Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Mein Leben als Kindersoldatin"

Pressemitteilung von UNICEF zum Weltkindertag

China Keitetsi aus Uganda berichtet über ihre Kriegserfahrungen
20. September 2002


Erstmals hat eine ehemalige Kindersoldatin ihre Erfahrungen in einem Buch aufgeschrieben. Am Weltkindertag (20.9.) erscheint die Biographie von China Keitetsi „Sie nahmen mir die Mutter und gaben mir ein Gewehr“ im Ullstein Verlag. China Keitetsi wurde mit neun Jahren von Rebellenkämpfern im Westen Ugandas aufgegriffen, zur Soldatin ausgebildet und in den Kampf geschickt. Über zehn Jahre waren der Krieg und die Welt der Soldaten ihre Heimat. Mit 19 Jahren gelang ihr schließlich die Flucht. Mit Unterstützung von UN-Organisationen fand China Keitetsi in Dänemark eine neue Heimat, wo sie ihre traumatischen Erfahrungen niederschrieb. Das Buch der heute 26-Jährigen ist allen Kindersoldaten gewidmet, für deren Befreiung und Schutz sie sich einsetzt.

Anlässlich des Weltkindertages ruft UNICEF zum verstärkten Einsatz gegen den Missbrauch von Kindern als Soldaten auf. In rund 40 Staaten der Erde kämpfen nach Schätzungen von UNICEF immer noch über 300.000 Jungen und Mädchen in Regierungsarmeen oder bewaffneten Gruppen; die meisten davon auf dem afrikanischen Kontinent. Der Missbrauch von Kindern für den Krieg ist eine der schwersten Menschenrechtsverletzungen. Die Kinder tragen physische und psychische Schäden davon. Sie werden misshandelt, unter Drogen gesetzt, in Kampfeinsätze gejagt und zu entsetzlichen Gewalttaten gezwungen. Auch wenn es ihnen gelingt, dem Kriegsdienst zu entkommen, leiden sie ihr Leben lang unter den traumatischen Erfahrungen.

Die meisten Kindersoldaten gibt es in Afrika. Über 120.000 Kinder und Jugendliche sind dort bei Armeen und Rebellen im Einsatz. Besonders schwerwiegend ist das Problem in den Ländern Angola, Burundi, Kongo-Brazzaville, in der Demokratischen Republik Kongo, in Liberia, Ruanda, Sierra Leone, Sudan und Uganda.

Kindheit an der Waffe

Allein in Uganda, dem Heimatland von China Keitetsi, wurden in den vergangenen zehn Jahren rund 10.000 Kinder und Jugendliche von der sogenannten „Lord‘s Resistance Army“ (LRA) entführt. Über 5.000 von ihnen werden bis heute vermisst. Die Guerilla-Armee operiert im Norden des Landes, von wo sie die Kinder in Lager im Süd-Sudan verschleppt. Viele sterben auf dem Weg an Krankheiten und Erschöpfung. Die Kinder werden als Kämpfer, Wachposten und Sexsklaven benutzt. Um sie in das Söldnerleben zu zwingen, werden sie häufig einem grausamen Initiationsritus unterworfen. Sie werden zum Beispiel gezwungen, andere Kinder, die versuchten zu fliehen, zu Tode zu schlagen oder zu hacken.

Im Juni diesen Jahres ließen die LRA-Rebellen nach schwierigen Verhandlungen rund 100 Kinder und Frauen frei und übergaben sie UNICEF. Sie wurden in zwei Übergangszentren in Gulu gebracht. Dort erhalten sie Nahrung und medizinische Hilfe. Gleichzeitig wurde ihre Identität festgestellt und die Suche nach Angehörigen gestartet.

Auch in anderen Ländern zeigen Bemühungen zur Demobilisierung von Kindersoldaten Erfolg. Im vergangenen Jahr hat UNICEF im Sudan rund 4.400 Kindersoldaten aus Kampfgebieten ausgeflogen und anschließend wieder mit ihren Familien zusammengebracht. In Sierra Leone konnten in den zurückliegenden zwei Jahren zwei Drittel der rund 10.000 Kinder, die während des Bürgerkriegs entführt und zum Kämpfen gezwungen wurden, in ihre Familien zurück- oder in Pflegefamilien untergebracht werden.

Opfer und Täter zugleich

Trotz dieser Erfolge und internationaler Ächtung ist aber für viele Truppenführer in Afrika der Einsatz von Kindersoldaten weiter attraktiv. Denn Kinder gelten als wagemutig und leicht manipulierbar. Tausende werden deshalb zwangsrekrutiert. Oft melden sie sich auch freiwillig, weil sie beim Militär versorgt werden oder die Sicherheit einer Gruppe suchen. An Straßensperren dienen sie Erwachsenen als menschliches Schutzschild und müssen sich als erste unter Lebensgefahr den Autos nähern. Sie müssen Munition oder Nahrung tragen, sind beliebt als unauffällige Spione oder Boten. Sobald sie eine Waffe tragen können, werden sie als Kämpfer eingesetzt. Bei vielen Gräueltaten stehen die Kinder und Jugendlichen unter dem Einfluss von Drogen oder Alkohol. Besonders hart ist das Leben weiblicher Kindersoldaten: Sie werden oft zusätzlich zum Soldatendienst den Kämpfern als Sexsklaven zugeteilt.

UNICEF-Hilfe für ehemalige Kindersoldaten

UNICEF unterstützt in verschiedenen Ländern Afrikas Programme zur Demobilisierung und Wiedereingliederung von Kindersoldaten, so in Uganda, Sudan, Liberia, Sierra Leone und der Republik Kongo. Doch dies ist nicht einfach: Die meisten dieser Kinder sind nie zur Schule gegangen und haben keine Ausbildung. Oft werden sie in ihren Heimatdörfern abgelehnt, da sie für entsetzliche Grausamkeiten verantwortlich gemacht werden. Wenn der Druck des Soldatenlebens von ihnen abfällt, kommen die seelischen Wunden zum Vorschein: Alpträume, Angstzustände, Depression, Aggressivität sowie psychosomatische Beschwerden. Mädchen haben oft Jahre des Missbrauchs hinter sich und sind bereits Mütter. Ein wichtiger Bestandteil der Hilfsprogramme ist deshalb die Ausbildung von Menschen, die mit diesen Problemen umgehen können. Weiter versucht UNICEF, ehemaligen Kindersoldaten durch Schulunterricht und spezielle Ausbildungsangebote den Weg zurück in ein normales Leben zu ebnen.

UNICEF fordert: Keine Soldaten unter 18

Am 12.2.2002 trat nach langjährigen Verhandlungen das Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention über die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten in Kraft. Es verbietet den Kriegseinsatz von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren. Bis heute haben es 109 Staaten unterzeichnet; allerdings wurde es erst von 35 Ländern ratifiziert. Deutschland hat das Zusatzprotokoll zwar am 6.9.2000 unterschrieben, doch bis heute nicht ratifiziert. UNICEF ruft die Bundesregierung auf, endlich das Zusatzprotokoll zu ratifizieren und damit ein Signal an Kriegsherren und Konfliktparteien zu senden.

Bei Rückfragen und Interviewwünschen wenden Sie sich bitte an die UNICEF-Pressestelle, Rudi Tarneden, Durchwahl 0221/93650-235 oder 315

NGO forden: Wahlkampf nicht auf Kosten von Kindern!

Zum Weltkindertag am 20. September

ngo-online/19.09.2002 - Die National Coalition, PRO ASYL, der Bundesfachverband UMF und der Flüchtlingsrat Berlin e. V. fordern die Bundesregierung mit Nachdruck auf, die UN-Kinderrechtskonvention umzusetzen und die bei der Unterzeichnung der Konvention niedergelegten Vorbehalte gegenüber Flüchtlingen zurückzunehmen. Anlässlich des Weltkindertages am 20. September solle die Bundesregierung ihre Versprechen umsetzen. Beim Weltkindergipfel im Mai dieses Jahres in New York habe sie die schnelle Aufstellung eines nationalen Aktionsplanes angekündigt. Das unterzeichnete Abschlussdokument fordert eine weltweite Verbesserung der Rechte von Kindern. Eine zentrale Forderung ist auch, die Verpflichtung, alle Vorbehalte zurückzunehmen.

Dr. Jörg Maywald, stellvertretender Sprecher der National Coalition, einem Netzwerk von 100 Nichtregierungsorganisationen unter Rechtsträgerschaft der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe, erklärte: "Die Aufrechterhaltung des Vorbehalts führt dazu, dass internationale Standards für Flüchtlingskinder in Deutschland immer noch nicht gelten. Das hat für sie einschneidende negative Folgen: So werden sie bereits mit 16 Jahren nach dem deutschen Ausländerrecht verfahrensmündig, sie können in Abschiebegefängnissen inhaftiert werden, Flüchtlingskinder unterliegen mit ihren Familien auch dem Asylbewerberleistungsgesetz mit seinen restriktiven Bestimmungen. Damit sind Gefahren von Mangelernährung, unzureichender medizinischer Versorgung, Ausgrenzung im Erziehungs- und Ausbildungsbereich und Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben verbunden. All dies widerspricht den Artikeln 2 und 3 der UN-Kinderrechtskonvention, in denen ein Nichtdiskriminierungsgebot und der Vorrang des Kindeswohls festgelegt sind."

Heiko Kauffmann, Vorstandsmitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge, PRO ASYL, übte scharfe Kritik am Umgang der deutschen Politik mit den Problemen von Kinderflüchtlingen: "Dass das Parlament trotz dringenden rechtspolitischen Handlungsbedarfs, trotz dreifacher Aufforderung des deutschen Bundestages, und trotz positiver Entscheidung des Petitionsausschusses in dieser Legislaturperiode noch immer keinen Fortschritt bei der Durchsetzung der völkerrechtlichen Bestimmungen für Flüchtlingskinder verzeichnen konnte, ist für die Parteien insgesamt ein Armutszeugnis."

Es sei aber vor allem auch Ausdruck des eklatanten politischen Versagens und der Missachtung des Parlaments durch den zuständigen Bundesinnenminister Otto Schily, der sich dem demokratischen Willen und den Aufforderungen der Volksvertretung versperre und ihre Entscheidungen konterkariere.

Wie notwendig die Verwirklichung von Kinderrechten ist, machen skandalöse Entwicklungen in diesem Jahr deutlich: in Hamburg finden willkürliche Altersfestsetzungen von Minderjährigen mit fatalen Folgen statt. In Berlin sitzen weiterhin Flüchtlingskinder ohne Eltern in Abschiebehaft, in Bayern droht Minderjährigen im Rahmen des Dubliner Übereinkommens die Kettenabschiebung nach Afghanistan; Hamburg plant die Errichtung des ersten Abschiebegefängnisses für Flüchtlingskinder in Deutschland.

Aktueller Ausdruck aus der Internet-Zeitung www.ngo-online.de; 20.09.2002

UNICEF-Schirmherrin Christina Rau zum Weltkindertag am 20. September:

„Kinder zuerst“

UNICEF hat den Weltkindertag 2002 unter das Motto „Kinder zuerst“ gestellt. Denn bis heute werden weltweit trotz zahlreicher internationaler Verträge und Schutzbestimmungen elementare Rechte von Kindern verletzt. So müssen allein 250 Millionen Kinder zwischen fünf und 14 Jahren arbeiten, um zu überleben. Über 60 Millionen von ihnen werden als Zwangsarbeiter, Schuldknechte, Kindersoldaten oder Prostituierte ausgebeutet. „Millionen Kindern fehlt jede Möglichkeit, etwas zu lernen und ihre eigene Zukunft zu gestalten“, sagte UNICEF-Schirmherrin Christina Rau. „Kinder werden als erste ausgebeutet, aber als letzte gefragt.“ Fast alle Staaten hätten sich mit der Unterzeichnung der UN-Kinderrechtskonvention dazu verpflichtet, das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen, sagte Christina Rau: „Aber zwischen der weltweiten Akzeptanz der Kinderrechte und ihrer Umsetzung klafft nach wie vor eine tiefe Lücke.“

Deutschland ist nur eingeschränkt kinderfreundlich

UNICEF weist darauf hin, dass es auch in Deutschland erhebliche Lücken bei der Umsetzung der Kinderrechte gibt. So müssen viele in Deutschland lebende Flüchtlingskinder Benachteiligungen im Asylverfahren sowie beim Zugang zu Bildung und bei der Gesundheitsversorgung hinnehmen. „Bis heute gelten in Deutschland die Kinderrechte nur eingeschränkt“, sagte der Vorsitzende von UNICEF-Deutschland, Reinhard Schlagintweit. Er rief die nächste Bundesregierung dazu auf, in der kommenden Legislaturperiode die Vorbehalte gegen die Kinderrechtskonvention endlich zurückzunehmen. „Wir müssen die Politiker daran messen, was sie für Kinder konkret tun. Es ist höchste Zeit, dass aus internationalen Verträgen und öffentlichen Bekenntnissen nachprüfbare Politik wird.“

Weitere Informationen sowie die neue UNICEF- Kinder-Homepage finden Sie unter www.unicef.de.


Weitere Beiträge zum Thema "Kindersoldaten"

Zur "Kleinwaffen"-Seite

Zurück zur Homepage