhindern, bereits rekrutierte Kinder zu befreien, ehemalige Kindersoldaten als Verbrechensopfer und nicht als Täter zu behandeln und ihnen die Rückkehr und Integration in ihre Gesellschaft zu ermöglichen.

In zweiter Linie ist die internationale Gemeinschaft gefragt, denn der Weltsicherheitsrat hat festgestellt, dass die Rekrutierung von Kinder eine Gefahr für die internationale Sicherheit darstellt. Deswegen hat er sich bereits seit 1999 jedes Jahr mit dieser Frage auseinandergesetzt und Resolutionen verabschiedet. Die letzte dieser Resolutionen verlangt Maßnahmen der internationalen Staatengemeinschaft gegen Regierungen, die sich nicht an die internationalen Normen halten. Die Coalition wurde in den letzten Jahren bei der Erarbeitung dieser Resolutionen zu Rate gezogen und auch unser Weltreport hat unter anderem den Zweck, bessere Entscheidungsgrundlagen für den UN-Sicherheitsrat zu bieten. Um so bedauerlicher ist, dass wesentliche Mitglieder des Rates selbst das Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention über die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten noch nicht ratifiziert haben; wir haben eine entsprechende Kampagne gestartet. Und noch weitergehend: es gibt im Sicherheitsrat auch Widerstände, dass die Verantwortlichen für Rekrutierungen von Kindersoldaten verhaftet und vor den Internationalen Strafgerichtshof gebracht werden. Unser zweiter Appell ist daher an die internationale Gemeinschaft gerichtet: Es muss mehr getan werden, um den geltenden völkerrechtlichen Normen zum Durchbruch zu verhelfen.

Wir haben die unterstützenden Worte des Bundespräsidenten gehört, wir sind sehr erfreut über diese Hilfe und hoffen, dass sich auch die Bundesregierung in Zukunft in diesem Bereich noch stärker engagiert. Immerhin wurde im September, nach langem Hin und Her das Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention über die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten vom Bundestat ratifiziert, leider nicht in der von uns gewünschten eindeutigen Form, die eine Anwerbung von unter 18-Jährigen ausgeschlossen hätte. Unser dritter Appell an unsere eigene Regierung: Tun Sie mehr um Kindersoldaten zu helfen! Das gilt im Übrigen auch für die hier im Lande befindlichen ehemaligen Kindersoldaten, die kein Asyl bekommen. terre des hommes hat dazu im letzten Jahr eine Untersuchung herausgegeben.

Natürlich sind auch die großen und kleinen Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen in der Pflicht, ihren Teil beizutragen. Hier am Tisch sitzen Vertreter solcher Organisationen, sie leisten praktische Arbeit in den Kriegs- und Krisengebieten, versuchen wie wir von terre des hommes durch präventive Projekte, die Rekrutierung von Kindern zu verhindern, kümmern sich aber auch um die Rehabilitation und Reintegration von ehemaligen Kindersoldaten. Genauso wichtig ist es aber, den Skandal des Missbrauchs von Kindern als Soldaten öffentlich zu machen, eine weltweite Kampagne durchzuführen, und wir können als besonders wichtigen Erfolg verbuchen, dass sich gerade in den Regionen, in denen Kinder rekrutiert werden, Menschen für unsere Ziele engagieren.

Abschließend eine Botschaft von Graça Machel, der Lebensgefährtin von Nelson Mandela. Sie hat die große UN-Studie zu Kindern in bewaffneten Konflikten erstellt und ist damit eine der wichtigsten Personen auf internationaler Szene. Im Vorwort des Weltreports schreibt sie:

»An alle Akteure in Familien, Regierungen und der Zivilgesellschaft, einschließlich der Mitglieder der Coalition to Stop the Use of Child Soldiers, in der ganzen Welt: Eure Entschlossenheit, den Einsatz von Kindersoldaten zu beenden, eure Beharrlichkeit und vorbehaltlosen Bemühungen angesichts ernster Bedrohungen sind leuchtende Beispiele dafür, was wahre Menschlichkeit und Engagement bedeuten. Ihr steht für die Kraft der Hoffnung und die Überzeugung, dass wir gemeinsam eine Welt schaffen, in der Kinder in Liebe, Würde und Frieden aufwachsen können.«

Ich würde mich freuen, wenn auch Sie in ihren Artikeln auf diese mutigen Menschen eingehen würden, die sich in aller Welt oft unter großen Risiken dafür einsetzen, dass keine Kinder mehr als Soldaten missbraucht werden.

Quelle: Homepage von terre des hommes, www.tdh.de


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